Ministerin will vom Bistum Täter-Namen wissen
Bildungsministerin Streichert- Clivot erwartet sich von der in ihrem Ministerium angesiedelten neuen Ombudsstelle für Opfer von sexualisierter Gewalt eine bessere Aufklärung von Missbrauchsfällen im Verantwortungsbereich des Bistums Trier.
SAARBRÜCKEN Eine in ihrem Ministerium angesiedelte neue Ombudstelle für Opfer von sexualisierter Gewalt soll nach dem Willen von Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) die Aufklärung von Missbrauchsfällen aus dem kirchlichen Umfeld künftig verbessern. Die neue Anlaufstelle verstehe sich als „direkte Schnittstelle zwischen Schulaufsichtsbehörden und Institutionen“und werde auch präventive Angebote an Schulen machen, kündigte Streichert-Clivot am Dienstag in der Landespressekonferenz an.
Die Opfer hätten ein Recht auf Aufarbeitung und müssten auch Teil des Prozesses sein, „der das bisherige System grundlegend verändern soll“, so die Ministerin. Das bisherige System sah so aus, dass die katholische Kirche nicht erst im Fall des im November 2022 verstorbenen Friedrichsthaler Priesters Edmund Dillinger, der über Jahrzehnte sexuellen Missbrauch verübt und fotografisch festgehalten hatte, lieber möglichst lange den Mantel des Schweigens über ihr zu Ohren gekommene Verdachtsfälle warf. Der Bischof von Trier räumte dieser Tage in einem SZ-Interview selbst ein, dass es sich hierbei „um systematisches Versagen, um Vertuschen“handelte.
In Dillingers ministerieller Personalakte – er war von 1979 bis 1999 als Religionslehrer am Staatlichen MaxPlanck-Gymnasium in Saarlouis tätig und stand dabei als Kirchenbeamter „unter der Dienstherrschaft der Kirche“, so Streichert-Clivot – fand sich nach Auskunft der Ministerin kein Hinweis auf schulische Übergriffe Dillingers. Taten Dillingers im schulischen Umfeld ließen „sich dennoch nicht ausschließen“. Daher verstehe sich die von ihr nun eingerichtete Ombudsstelle auch „als Anlaufstelle für womöglich betroffene ehemalige Schüler“, an die diese sich nun wenden könnten.
„Irritierend“nannte StreichertClivot es, dass Dillinger trotz seiner der Kirche bekannten Straftaten damals als Schullehrer eingesetzt werden konnte. Seit vielen Jahren propagiere das Ministerium an saarländischen Schulen „eine NullToleranz-Politik“. Verdachtsfälle müssten Schulleiter an die Schulaufsicht melden, die die Betroffenen möglichst noch am selben Tag anhöre. Bis dahin gelte für sie ein „Unterrichts- und Betretungsverbot der Schule“. Erhärteten sich Verdachtsfälle, folgten eine Suspendierung und disziplinarrechtliche Ermittlungen.
Aus ihrer Sicht ist als Konsequenz aus dem Fall Dillinger zwar „zwingend eine Zusammenarbeit mit dem Bistum bei der Aufarbeitung nötig“, die Ombudsstelle werde aber gezielt unabhängig vom Bistum Trier eingerichtet, betonte die SPD-Politikerin. „Wir brauchen hier eine ganz klare institutionelle Abgrenzung zwischen Kirche und Staat.“Kindern und Jugendlichen soll es über die Ombudsstelle „so einfach wie möglich gemacht werden, sich Gehör zu verschaffen“.
Aus dem im August 2022 veröffentlichten Zwischenbericht der kirchlichen Aufarbeitungskommission von Kindesmissbrauch im Verantwortungsbereich des Bistums Trier geht hervor, dass von 1946 bis Ende 2021 insgesamt 513 Betroffene identifiziert waren, die im Kinderoder Jugendalter oder als schutzbedürftige Erwachsene durch Kleriker oder Laien in Diensten des Bistums missbraucht wurden. 195 Geistliche wies der Zwischenbericht als Beschuldigte oder Überführte auf. Ihre Namen sind dem Bistum zwar bekannt, „ohne dass die erforderlichen Informationen jedoch übermittelt“worden seien, kritisiert StreichertClivot. Dass das saarländische Bildungsministerium bis heute nicht weiß, ob und wie viele dieser 195 Sexualtäter an Schulen tätig waren oder sind, offenbart das kardinale Problem des Ganzen: Die rechtliche Parallelwelt der Kirche kann sich staatlichem Einfluss entziehen.
Die Bildungsministerin kommentierte dies zurückhaltender: „Der Fall Dillinger hat uns gezeigt, dass an diesem Punkt eine klare Schwachstelle besteht.“Weder vom Bistum noch von der Aufarbeitungskommission habe das Ministerium seit Bekanntwerden der jüngsten Missbrauchsfälle „verwertbare Unterstützung bekommen“. Aktuell gebe es 36 Personen, die im Rahmen sogenannter „Gestellungsverträge“als Religionslehrkräfte der Kirche in den saarländischen Schuldienst eingestellt worden sind. Sämtliche „Gestellungsverträge“werden von der Ombudsstelle nun bis in die 1970er Jahre zurück überprüft, versprach Streichert-Clivot. In dem Zusammenhang „erwarte ich auch einen Abgleich dieser Daten des Bistums als Selbstverpflichtung“, machte sie deutlich. Mit anderen Worten: Das Bistum soll endlich die Namen herausrücken. Zugleich betonte Christine Streichert-Clivot jedoch, dass „keine Berufsgruppe unter Generalverdacht gestellt werden“dürfe.
Die „ungenügende Aufklärungsarbeit der katholischen Kirche in den letzten Jahren“zeige jedenfalls, so kommentierte sie den Fall Dillinger und dessen Folgen an die Adresse der Kirche gerichtet, dass es sehr schwer sei, „dort verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen“. Streichert-Clivot kündigte an, die Frage nach den unterschiedlichen Rechtsräumen (Kirchen- und Staatsrecht) im Rahmen der Kultusministerkonferenz nochmals „genau in den Blick zu nehmen“. Die Vergangenheit lehre, dass es nicht reiche, die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in den Reihen der Kirche zu belassen, es brauche „staatliche Flankierung“.
Die Vereinigung der Missbrauchsopfer im Bistum (MissBiT) begrüßt die Einführung einer Ombudsstelle. Man habe allerdings Zweifel, „wie wirksam so eine Stelle ist“, bleibt MissBiT-Vorstandsmitglied Hermann Schell skeptisch: „Aller Aufklärungswille, der auf eine freiwillige Kooperation des Bistums baut, ist zum Scheitern verurteilt“, so Schell. In der Vergangenheit seien „Missbrauchspriester wiederholt an Schulen, Pflegeheime und Krankenhäuser entsorgt worden“.
Die Ombudsstelle ist telefonisch ab sofort erreichbar unter: (06 81) 5 01 73 04 oder unter ombudsstelle@bildung.saarland.de