„Bedeutung von Cattenom wird zunehmen“
Ginge es nach der Saar-Politik, wäre das Atomkraftwerk längst vom Netz. Doch für die Stromversorgung des Landes ist es von Bedeutung – vor allem für die energieintensive Stahlbranche.
SAARBRÜCKEN Was hat das Saarland nicht alles versucht, um das Atomkraftwerk Cattenom 1986 zu verhindern. Der einstige Ministerpräsident Oskar Lafontaine (damals SPD) schrieb Briefe an den französischen Staatspräsidenten François Mitterand, das Saarland klagte gegen die „Zentrale des Todes“, wie Lafontaine die Anlage 1986 nannte. Sein Umweltminister Jo Leinen sprach später von einem „Störfall für die gute Nachbarschaft“. Nicht nur das Risiko eines Atom-Unfalls spielte eine Rolle, die SPD warnte auch, die „Atomstrom-Schwemme“aus Lothringen könne saarländische Bergleute arbeitslos machen.
37 Jahre später ist das Saarland längst aus der Kohle ausgestiegen, Deutschland auch aus der Kernkraft, aber die zeitweise störanfälligen Reaktoren in Cattenom laufen noch immer. Auch das Saarland, das im Jahr rund acht Terawattstunden ( TWh) Strom verbraucht, aber nur zwei bis drei TWh selbst erzeugt, wird mit Strom aus Cattenom versorgt.
Zwar sind keine öffentlich zugänglichen Daten verfügbar, die zeigen, welche Strommengen das Saarland aus Cattenom bezieht – und die nationale Statistik besagt, dass Deutschland 2022 deutlich mehr Strom nach Frankreich exportiert als von dort importiert hat. Doch eine vom Saarland, Rheinland-Pfalz und Luxemburg in Auftrag gegebene Studie bestätigte 2021: „Die Anlage in Cattenom hat aufgrund ihrer hohen Leistung systemtechnische Relevanz für sichere Bedarfsdeckung, Netzbelastung und die Erbringung von Systemdienstleistungen in der Großregion und darüber hinaus.“
2022 wurde die heutige Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) von Nachwuchsredakteuren des Jugendmagazins „Wirklich wahr“gefragt, ob es nicht zur Wahrheit gehöre, dass das Saarland unter anderem Atomstrom aus Frankreich beziehen müsse. Ihre Antwort: „Faktisch gesehen ist das so. Die Stromnetze sind, wie sie sind.“Nichtsdestotrotz könne jedes Land selbst entscheiden, welchen Beitrag es zur Stromerzeugung leiste. Ihr bevorzugter Beitrag seien erneuerbare Energien.
In das grenzüberschreitende Übertragungsnetz Vigy-EnsdorfUchtelfangen, das in Uchtelfangen nach Hessen und Nordrhein-Westfalen abzweigt, speisen konventionelle Kraftwerke und ErneuerbareEnergien-Anlagen in Lothringen, dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen ein – darunter auch das Kernkraftwerk Cattenom. Der Übertragungsnetzbetreiber, die Amprion GmbH, baut dieses Netz aktuell aus, um die Übertragungsleistung zu steigern.
Dass Cattenom für die heimische Industrie eine Rolle spielt, ist spätestens klar, seit 2019 der damalige Vorstandsvorsitzende von Dillinger Hütte und von Saarstahl, Tim Hartmann, mit Blick auf den künftig exorbitant steigenden Strombedarf der Branche sagte, die benötigte Strommenge werde in Grenznähe in einem Großkraftwerk CO2-frei erzeugt. Sofort intervenierte der damalige Ministerpräsident Tobias Hans (CDU): Grüner Stahl könne „selbstverständlich nicht mit Atomstrom“hergestellt werden. Dafür brauche es einen massiven Ökostrom-Ausbau.
