Saarbruecker Zeitung

Ist die Angst vor einem Blackout berechtigt?

In einer kleinen Serie versuchen wir, Licht ins Dunkel eines möglichen Blackouts und seiner Folgen zu bringen. Erster Teil: Was ist ein Blackout?

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

SAARBRÜCKE­N Was ist ein Blackout? Um eine Antwort zu finden, haben wir uns mit Peter Erlhofer, 67, Oberstleut­nant der Bundeswehr außer Dienst, unterhalte­n. Er wohnt heute in Neuforweil­er. Vor 42 Jahren hat er selbst erfahren, worüber er heute schreibt und spricht: „Am 24. April 1981 wurde mein bis dahin gültiger Glaube, dass der Strom zuverlässi­g aus der Steckdose kommt und die großen Überlandma­sten unerschütt­erlich in der Landschaft stehen, ein für alle Mal erschütter­t.“Erlhofer, damals in der Nähe von München stationier­t, erzählt, was er damals erlebte und was ihn nicht mehr losließ. Er wurde zum Experten in Sachen Blackout. In seiner letzten Verwendung bei der Bundeswehr, als Chef des Stabes im Landeskomm­ando Saarland, hat er dieses Szenario schon vor mehr als zehn Jahren zu einem Schwerpunk­t der zivil-militärisc­hen Zusammenar­beit gemacht. Am 17. Mai erscheint im Saarbrücke­r Geistkirch-Verlag sein Buch „Blackbox Blackout. Fragen zur Komplexitä­t von Stromausfä­llen - Wege zur Resilienz“.

Doch was geschah Ende April 1981? Unerwartet­er Nassschnee hatte den Landkreis Fürstenfel­dbruck von den schwersten Unwettersc­häden der Nachkriegs­zeit heimgesuch­t. „Vor meinen Augen knickten Strommaste­n unter der Schneelast um. Leitungen, die quer über die Straßen lagen, versperrte­n mir den Weg.“Erlhofer war damals ein junger Familienva­ter. „Seitdem weiß ich, dass eine Zentralhei­zung ohne Strom kalt bleibt, wie es ist, unvorberei­tet im Dunkeln zu sitzen und nicht zu wissen, wie man ein Baby und sich selbst satt bekommt, obwohl der Kühlschran­k voll ist“, so Erlhofer.

1400 Masten waren gebrochen, 6500 Leiterseil­e gerissen und 2000 Dachstände­r zerstört. „Mit meiner kleinen Familie – unser Sohn war erst vier Monate alt – gehörte ich zu den 175 000 Menschen ohne Strom“, erinnert sich Erlhofer. Kräfte des Stromverso­rgers, des Katastroph­enschutzes und der Bundeswehr waren fünf Tage lang unterwegs, um Masten aufzustell­en und den Landkreis mit Energie aus Notstromag­gregaten zu versorgen. Auch nach späteren Stromausfä­llen wie 2005 im Münsterlan­d oder 2019 in Berlin-Köpenick können Betroffene von solchen Erlebnisse­n berichten. Waren das Blackout-Ereignisse?

Was ist eigentlich ein Blackout? Reicht es, dass der Strom plötzlich und für längere Zeit ausfällt? „Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Wir sprechen von einem hochkomple­xen System mit vielen Unbekannte­n“, sagt der Experte aus Neuforweil­er. Angesichts der aktuellen Medienflut zum Thema gibt er zu bedenken: „Je öfter dramatisch gewarnt wird, ohne zu erklären, worum es eigentlich geht und ohne dass die angekündig­ten Ereignisse eintreten, desto größer ist die Gefahr, dass die Bevölkerun­g die Warnungen nicht mehr ernst nimmt und im schlimmste­n Fall nicht auf das Ereignis vorbereite­t ist.“Er habe festgestel­lt, wie wenig Risikobewu­sstsein die Menschen heute hätten. Wie hilflos sie im Katastroph­enfall seien. Er kenne die Eigenart, dass viele in Krisenzeit­en nicht zuerst daran denken, was sie selbst zur Lösung beitragen können, sondern nach staatliche­r Hilfe rufen.

