Was das Land für wirtschaftliche Stärke braucht
Die Arbeitskammer fordert für das Saarland eine langfristige Vision unabhängig von Legislaturperioden gewählter Politiker – mit klaren Zielen, wofür die Region künftig stehen soll. Arbeitskammer-Präsident Thomas Otto hat Ideen für die wirtschaftliche Zuku
Das Saarland brauche eine klare Vision für die kommenden Jahre, die auch von der Bevölkerung mitgetragen wird. Eine konkrete Vorstellung davon, was das Land auszeichnen und stärker machen soll als andere Wirtschaftsstandorte in Deutschland. Dies fordert Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer, im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung.
Im Kern stehe die Frage: „Wer sind wir, was können wir, wo wollen wir hin?“Ziel dieser Vision müsse sein, möglichst viele Saarländer davon zu überzeugen. Damit möglichst das gesamte Land sich hinter diesen Zielen versammelt. Zugleich seien diese Ziele ausdrücklich darauf ausgerichtet, länger Bestand zu haben als die Legislaturperioden jeweils gewählter Politiker.
Bevor diese Vision Gestalt annehmen kann, brauche das Land als Voraussetzung „eine ehrliche Inventur. Auch darüber, was gegenwärtig wirklich seine Stärken und Schwächen sind.“An dieser Inventur wiederum sollen sich nach Überzeugung von Otto alle relevanten Kräfte und Entscheider in der Region beteiligen: von der Landes- und Kommunalpolitik bis hin zu Wirtschaftsvereinigungen, Verbänden, Kammern, Gewerkschaften und anderen. „Jeder, der Interesse an einer guten Zukunft des Saarlandes hat, sollte sich mit eigenen
Anmerkungen und Vorstellungen daran beteiligen, auch interessierte Bürger“, fordert Otto. „Ich sehe das als eine Gemeinschaftsaufgabe an. Wir müssen die Menschen, die sich Sorgen um das Land machen und etwas verändern wollen, gemeinsam an einen Tisch bringen.“
Otto selbst sieht vor allem drei Herausforderungen, die über eine attraktive Zukunft des Landes entscheiden. Dazu gehöre eine erfolgreiche Dekarbonisierung, also die Umstellung der Industrie auf eine CO2-freie Produktion. Weiterhin müsse die Digitalisierung in Schulen, Bildungseinrichtungen sowie Privathaushalten stark beschleunigt werden, um den Nutzern möglichst schnell und effektiv praxisnahe Bildungsinhalte anbieten zu können. Das erhöhe die beruflichen Chancen gewaltig. Als dritte große Herausforderung sieht Otto die Schaffung neuer, moderner Arbeitsplätze, um besonders den Wegzug vieler junger Menschen mit ihren Familien zu verhindern.
Deshalb müsse das Saarland es schaffen, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf 400 000 zu erhöhen. Jüngste Studien des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gingen zwar davon aus, dass infolge des Strukturwandels im Saarland bis 2035 fast 23 000 Arbeitsplätze neu entstehen. Gleichzeitig könnten im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungen aber auch bis zu 50 000 Arbeitsplätze wegfallen. Deshalb sei es jetzt eine Hauptaufgabe, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Saar-Wirtschaft so zu stärken, dass möglichst viele Arbeitsplätze erhalten werden können und zugleich möglichst viele neue geschaffen werden. Zumal man in den Betrachtungen zur Weiterentwicklung des Arbeitsmarktes auch diejenigen berücksichtigen müsse, die in nächster Zeit in Rente gehen. „Es muss uns also zunächst einmal gelingen, die jungen Menschen so gut auszubilden, dass sie morgen einen Job haben. Außerdem müssen wir die Arbeitsbedingungen so attraktiv gestalten, dass wir deutlich mehr Langzeitarbeitslose und deutlich mehr Frauen ins Berufsleben integrieren können.“Letzteres beinhalte auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne für Pflegekräfte.
