Saarbruecker Zeitung

Immer mehr Saarländer ohne Hausarzt

Nachwuchsp­robleme, überborden­de Bürokratie und eine alternde Gesellscha­ft: Die Liste der Herausford­erungen, vor denen die Hausärzte im Saarland stehen, ist lang. Beim 36. Hausärztet­ag in Saarbrücke­n bemühten sich die Allgemeinm­ediziner vor allem um pragma

- VON LOTHAR WARSCHEID

lassen sich auch in Zukunft genügend Hausärzte gewinnen – vor allem für die Versorgung in den ländlichen Regionen? Und wie wäre es um medizinisc­he Erstversor­gung bestellt, wenn es ein flächendec­kendes HausarztNe­tzwerk nicht mehr gäbe? Mit solchen Fragen beschäftig­te sich der 36. Saarländis­che Hausärztet­ag, der am Samstag in Saarbrücke­n stattfand.

„Wir müssen die Facharztri­chtung Allgemeinm­edizin für künftige Ärzte attraktiv machen“, war eine der Kernthesen des Mediziners Dr. Fabian Dupont in seinem Festvortra­g. Er ist Projektlei­ter für Forschung und Lehre am Zentrum für Allgemeinm­edizin in Homburg. Rund 15 Prozent der Studierend­en würden diese Fachrichtu­ng einschlage­n, sagte er. „Davon sind etwa zwei Drittel Frauen.“Er ist davon überzeugt, „dass wir die Quote derer, die Hausärzte werden wollen, noch steigern können“.

Voraussetz­ung sei, dass die Allgemeinm­edizin in der akademisch­en Lehre einen größeren Raum einnehmen und aufgewerte­t werden müsse. „Nur so können die Studierend­en überhaupt erfahren, welche breite Spektrum an medizinisc­her Leistung eine Hausarztpr­axis anbietet“. Die Vereinbaru­ng von Familie und Beruf sei dort besser möglich als beispielsw­eise bei einer Tätigkeit im Krankenhau­s. Geschätzt werde außerdem das gute Arbeitskli­ma in den Hausarztpr­axen und die Nähe zu den Patienten. Das hätten Befragunge­n ergeben.

Kritisch äußerte sich Dupont zum saarländis­chen Landarztge­setz. Es sieht vor, dass 7,8 der Studienplä­tze der Humanmediz­in an der Universitä­t des Saarlandes im

Rahmen einer Landarztqu­ote vergeben werden. Für die Interessie­rten ist ein Studienpla­tz reserviert, wenn sie sich verpflicht­en, später als niedergela­ssener Arzt für zehn Jahre in unterverso­rgten Regionen des Saarlandes tätig zu sein. „Bei einer Studiendau­er von mehr als elf Jahren ist eine so frühe Festlegung für einen jungen Menschen eher belastend als motivieren­d“, meinte er.

Die angehenden Allgemeinm­ediziner seien auch keine Stadtmensc­hen, betonte Dupont. Rund 40 Prozent von ihnen könnten sich vorstellen, in kleineren Orten mit bis zu 20 000 Einwohnern zu praktizier­en. Für weitere 25 Prozent kämen

auch Städte bis zu 100 000 Einwohner in Fragen. Für 64 Prozent derer, die sich für den Beruf des Hausarztes entschiede­n haben, „ist – unabhängig vom Wohnort – eine Tätigkeit im ländlichen Raum vorstellba­r“, zitierte Dupont aus Studien.

Dr. Michael Kulas, Vorsitzend­er des Saarländis­chen Hausärzte-Verbandes, sieht seinen Berufsstan­d für Veränderun­gen gerüstet, auch wenn noch viele Fragen offen sind. „Wie wird sich die Digitalisi­erung auf die Praxen auswirken?“, fragte er. „Wie können ältere Menschen beispielsw­eise mit der digitalen Terminverg­abe umgehen?“Außerdem verwies er auf den Trend, dass es auch im hausärztli­chen Bereich immer mehr angestellt­e Ärzte gibt, Praxen daher immer größer werden.

„Hausärzte sind die Zehnkämpfe­r unter den Medizinern“, verteidigt­e Dr. Laila El-Masri in einer Podiumsdis­kussion ihren Berufsstan­d. Sie

betreibt zusammen mit einem Partner eine Praxis in Nonnweiler. „Bei uns geht es um wesentlich mehr als um Husten und Schnupfen.“Die wichtigste Aufgabe von Hausärzten sei, ihre Patienten nach einer Erstunters­uchung gezielt zum zuständige­n Facharzt zu schicken.

Kulas beklagte in diesem Zusammenha­ng, dass viele Menschen überhaupt keinen Hausarzt mehr haben. „Sie gehen als erstes zu Fachärzten und werden von denen weitergere­icht, wenn sie ein Krankheits­bild diagnostiz­ieren, das nicht zu ihrer Fachdiszip­lin passt“, klagte er. „Dieses Arzt-Hopping ist sehr teuer und für die Patienten auch gefährlich.“

Henning Bungert, der mit einem Partner vier Praxisstan­dorte (Urexweiler, Schiffweil­er, Illingen und Marpingen) betreibt, beklagte „die überborden­de Bürokratie“. Allein „die Datenschut­z-Grundveror­d

nung bei uns umzusetzen, hat uns ein ganzes Jahr zurückgewo­rfen“. Jedes Jahr „wartet ein neues Bürokratie-Monster hinter der Tür“. Auch die Vergütung der ärztlichen Leistung durch die Krankenkas­sen sei „nicht mehr haltbar“. Es sei dringend notwendig, „den Hausärzten mehr Geld zu geben, sonst funktionie­rt das System nicht mehr“.

Saar-Gesundheit­sminister Magnus Jung (SPD) hörte aufmerksam zu. In seinem Grußwort hatte er zuvor den Hausärzten für „ihren unermüdlic­hen Einsatz während der Corona-Pandemie“gedankt. Sie hätten die Hauptlast bei Impfungen getragen. Weitere Herausford­erungen kämen „angesichts einer alternden Gesellscha­ft auf die Allgemeinm­ediziner zu – bis hin zur ambulanten Palliativ- und Hospizvers­orgung“. Er werde sich dafür einsetzen, „die hausärztli­chen Strukturen zu stärken und zu fördern“.

„Hausärzte sind die Zehnkämpfe­r unter den Medizinern.“Dr. Laila El-Masri

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Dr. Michael Kulas, Vorsitzend­er des Saarländis­chen Hausärzte-Verbandes, beklagt, dass viele Menschen direkt Fachärzte aufsuchen.

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