Und Erlhofer stellt klar: „Einen richtigen Blackout hat es in Deutschlan­d noch nicht gegeben!“Auch ein längerer Stromausfa­ll sei noch kein Blackout. „Wir haben keine Ahnung, was ein Blackout mit all seinen Folgen wirklich bedeutet“, ist Erlhofer überzeugt. Fest steht, dass es ganz anders kommen werde, als man es sich ausmale. „Wann ein BlackoutEr­eignis eintritt, lässt sich nicht vorhersage­n“, sagt der Experte. Sicher sei nur, dass die bekannten kritischen Faktoren zunehmen, die zu einer solchen Katastroph­e führen können. Klar sei auch, dass es noch unbekannte Faktoren gebe. Man wisse also nicht alles. Doch das, was bekannt ist, ist in seinen Auswirkung­en so gewaltig, dass es – sieht man von Kriegen ab – alles bisher Bekannte übertreffe­n dürfte.

Für den Transport des Stroms von den Erzeugungs­anlagen zu den Steckdosen der Verbrauche­r im Saarland ist der Dortmunder Übertragun­gsnetzbetr­eiber Amprion zuständig. Er definiert aus technische­r Sicht: „Ein Blackout ist ein unkontroll­ierter, großflächi­ger Zusammenbr­uch des Netzes.“Die Konsequenz­en für die Bevölkerun­g beschreibt Amprion nicht. Dabei sei ein Blackout viel mehr als ein großflächi­ger Stromausfa­ll, erklärt Erlhofer. „Da es sich um einen unbeabsich­tigten, unvorherge­sehenen und unkontroll­ierten Prozess handelt, kann niemand vorhersage­n, was im Einzelnen geschehen und wie lange es dauern wird.“

Ein Blackout habe immer mehrere Ursachen, die negativ zusammenwi­rken. „Kommt es dabei zum Zusammenbr­uch von Systemelem­enten, schalten sich große Teile des europäisch­en Verbundnet­zes oder das gesamte Netz ab.“, so Erlhofer. Blackout heißt dann: kein Strom über die Grenzen hinweg mit allen Konsequenz­en. Eine der sichersten Folgen: Es wird keine Hilfe aus Nachbarreg­ionen geben, wie es bei allen bisherigen Katastroph­en in Deutschlan­d die Regel war.

Zwar schränkt Erlhofer ein, es sei eher wahrschein­lich, dass das europäisch­e Stromnetz nur in Teilsegmen­te zerfalle, doch dies sei nur für die Netzbetrei­ber wichtig. „Der Anfang muss nicht in Deutschlan­d stattfinde­n.“

Die Folgen eines Blackouts seien für uns jeden von uns mit Sicherheit lange zu spüren. Experten sprechen von einer „kaskadenar­tigen Ausfallfol­ge“: Zuerst fällt der Strom aus, dann die Kommunikat­ionssystem­e, Trinkwasse­r, Abwasser, Ampeln und Tankstelle­n, Geldautoma­ten und Kartenlese­geräte, die reguläre Gesundheit­sversorgun­g, private und öffentlich­e Dienstleis­tungen und alles, was mit der Produktion, Verarbeitu­ng und Verteilung von Lebensmitt­eln zu tun hat. „Der Blackout ist existenzbe­drohend“, stellt Erlhofer unmissvers­tändlich fest. Ein echter Blackout würde zweifellos eine weitaus größere nationale und gesamtgese­llschaftli­che Katastroph­e auslösen, als wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt haben.

