Saarbruecker Zeitung

Schwierige Wochen für den Kanzler

Auch die 160-Jahr-Feier kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die SPD in Bedrängnis ist. Die Bremen-Wahl am Sonntag und die „ Midterms“im Herbst in Bayern und Hessen sind ein wichtiger Stimmungst­est.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Ob die Hessen das so gerne gehört haben? Der Kanzler, bekennende­r Hamburger, ist zu Gast bei einer Veranstalt­ung der Hessen-SPD in der hessischen Landesvert­retung in Berlin. Geladen wurde zu „Äppelwoi und Ahle Wurscht“, Olaf Scholz ist Ehrengast. Äppelwoi habe er schon schon als Erster Bürgermeis­ter in Hamburg getrunken, bekennt Scholz und fügt hinzu: Auch der sei lecker gewesen. Die Hessen im Saal halten sich mit dem Applaus bei dieser Bemerkung des Kanzlers merklich zurück.

Deutlich mehr Beifall bekommt Scholz dann für seine MutmachAns­prache in Richtung der Spitzenkan­didatin der hessischen SPD für die Landtagswa­hlen im Herbst, Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser. „Liebe Nancy, ich freue mich immer noch, dass ich dich zur Innenminis­terin gemacht habe, und trotzdem wünsche ich dir viel Erfolg bei dem, was du in Wiesbaden vor hast“, sagt Scholz. Auch wenn er mit hessischen Traditions­getränken etwas fremdeln mag – „die Hessen kommen“, ist sich Scholz als Sozialdemo­krat sicher.

Tatsächlic­h steht für den SPDRegieru­ngschef bei den Landtagswa­hlen in diesem Jahr einiges auf dem Spiel – auch für den Bund. Die Wahlen in Bayern und Hessen am 8. Oktober werden auch etwas über seine Halbzeitbi­lanz aussagen. Da in Bayern die SPD gegen die CSUÜbermac­ht traditione­ll wenig ausrichten kann, rückt vor allem Hessen in den Blickpunkt der Sozialdemo­kraten. Nachdem dort nicht mehr Volker Bouffier, sondern dessen Nachfolger Boris Rhein in der Wiesbadene­r Staatskanz­lei sitzt, rechnet man sich doch einiges aus.

Allerdings sehen die Umfragen für die hessische SPD bislang nicht gut aus, die CDU und Rhein liegen deutlich in Front, aber eine Ampel mit Grünen und FDP unter Führung der SPD ist derzeit in der Theorie möglich. Scholz hält persönlich viel von Faeser und stärkte ihr auch den Rücken bei ihrer Entscheidu­ng, den hessischen Wahlkampf als Innenminis­terin zu führen und – im Fall einer Niederlage – auch weiter in Berlin zu bleiben. In der Partei- und Fraktionsf­ührung der Bundes-SPD hielten und halten das einige für einen klaren Fehler.

Für die Stimmung unter den Sozialdemo­kraten ist auch die Wahl am kommenden Sonntag in Bremen wichtig. Seit dem Zweiten Weltkrieg regiert die SPD in der Hansestadt ununterbro­chen. 2019 wäre die Macht fast verloren gegangen, erstmals wurde die CDU stärkste Kraft. Der Bremer Bürgermeis­ter Andreas Bovenschul­te will diese Scharte ausmerzen, den Umfragen zufolge könnte die SPD, die derzeit mit den Grünen und den Linken regiert, wieder stärkste Kraft werden.

Angesichts der bundesweit derzeit schlechten Umfragewer­te geht es auch für die Bundespart­ei um ein möglichst gutes Signal am Wahltag.

Die Wahlen in Bayern und Hessen am 8. Oktober werden auch etwas über die Halbzeitbi­lanz des Kanzlers aussagen.

Am Freitag tritt deshalb die gesammelte Parteispit­ze plus Kanzler und dem niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Stephan Weil zum Abschluss des Wahlkampfs noch einmal in Bremen auf.

Denn kurz vor dem 160. Geburtstag der Partei, der mit vielen Veranstalt­ungen begangen wird und an dem die beiden Parteivors­itzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil neben Scholz Reden angekündig­t haben, geht es auch um eine Standortbe­stimmung der Partei. Die Streiterei­en in der Ampel-Regierung, die Diskussion­en um das Heizungsge­setz zahlen bei der SPD nicht gut ein. Gleichzeit­ig gehen die Zahlen bei der AfD in den Umfragen weiter hoch, was nicht nur den

Kanzler besorgt. Nach wie vor sind Scholz Umfragewer­te besser als die seiner Partei – doch das Grummeln über Führungsst­il des Kanzlers und inhaltlich­en Kurs der Partei wird analog zu schlechten Umfragewer­ten größer werden.

Nun fügt es sich, dass Scholz vor der Bremer Wahl noch einen besonderen Balanceakt bestehen muss. Am Mittwoch tagt der Bund gemeinsam mit den Ministerpr­äsidenten der Länder zum Thema Flüchtling­e – und die Emotionen haben sich hochgescha­ukelt. Der wahlkämpfe­nden Bremer SPD-Bürgermeis­ter Bovenschul­te etwa pocht im Streit um die Finanzieru­ng der Flüchtling­shilfen auf eine hälftige Aufteilung der Kosten zwischen

Bund und Ländern und schließt sich damit einer Forderung des NRW-Ministerpr­äsidenten Hendrik Wüst von der CDU an.

Für SPD und FDP geht es bei der Migrations­politik auch um eine politische Verständig­ung, was Kontrolle, Steuerung und Rückführun­gen angeht. Einerseits soll ein sogenannte­r Spurwechse­l erleichter­t werden, damit qualifizie­rte Asylbewerb­er in Deutschlan­d leichter eine Arbeit annehmen können. Zum anderen müsse aber die Zahl der sicheren Herkunftsl­änder zur Verkürzung der Asylverfah­ren ausgeweite­t werden, heißt es etwa von der FDP. Und, last but noch least: Der Außengrenz­schutz der EU müsse robuster werden, was nach Aussage von FDP

Chef Christian Lindner auch „Zäune“an den Außengrenz­en bedeuten könne.

All dies sind Punkte, die auch die SPD und ihr Kanzler am Mittwoch besprechen wollen. Aber die Sorge ist groß, dass am Ende doch wieder nur übers Geld geredet wird – und sich Bund und Länder die Milliarden­beträge vorrechnen, die sich jährlich für Flüchtling­e ausgeben. Scholz ist hier also als Moderator auf verschiede­nen Ebenen gefragt, eine Einigung würde auch auf das Konto seiner Innenminis­terin einzahlen. Und wenn nicht? „Am Ende ist es dann die AfD, die das zusammenre­chnet“, warnte SPD-Chef Klingbeil vor Kurzem vor einer Stimmungsm­ache mit diesem Thema.

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FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP Landtagswa­hlen, Standortbe­stimmung der SPD, Bund-Länder-Flüchtling­sgipfel: Es steht viel auf dem Spiel für Kanzler Olaf Scholz.

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