Saarbruecker Zeitung

Wie die EU die Methan-Emissionen regulieren will

- VON KATHRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: David Hoffmann Iris Neu-Michalik

Die Katastroph­e war auf den ersten Blick unsichtbar. Aus einer Förderanla­ge in Turkmenist­an nahe des Kaspischen Meers strömten im August vergangene­n Jahres zeitweise 427 Tonnen Methan (CH4) pro Stunde in die Atmosphäre. Farbund geruchlos entwich das Gas. Von einem Satelliten aufgenomme­ne Bilder zeigten später violett-gelbe Gasfahnen, die sich über den zentralasi­atischen Staat zogen, einige von ihnen über 32 Kilometer lang. Für die Atmosphäre war es ein Desaster: Das einzelne Leck entsprach der Emissionsr­ate von 67 Millionen Autos, errechnete die französisc­he Datenanaly­se-Firma Kayrros. Denn Methan ist das zweitwicht­igste Treibhausg­as nach Kohlendiox­id. Es heizt das Klima umgerechne­t auf 100 Jahre 28 Mal stärker auf als dieselbe Menge CO2. Weil rund 60 Prozent der globalen Ausstöße von Menschen verursacht sind, will die EU nun einschreit­en. Mit einer Verordnung, über die das EU-Parlament am heutigen Dienstag abstimmt, sollen erstmals europaweit Methan-Emissionen im Energiesek­tor reguliert werden. So könnten drei Viertel der Ausstöße „mit einfachen Mitteln und ohne große Investitio­nen vermieden werden“, sagte die Grünen-Europaabge­ordnete Jutta Paulus. Die Regeln sehen vor, dass Öl- und Gaskonzern­e, Kohleförde­rer sowie Betreiber von Biogasanla­gen künftig ihre Infrastruk­tur regelmäßig auf Methanleck­agen untersuche­n und über die Ergebnisse Bericht erstatten müssen. Sollten sie Lecks etwa an Quellen oder Pipelines aufspüren, wären die Firmen verpflicht­et, diese innerhalb von 30 Tagen zu schließen.

Außerdem will die EU im Bergbau das Belüften und Abfackeln von Methan ab einem Ausstoß von fünf Tonnen CH4 pro Kilotonne geförderte­r Kohle verbieten. Für den inaktiven Bergbau will man sich an Beispielen aus dem Saarland oder dem Ruhrgebiet orientiere­n, sagte der SPD-Europaabge­ordnete Jens

Geier. Hier dämmten Unternehme­n den Methan-Ausstoß bereits erfolgreic­h ein, etwa über die energetisc­he Nutzung von Grubengase­n oder mit dem Aufstauen des Grubenwass­ers, um Methanblas­en zu vermeiden. „Solange wir fossile Rohstoffe fördern, werden wir es mit Methan zu tun haben“, so Geier. Aussteigen aus

den fossilen Energieträ­gern sei daher weiter der beste Klimaschut­z. „Methan abzusaugen und zu verbrennen, bleibt die zweitbeste Lösung.“Vor allem aber müsse man „unkontroll­ierte Methan-Austritte“stoppen. Geht der Kompromiss wie erwartet im Hohen Haus Europas durch, stehen als Nächstes die Verhandlun­gen mit den 27 EU-Mitgliedst­aaten über das finale Gesetz an.

Die Parlamenta­rier verschärft­en den Entwurf der EU-Kommission in der Form, dass sie die Vorschrift­en auf Einfuhren ausweitete­n. Dieser Punkt sei relevant, weil die Staatengem­einschaft derzeit mehr als 80 Prozent der fossilen Brennstoff­e importiert. Deshalb sollen ab 2026 Kohle-, Öl- und Gasimporte­ure nachweisen, dass sie dieselben Anforderun­gen erfüllen. Nicht nur in Turkmenist­an werden regelmäßig sogenannte Super-Emitter-Events verzeichne­t, auch die USA und Russland sind vorne dabei, wenn es um riesige Methanleck­s geht. Die Verordnung habe das Potential, „weltweit eine enorme Menge Emissionen einzuspare­n“, sagte Paulus. Laut Schätzunge­n der Internatio­nalen Energieage­ntur wären es ungefähr 400 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent­e pro Jahr – „ein dickes Brett“, so die Grüne. Methan gilt als zweischnei­diges Schwert: Es trägt über einen Zeitraum von 20 Jahren 80 Mal stärker zur Erderwärmu­ng bei als die gleiche Menge Kohlendiox­id, verschwind­et aber in etwa einem Jahrzehnt aus der Atmosphäre, also deutlich schneller als CO2. Einige Lecks sind beabsichti­gt bei der Ausbeutung fossiler Ressourcen, indem das unerwünsch­te Gas, das etwa bei Ölbohrunge­n aus dem Untergrund freigesetz­t wird, in die Luft entweicht. Andere stammen schlichtwe­g von schlecht gewarteten oder unzureiche­nd regulierte­n Anlagen.

Eine weitere Sünderin ist in der Verordnung derweil nicht berücksich­tigt: die Landwirtsc­haft. Diese ist laut Umweltbund­esamt für rund zwei Drittel des Methan-Ausstoßes in Deutschlan­d verantwort­lich. 80 Prozent des CH4, das auf das Konto des deutschen Agrarwesen­s geht, stammen von Rindern. So rülpst ein Hausrind am Tag rund 100 bis 200 Liter Methan.

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FOTO: IMAGO IMAGES Die Kokerei Prosper im Ruhrgebiet. Die EU-Regeln sehen vor, das Öl-, Gaskonzern­e und Kohleförde­rer ihre Infrastruk­tur regelmäßig auf Methan-Leckagen untersuche­n müssen.

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