Otto sieht insgesamt ein Potenzial von 50 000 Menschen an der Saar, die zusätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können. Das reiche jedoch immer noch nicht. Deshalb plädiert Otto zugleich an alle
Saarländer, sich offen zu zeigen für noch mehr qualifizierte Zuwanderung. Gelinge es dann auch noch, mehr Menschen aus Minijobs herauszulösen, stärke man zugleich die Steuer- und Kaufkraft.
Besonderes Potenzial sieht Otto auch in einer besseren Förderung der Studenten nach dem Abschluss ihres Studiums. Nach jüngsten Studien kommen demnach schon über 50 Prozent der Studenten von außerhalb an die Saar. „Es muss uns deshalb gelingen, ihnen so attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen zu bieten, dass sie auch ihren Erstjob an der Saar wählen.“Otto setzt hier große Hoffnungen in die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) sowie die Universität des Saarlandes, die gerade dabei seien, ihre Absolventen in neuen Berufsbildern auszubilden, die perfekt zur Digitalisierung passen. „Diese modernen Technologien in Verbindung mit gut ausgebildeten Fachkräften fördern auch Ansiedlungen und zu
gleich die Forschung an der Saar“, ist der Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer überzeugt.
Generell sieht Otto in einer Bildungspolitik mit ehrgeizigen Zielen den Haupt-Standortvorteil. Um diesen konsequent auszubauen, müsse zunächst das Lehrpersonal aufgestockt werden. Entsprechende Haushaltsmittel dafür zu verwenden, gehöre zu den Prioritäten im Land. Otto appelliert jedoch auch an alle Saarländer, selbst den Anspruch zu entwickeln, mehrsprachig zu sein, künftig sogar schon mehrsprachig aufzuwachsen. Spielerisch könne die Vermittlung von Fremdsprachenkompetenz schon im Kindergarten erfolgen. Für die Schulen an der Saar solle künftig das Prinzip gelten, nicht nur Kenntnisse in Französisch und Englisch zu vermitteln. Junge Saarländer erhöhten ihre berufliche Qualifikation durch mehrere Fremdsprachen erheblich. Ob nun verbindlich durch Französisch und Englisch oder auch darüber hi
naus. Weitere Fremdsprachen könnten Schulen und andere Bildungseinrichtungen auch auf freiwilliger Basis anbieten: von Spanisch bis Chinesisch. Fremdsprachenkenntnisse seien heute nicht hoch genug einzuschätzen, zumal sich auch verstärkt Unternehmen aus dem Ausland an der Saar engagieren.
Doch nicht nur die akademische Bildung hat Otto im Auge. Für talentierte junge Menschen böten sich auch im Saar-Handwerk dauerhaft sichere Arbeitsplätze. Das Handwerk arbeite heute mit modernsten, anspruchsvollen Technologien und könne eine attraktive Bezahlung vorweisen. Zudem suchten viele Handwerksbetriebe in der Region in den kommenden Jahren einen neuen Chef. Es böten sich also auch attraktive Aufstiegschancen bis hinein in die Selbstständigkeit, so Otto.
Als eine der wesentlichen Grundsatzfragen müsse geklärt werden, wie hoch künftig der Anteil der Industrie und Dienstleistung an der
Wertschöpfung in der Region sein soll. Der Erfolg der Stahlindustrie hänge wesentlich davon ab, inwieweit es gelinge, die Produktionsstätten umzubauen zur Herstellung von grünem Stahl auf der Basis von Wasserstoff. Die dafür notwendige Infrastruktur, von den Stromtrassen bis hin zu den Transportwegen für Wasserstoff an die Saar-Unternehmen, müsse schnellstmöglich auf den Weg gebracht werden, um auch einen Wettbewerbsvorsprung zu erreichen. Von der Wasserstoffstrategie werde auch die Automobilindustrie im Saarland profitieren. Zudem rät Otto dazu, jetzt gezielt eine funktionierende Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Dies sei ein sehr erfolgversprechender Zukunftsmarkt. Ohne ein funktionierendes Netz an Wasserstoffversorgung und einer attraktiven Kreislaufwirtschaft „werden wir hier im Saarland nicht vorankommen“, ist sich der Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer sicher.