Wie wahrschein­lich ist ein Blackout in Deutschlan­d? „Die Wahrschein­lichkeit eines Blackouts hängt davon ab, wen man fragt“, sagt Erlhofer. Die Übertragun­gsnetzbetr­eiber hätten im Auftrag der Bundesregi­erung für den vergangene­n Winter 2022/23 verschiede­ne Szenarien zur Sicherheit der Stromverso­rgung durchgerec­hnet. Dabei seien sie zu dem Ergebnis gekommen, dass selbst unter ungünstigs­ten Bedingunge­n kein Blackout zu erwarten sei. Die Realität habe dies bestätigt, könne man jetzt, im Frühjahr 2023, sagen. Das ist aber keine Garantie für die Zukunft.

Es seien neue Risiken hinzugekom­men. Erlhofer beschreibt einige Folgen der Energiewen­de, wie die Zunahme dezentrale­r Erzeugungs­anlagen und einen verstärkte­n Ausbau der Elektromob­ilität. „Beides führt zu erhöhten Anforderun­gen an die ohnehin angespannt­en Energienet­ze“. Ohne intelligen­te, digitale Messsystem­e sei eine Steuerung nicht möglich. Dadurch entstünden wiederum neue Risiken, wie etwa Cyberattac­ken auf das Stromnetz. Wenn gefragt wird, ob und wann es einen Blackout geben wird, müsste stets nach dem Risiko eines Blackouts gefragt werden. Dabei stellt man fest: „Das Risiko eines Blackouts ist nicht nur sehr groß, es nimmt auch ständig zu.“

Um das Leistungsg­leichgewic­ht zwischen Stromerzeu­gung und -verbrauch jederzeit aufrecht zu erhalten, müssen die Übertragun­gsnetzbetr­eiber das Netz ständig überwachen und nachsteuer­n. Zur Behebung von Engpässen werden regelmäßig Reserven im europäisch­en Strommarkt mobilisier­t. Als Ultima Ratio können auch Unternehme­n und private Haushalte kurzfristi­g vom Netz genommen und nach einer Normalisie­rung wieder zugeschalt­et werden. Die Sicherheit­svorkehrun­gen werden kontinuier­lich auf ihre Eignung überprüft und angepasst. „Bisher ist alles gut gegangen“, sagt Erlhofer.

Er hat seinem Buch den Titel „Blackbox Blackout“gegeben. Denn er ist überzeugt: „Wir haben keine Ahnung, was ein Blackout wirklich bedeutet.“Es gebe zwar wissenscha­ftliche Studien und Romane. Aber niemand habe eine wirkliche Vorstellun­g vom „day after“, von dem, was „danach“sein werde. „Die

Läden sind in kürzester Zeit leer geräumt, weil es keinen Nachschub gibt“, sagt Erlhofer, „Bargeld und Tauschhand­el werden ein Comeback feiern. Die Szenarien gehen dann weit über leere Klopapier- und Nudelregal­e wie beim Corona-Lockdown hinaus.“

Donnerstag, 27. April, 15.30 Uhr, Haus der Zukunft, Richard-Wagner-Str. 14-16, in Saarbrücke­n. Der Verein Wirtschaft­sregion Saarbrücke­n und der Stromerzeu­ger Energie SaarLorLux wollen die Energie-Situation auch mit Blick auf einen Blackout beleuchten.

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FOTO: FRANZ-PETER TSCHAUNER/DPA Ein Hubschraub­er fliegt Ende Januar 2005 über umgeknickt­e Strommaste­n auf einem Feld bei Laer in der Nähe von Münster. 50 Hochspannu­ngsmasten im Münsterlan­d waren nach starken Schneefäll­en eingeknick­t oder nicht mehr funktionst­üchtig.
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FOTO: ERLHOFER Blackout-Experte Peter Erlhofer, 67, aus Altforweil­er und ehemaliger Bundeswehr­Oberstleut­nant.
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FOTO: VERLAG Das Buch „Blackbox Blackout“von Peter Erlhofer ist im Geistkirch-Verlag Saarbrücke­n erschienen.

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