Saarbruecker Zeitung

„Bedeutung von Cattenom wird zunehmen“

Ginge es nach der Saar-Politik, wäre das Atomkraftw­erk längst vom Netz. Doch für die Stromverso­rgung des Landes ist es von Bedeutung – vor allem für die energieint­ensive Stahlbranc­he.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Was hat das Saarland nicht alles versucht, um das Atomkraftw­erk Cattenom 1986 zu verhindern. Der einstige Ministerpr­äsident Oskar Lafontaine (damals SPD) schrieb Briefe an den französisc­hen Staatspräs­identen François Mitterand, das Saarland klagte gegen die „Zentrale des Todes“, wie Lafontaine die Anlage 1986 nannte. Sein Umweltmini­ster Jo Leinen sprach später von einem „Störfall für die gute Nachbarsch­aft“. Nicht nur das Risiko eines Atom-Unfalls spielte eine Rolle, die SPD warnte auch, die „Atomstrom-Schwemme“aus Lothringen könne saarländis­che Bergleute arbeitslos machen.

37 Jahre später ist das Saarland längst aus der Kohle ausgestieg­en, Deutschlan­d auch aus der Kernkraft, aber die zeitweise störanfäll­igen Reaktoren in Cattenom laufen noch immer. Auch das Saarland, das im Jahr rund acht Terawattst­unden ( TWh) Strom verbraucht, aber nur zwei bis drei TWh selbst erzeugt, wird mit Strom aus Cattenom versorgt.

Zwar sind keine öffentlich zugänglich­en Daten verfügbar, die zeigen, welche Strommenge­n das Saarland aus Cattenom bezieht – und die nationale Statistik besagt, dass Deutschlan­d 2022 deutlich mehr Strom nach Frankreich exportiert als von dort importiert hat. Doch eine vom Saarland, Rheinland-Pfalz und Luxemburg in Auftrag gegebene Studie bestätigte 2021: „Die Anlage in Cattenom hat aufgrund ihrer hohen Leistung systemtech­nische Relevanz für sichere Bedarfsdec­kung, Netzbelast­ung und die Erbringung von Systemdien­stleistung­en in der Großregion und darüber hinaus.“

2022 wurde die heutige Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) von Nachwuchsr­edakteuren des Jugendmaga­zins „Wirklich wahr“gefragt, ob es nicht zur Wahrheit gehöre, dass das Saarland unter anderem Atomstrom aus Frankreich beziehen müsse. Ihre Antwort: „Faktisch gesehen ist das so. Die Stromnetze sind, wie sie sind.“Nichtsdest­otrotz könne jedes Land selbst entscheide­n, welchen Beitrag es zur Stromerzeu­gung leiste. Ihr bevorzugte­r Beitrag seien erneuerbar­e Energien.

In das grenzübers­chreitende Übertragun­gsnetz Vigy-EnsdorfUch­telfangen, das in Uchtelfang­en nach Hessen und Nordrhein-Westfalen abzweigt, speisen konvention­elle Kraftwerke und Erneuerbar­eEnergien-Anlagen in Lothringen, dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen ein – darunter auch das Kernkraftw­erk Cattenom. Der Übertragun­gsnetzbetr­eiber, die Amprion GmbH, baut dieses Netz aktuell aus, um die Übertragun­gsleistung zu steigern.

Dass Cattenom für die heimische Industrie eine Rolle spielt, ist spätestens klar, seit 2019 der damalige Vorstandsv­orsitzende von Dillinger Hütte und von Saarstahl, Tim Hartmann, mit Blick auf den künftig exorbitant steigenden Strombedar­f der Branche sagte, die benötigte Strommenge werde in Grenznähe in einem Großkraftw­erk CO2-frei erzeugt. Sofort intervenie­rte der damalige Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU): Grüner Stahl könne „selbstvers­tändlich nicht mit Atomstrom“hergestell­t werden. Dafür brauche es einen massiven Ökostrom-Ausbau.

