Joe Biden will noch mal Präsident werden
Der 80-Jährige tritt offiziell für eine zweite Amtszeit an. Obwohl jeder zweite Demokrat lieber einen anderen Kandidaten sähe, gilt seine Nominierung als sicher.
WASHINGTON Das Video beginnt mit düsteren Aufnahmen vom Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Dagegen geschnitten folgt ein handgeschriebenes Schild, das vor dem Hintergrund des Supreme Court „Abtreibung ist Gesundheitspflege“verkündet. Dann rückt Joe Biden ins Bild. Offenes Hemd, Flagge am Reverse. „Freiheit“, sagt er, gefolgt vom dramatischen Schlag einer Glocke und wehenden Sternenbannern. Es gehe darum, ob „wir mehr Freiheit oder weniger Freiheit haben, mehr Rechte oder weniger“, erklärt der mit 80 Jahren heute bereits älteste Präsident in der Geschichte der USA, warum er noch einmal antritt. Als erfahrener ruhender Pol gegen das Chaos, das den USA mit einer Rückkehr Donald Trumps „Make America Great Again“(MAGA) drohe. „Lasst uns diesen Job zu Ende bringen.“
So ähnlich hatte es Biden schon in der „State of the Union“vor dem US-Kongress Anfang des Jahres gesagt, die viele Analysten als Bewerbungsrede für eine zweite Amtszeit verstanden hatten. Und es ist eine Rückkehr zu dem Thema, mit dem der Demokrat vor genau vier Jahren am 25. April Trump herausgefordert hatte: dem „Kampf um die Seele der Nation.“
Obwohl nicht einmal die Hälfte der eigenen Partei sich eine erneute Kandidatur Bidens wünscht, hat er bei den anstehenden innerparteilichen Vorwahlen keinen ernsthaften Herausforderer. Insgeheim hoffen viele Demokraten, dass sich der Umfragetrend bei den Republikanern verfestigt. Mit 76 Jahren ist Trump nur unwesentlich jünger als Biden, dafür aber deutlich unbeliebter. Das Bewerbungs-Video Bidens hebt darauf ab. Sein Wahlkampfteam hofft, dass die anhängigen und erwarteten Straf- und Zivilverfahren gegen Trump den Kontrast weiter verschärfen. Worin Beobachter einen weiteren Grund für den gewählten Zeitpunkt der Veröffentlichung am Dienstag erkennen. Am Nachmittag (Ortszeit) sollte in New York der Prozess der Autorin Jean Carroll gegen Trump beginnen. Carroll wirft ihm vor, er habe sie Mitte der 1990er Jahre in einem Kaufhaus vergewaltigt. Der Beklagte bestreitet das.
Die Strategen im Umfeld des Präsidenten glauben, dass neben dem Kontrast zur MAGA-Welt das Abtreibungsurteil des Supreme Court Biden helfen wird. Der Weg zu einer Mehrheit im Wahlleute-Kollegium führt aus Sicht der Biden-Welt durch dieselben Bundesstaaten wie 2020. Deshalb wird der Präsident in den kommenden Monaten häufiger in Michigan, Wisconsin, Arizona, Nevada, New Hampshire, Georgia und Pennsylvania seine Errungenschaften hervorheben. Diese reichen von massiven Investitionen in die Infrastruktur und den Klimaschutz des Landes bis zum Aufbau der einheimischen Halbleiterproduktion und niedrigeren Kosten für Medikamente.
Biden helfen darüber hinaus das Ende der Pandemie, die Erholung der Wirtschaft mit einer niedrigen Erwerbslosigkeit von 3,5 Prozent und angesichts des Überfalls der Ukraine durch Russland sowie den Drohungen gegen Taiwan die Reparatur der Beziehungen zu befreundeten Nationen in Europa und Asien.
Die Republikaner hingegen werden wohl ihre knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus nutzen, die Schattenseiten hervorzuheben wie etwa die massive Staatsverschuldung und Inflation sowie das Desaster des Rückzugs aus Afghanistan.
Die große Unbekannte für den Präsidenten bleibt derweil der Ausgang der Vorwahlen der Republikaner. Trotz Führung in den Umfragen ist es noch früh in der Saison. Und mit dem 44-jährigen Ron DeSantis gibt es einen bisher noch unerklärten, aber wahrscheinlichen Kandidaten, der Trumpismus ohne das Drama Trumps verspricht. Der Gouverneur von Florida wäre auch deshalb ein Angstgegner, weil er für eine neue Generation stünde. Als Biden vor 43 Jahren im Wahlkampf 1980 zum ersten Mal für das Weiße Haus antrat, war DeSantis noch in den Windeln.
Mit 76 Jahren ist Trump nur unwesentlich jünger als Biden, dafür aber deutlich unbeliebter.