Heute heißt es bei der Stahl-Holding-Saar (SHS), zur Produktion von grünem Stahl brauche man Grünstrom, weshalb ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien erforderlich sei. Wie genau die zukünftige Angebots-Nachfrage-Situation aussehen werde, lasse sich heute noch nicht final beurteilen. In diesem Kontext müssten aber der (geplante) Entfall konventioneller Grundlastkraftwerke und die noch geringe Wind- und Solarstromerzeugung bedacht werden. Auch das Problem der Überbrückung sogenannter Dunkelflauten sei noch nicht gelöst.
„Es käme tendenziell und temporär zu erhöhten Einschränkungen der großen Stromverbraucher, da die Übertragung großer Strommengen aus weiter entfernten Regionen (z. B. der Nordsee) aufgrund physikalischer Limits noch nicht unbeschränkt möglich ist. Vor diesem
Hintergrund wird die Bedeutung von Cattenom für eine ausreichende Grundlastversorgung der Großregion Saar-Lor-Lux zunehmen. Atomstrom ist in der EU-Taxonomie als CO2-frei verankert und dient damit zumindest als Brückenlösung.“
Gilt das auch für Batteriezellfertigung, die der chinesische Hersteller SVolt auf dem Linslerfeld in Überherrn hochziehen will? Die Batterieherstellung ist extrem energieintensiv, SVolt beziffert den Strombedarf im Endausbau auf 810 Gigawattstunden im Jahr, das entspricht zehn Prozent des heutigen Stromverbrauchs des gesamten Saarlandes. Der ehemalige AfD-Abgeordnete Lutz Hecker, ein Ingenieur, vermutete 2020 im Landtag, dass SVolt nur deshalb nach Überherrn komme, weil das Werk an die nahegelegene Leitung mit kostengünstigem und permanent verfügbarem CattenomStrom angeschlossen werden könne.
Fragt man bei SVolt nach, erhält man eine andere Antwort: „Das Atomkraftwerk Cattenom spielt für das SVolt-Werk in Überherrn keine Rolle.“Für die Fabrik in Überherrn plane SVolt, „zu 100 Prozent grünen Strom aus dem europäischen Zentralnetz zu beziehen“. Ergänzend wolle SVolt so viel direkt erzeugten Strom wie möglich aus regenerativen Quellen einspeisen. „Photovoltaik und andere regenerative Energien spielen für SVolt und die konkreten Planungen eine große Rolle, zumal den Endkunden entsprechende Nachweise vorzulegen sind“, sagte die Sprecherin.
Für PV-Anlagen eigne sich nach derzeitigem Stand rund die Hälfte der Dachflächen der geplanten Fabrik. „Für die Stromversorgung in der Nacht oder an Tagen, an denen die Sonneneinstrahlung nicht ausreicht, plant SVolt, den so erzeugten Strom in Energiespeicherlösungen zwischenzuspeichern, die SVolt selbst herstellt.“Auch seien Kraft-WärmeKopplung und Wärmerückgewinnung aus der Abluft geplant.
Die Frage, die sich nach dem deutschen Atom-Ausstieg stellt, ist: Wird Atomstrom aus Cattenom für das Saarland noch wichtiger? „Die Preiswirkung durch die Stilllegung ist marginal, insofern ändert sich an den Vermarktungschancen von Cattenom in Deutschland nichts“, sagt Professor Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücken. „In den Phasen, wo Cattenom läuft (keine Kühlwasserprobleme, keine technischen Probleme) und die Nachfrage in Frankreich selber nicht exorbitant hoch ist (vor allem im Winter durch die Stromheizungen), wird die Anlage grenzüberschreitend maximal vermarktet; das dürfte aber heute bereits der Fall sein.“
„In den Phasen, wo Cattenom läuft und die Nachfrage in Frankreich selber nicht exorbitant hoch ist, wird die Anlage grenzüberschreitend maximal vermarktet.“Professor Uwe Leprich Energie-Experte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW)