Toptalent mit beeindruckender Willenskraft
Gabriel Eichhorn von der TG Saar, Bruder von Elisabeth Seitz, ist erst 17 Jahre alt, stand aber schon vor dem Karriere-Aus.
STUTTGART Eine Tkatschow-Grätsche nach der anderen zaubert Gabriel Eichhorn aus Altlußheim im Olympiastützpunkt Stuttgart über die Reckstange, auch der Kreuzhang an den Ringen sieht spielerisch leicht aus. Kaum zu glauben, dass der heute 17-jährige deutsche Junioren-Vizemeister und Bundesliga-Turner der TG Saar vor rund fünf Jahren von Ärzten gesagt bekam, dass er nie wieder Leistungsturnen betreiben könne.
„Für mich ist damals eine Welt zusammengebrochen“, sagt er beim Gespräch in der väterlichen Wohnung in Altlußheim. Eine Welt, auf die er sich erst kurze Zeit vorher mit Haut und Haar eingelassen hatte. Mit gerade einmal zwölf Jahren traf Eichhorn gemeinsam mit seinen Eltern die Entscheidung, das behütete Zuhause zu verlassen und dorthin zu ziehen, wo seine sportlichen Fähigkeiten optimal gefördert werden konnten: Ins Internat nach Stuttgart, wo er die Eliteschule des Sports besuchte und am Olympiastützpunkt trainierte. „Ich war gerade dabei, mich richtig einzuleben, als es in einem Wettkampf passierte.“
Beim Sprung setzte er bei einem Zwischenelement so unglücklich auf, dass im Radiusköpfchen des Ellenbogens ein Stück Knochen abbrach und der Gelenkknorpel massiv beschädigt wurde. Da die
Verletzung sehr selten auftrat, wurde sie lange Zeit nicht erkannt. Und als die Diagnose stand, wollte kein Arzt operieren, weil Eichhorn eben noch zu jung für so einen Eingriff war. „Ich war wirklich total fertig in dieser Zeit“, erinnert er sich. Eichhorn flog aus dem Leistungskader und verließ auch das Sportinternat. Seine Karriere als Leistungsturner stand schon wieder vor dem Ende.
Aus lauter Verzweiflung probierte sich Eichhorn im Wasserspringen. Dass er gleich bei seinem ersten Wettkampf die badischen Jugendmeisterschaften auf dem dritten Platz abschloss, war kein wirklicher Trost. „Ich wollte einfach nur turnen. Das war schon immer meine große Leidenschaft“, sagt Eichhorn.
Seine Lage schien aussichtslos. Selbst seine Schwester, Deutschlands Turn-Star Elisabeth Seitz, riet ihrem Bruder zu akzeptieren, dass der Traum von der Sportlerkarriere vorbei war: „Ich habe selbst einige Verletzungen durchgemacht, aber Gabriels Verletzung war wirklich schlimm“, sagt Seitz über die damalige Zeit, um direkt zu ergänzen: „Umso größer ist mein Respekt, wie er sich da rausgekämpft hat.“
Eichhorn ließ einfach nicht locker. Und mit dem Ellenbogen-Spezialisten Boris Hollinger fand er einen Orthopäden, der seine Verletzung operierte. Obwohl auch der Mediziner aus Markgröningen trotz des erfolgreichen Eingriffs Gabriel wenig Hoffnung auf Leistungssport machte, blieb der stets optimistisch.
Natürlich weiß auch Eichhorn um die enormen Kräfte, die bei vielen Turnübungen auf das empfindliche Ellenbogengelenk einwirken. Er habe aber immer an seinen Körper geglaubt, sagt er. Tatsächlich gestaltete sich der Heilungsprozess so gut, dass er heute nichts mehr spürt und keinen Gedanken mehr an die Verletzung verschwendet. Vermutlich war es sein junges Alter, das beim Verwachsen des geschädigten Knorpels im Ellenbogen half. „Die Gewissheit, eine riesige Hürde bereits in jungen Jahren gemeistert zu haben, hilft mir heute auf dem schweren Weg nach oben“, sagt Eichhorn.
Sein Ehrgeiz, das große Ziel zu erreichen, sei durch die Verletzungserfahrung noch größer geworden, bestätigt Vater Maik Eichhorn: „Ich erlebe Gabriel wirklich sehr fokussiert, dabei aber immer mit einem Lächeln und viel Spaß.“Auch Elisabeth Seitz, die sich als „größten Fan“ihres Bruders bezeichnet, bestätigt das: „Sein Optimismus ist ansteckend. Was er bisher geschafft hat, hat er alleine mit seiner Motivation, mit seiner Willenskraft erreicht.“
Der Willen sei in der Tat bei ihm sehr ausgeprägt, sagt Eichhorn. Der Traum von großen Wettkämpfen, wie sie Seitz erlebt hat, war für ihn in der zweijährigen Verletzungspause ebenfalls eine große Hilfe auf dem Weg zurück in den Leistungsturnsport. „Ich habe meine Schwester so oft bei den großen Events gesehen. Das wollte und will ich unbedingt auch schaffen.“Und noch viel mehr. Ganz offen spricht Eichhorn davon, einmal „Olympiasieger“werden zu wollen. Angesichts der Klarheit und Zuversicht, die er ausstrahlt, ist ihm das durchaus zuzutrauen.
Nicht nur sein Trainer Thomas Andergassen hält große Stücke auf Gabriel Eichhorn, auch unabhängige Fachkräfte sind von seinem Talent überzeugt. So erhielt er bei den vergangenen Junioren-Meisterschaften eine Auszeichnung als technisch bester Turner. Dass ihn die TG Saar verpflichtete, ist ebenfalls ein Indiz für seine Qualität. Am Samstag (18 Uhr) beim Heimkampf in der Kreissporthalle in Dillingen gegen den Titelfavoriten KTV Straubenhardt wird Eichhorn im Aufgebot stehen. „Es ist extrem hilfreich für mich, mit internationalen TopAthleten wie Joe Fraser in einem Team zu turnen“, sagt Eichhorn.
Seine Ausgangslage könnte kaum besser sein. „Ich bin mir meiner Chance bewusst, weiß aber aus eigener Erfahrung auch, dass alles ganz schnell vorbei sein kann“, sagt er. Umso wichtiger ist es ihm, einen guten Schulabschluss in der Tasche zu haben. Aktuell steckt er mitten in der Abi-Phase an der Mannheimer Merkur Akademie. Und fährt täglich mit dem Zug nach Stuttgart, um nach vier Stunden Training im Olympiastützpunkt wieder die Heimreise anzutreten. „Das ist ganz schön herausfordernd“, sagt er: „Wenn ich das Abi in der Tasche habe, konzentriere ich mich voll aufs Turnen.“Wenn alles gut geht und er weiter im DTB-Nachwuchskader turnt, macht er das als Soldat in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. „So wie meine Schwester“, sagt er und fügt lächelnd an: „Das sind doch gute Voraussetzungen.“
„Ich wollte einfach nur turnen. Das war schon immer meine große Leidenschaft.“Gabriel Eichhorn Bundesliga-Turner der TG Saar