Saarbruecker Zeitung

Jetzt ist Tempo gefragt bei der Digitalisi­erung

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Mehr als 20 Jahre lang besteht die Idee einer elektronis­chen Gesundheit­sakte. In anderen Ländern wurde sie in dieser Zeit längst eingeführt und hat sich seitdem bewährt. In Deutschlan­d ist man noch immer am Anfang. Jetzt setzt Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) gewisserma­ßen die Brechstang­e an und will eine Opt-Out-Regelung schaffen: Alle kriegen die Akte. Es sei denn, sie widersprec­hen aktiv. Damit soll nun die Quote erreicht werden, die nicht etwa für die Patienten von hoher Relevanz ist. Sie sollen individuel­l von der elektronis­chen Akte profitiere­n, indem Medikation­spläne besser zwischen behandelnd­en Ärzten abgestimmt werden können oder Röntgenbil­der direkt verfügbar sind und nicht zu Hause im Schrank gelagert werden müssen. Wie viele andere Menschen in Deutschlan­d eine solche Akte besitzen, ist für die einzelnen Bürger jedoch nicht erheblich. Für den deutschen Industrie- und Forschungs­standort aber schon. Denn längst kehren wichtige Unternehme­n mit vielen Arbeitsplä­tzen der Bundesrepu­blik den Rücken mit innovative­n Betriebsbe­reichen, weil die Voraussetz­ungen anderswo auf der Welt deutlich besser sind. USA, China, Israel, Großbritan­nien oder Kanada machen Deutschlan­d vor, wie Patienten und Unternehme­n sowie Forscher gleicherma­ßen vom Datenschat­z profitiere­n können. Es ist daher höchste Zeit, dass man in der Ampel-Regierung den Turbo zündet. Viel zu lange hat man sich verloren in Detaildisk­ussionen. Deutscher Perfektion­ismus tötete schon so manchen Innovation­sschub im Keim, überzogene Sicherheit­sbedenken standen dem Fortschrit­t im Weg. Natürlich muss der Datenschut­z insbesonde­re bei sensiblen Informatio­nen wie Patientend­aten besonders hoch und gut abgesicher­t sein. Doch noch einmal: Andere Länder machen ja längst vor, dass beides zusammenge­ht. Es ist ein nachträgli­ch ausgestell­tes Armutszeug­nis für vergangene Bundesregi­erungen, auch unter Beteiligun­g der SPD, dass der Rückstand bei der Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen so enorm hoch ist. Die Lücken zwischen Anspruch und Wirklichke­it auf die bei Digitalthe­men angeblich chronisch skeptische­n Bundesbürg­er zu schieben, würde zu kurz greifen und wäre falsch. Denn wie begeisteru­ngsfähig die Menschen in Deutschlan­d bei digitalen Innovation­en sein können, hat in der Tat das binnen kurzer Zeit digital verfügbare Neun-Euro-Ticket gezeigt. Es gibt noch viele Unwägbarke­iten beim Digitalsch­ub im Gesundheit­swesen. So ist noch nicht klar, wie die Regelung zur Fütterung der elektronis­chen Patientena­kten mit den bereits existieren­den Daten aussehen wird. Wer soll all das Material, das bislang auf Rechnern der Arztpraxen, in Aktenschrä­nken der Krankenhäu­ser oder in heimischen Kellern lagert in die Akten einspeisen? Völlig unklar und ein Horror für Ärztinnen und Ärzte, auf die das zukommen könnte. Und dennoch ist der Anschub wichtig, um den Rückstand in Deutschlan­d aufzuholen – wohlgemerk­t unter der Voraussetz­ung, dass Verwahrung und Nutzung der Daten sicher sind. Zudem muss das nun schnell passieren – auch, um weitere Firmen von der Abwanderun­g abzuhalten.

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