Heute heißt es bei der Stahl-Holding-Saar (SHS), zur Produktion von grünem Stahl brauche man Grünstrom, weshalb ein beschleuni­gter Ausbau erneuerbar­er Energien erforderli­ch sei. Wie genau die zukünftige Angebots-Nachfrage-Situation aussehen werde, lasse sich heute noch nicht final beurteilen. In diesem Kontext müssten aber der (geplante) Entfall konvention­eller Grundlastk­raftwerke und die noch geringe Wind- und Solarstrom­erzeugung bedacht werden. Auch das Problem der Überbrücku­ng sogenannte­r Dunkelflau­ten sei noch nicht gelöst.

„Es käme tendenziel­l und temporär zu erhöhten Einschränk­ungen der großen Stromverbr­aucher, da die Übertragun­g großer Strommenge­n aus weiter entfernten Regionen (z. B. der Nordsee) aufgrund physikalis­cher Limits noch nicht unbeschrän­kt möglich ist. Vor diesem

Hintergrun­d wird die Bedeutung von Cattenom für eine ausreichen­de Grundlastv­ersorgung der Großregion Saar-Lor-Lux zunehmen. Atomstrom ist in der EU-Taxonomie als CO2-frei verankert und dient damit zumindest als Brückenlös­ung.“

Gilt das auch für Batterieze­llfertigun­g, die der chinesisch­e Hersteller SVolt auf dem Linslerfel­d in Überherrn hochziehen will? Die Batteriehe­rstellung ist extrem energieint­ensiv, SVolt beziffert den Strombedar­f im Endausbau auf 810 Gigawattst­unden im Jahr, das entspricht zehn Prozent des heutigen Stromverbr­auchs des gesamten Saarlandes. Der ehemalige AfD-Abgeordnet­e Lutz Hecker, ein Ingenieur, vermutete 2020 im Landtag, dass SVolt nur deshalb nach Überherrn komme, weil das Werk an die nahegelege­ne Leitung mit kostengüns­tigem und permanent verfügbare­m CattenomSt­rom angeschlos­sen werden könne.

Fragt man bei SVolt nach, erhält man eine andere Antwort: „Das Atomkraftw­erk Cattenom spielt für das SVolt-Werk in Überherrn keine Rolle.“Für die Fabrik in Überherrn plane SVolt, „zu 100 Prozent grünen Strom aus dem europäisch­en Zentralnet­z zu beziehen“. Ergänzend wolle SVolt so viel direkt erzeugten Strom wie möglich aus regenerati­ven Quellen einspeisen. „Photovolta­ik und andere regenerati­ve Energien spielen für SVolt und die konkreten Planungen eine große Rolle, zumal den Endkunden entspreche­nde Nachweise vorzulegen sind“, sagte die Sprecherin.

Für PV-Anlagen eigne sich nach derzeitige­m Stand rund die Hälfte der Dachfläche­n der geplanten Fabrik. „Für die Stromverso­rgung in der Nacht oder an Tagen, an denen die Sonneneins­trahlung nicht ausreicht, plant SVolt, den so erzeugten Strom in Energiespe­icherlösun­gen zwischenzu­speichern, die SVolt selbst herstellt.“Auch seien Kraft-WärmeKoppl­ung und Wärmerückg­ewinnung aus der Abluft geplant.

Die Frage, die sich nach dem deutschen Atom-Ausstieg stellt, ist: Wird Atomstrom aus Cattenom für das Saarland noch wichtiger? „Die Preiswirku­ng durch die Stilllegun­g ist marginal, insofern ändert sich an den Vermarktun­gschancen von Cattenom in Deutschlan­d nichts“, sagt Professor Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücke­n. „In den Phasen, wo Cattenom läuft (keine Kühlwasser­probleme, keine technische­n Probleme) und die Nachfrage in Frankreich selber nicht exorbitant hoch ist (vor allem im Winter durch die Stromheizu­ngen), wird die Anlage grenzübers­chreitend maximal vermarktet; das dürfte aber heute bereits der Fall sein.“

„In den Phasen, wo Cattenom läuft und die Nachfrage in Frankreich selber nicht exorbitant hoch ist, wird die Anlage grenzübers­chreitend maximal vermarktet.“Professor Uwe Leprich Energie-Experte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW)

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FOTO: ETIENNE/ISTOCK Der Atomstrom aus Frankreich wird für die Saar-Industrie noch wichtiger – wenn grüner Stahl erzeugt werden soll. Das erwartet die Stahlbranc­he.

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