Wie die EU die Methan-Emissionen regulieren will
Die Katastrophe war auf den ersten Blick unsichtbar. Aus einer Förderanlage in Turkmenistan nahe des Kaspischen Meers strömten im August vergangenen Jahres zeitweise 427 Tonnen Methan (CH4) pro Stunde in die Atmosphäre. Farbund geruchlos entwich das Gas. Von einem Satelliten aufgenommene Bilder zeigten später violett-gelbe Gasfahnen, die sich über den zentralasiatischen Staat zogen, einige von ihnen über 32 Kilometer lang. Für die Atmosphäre war es ein Desaster: Das einzelne Leck entsprach der Emissionsrate von 67 Millionen Autos, errechnete die französische Datenanalyse-Firma Kayrros. Denn Methan ist das zweitwichtigste Treibhausgas nach Kohlendioxid. Es heizt das Klima umgerechnet auf 100 Jahre 28 Mal stärker auf als dieselbe Menge CO2. Weil rund 60 Prozent der globalen Ausstöße von Menschen verursacht sind, will die EU nun einschreiten. Mit einer Verordnung, über die das EU-Parlament am heutigen Dienstag abstimmt, sollen erstmals europaweit Methan-Emissionen im Energiesektor reguliert werden. So könnten drei Viertel der Ausstöße „mit einfachen Mitteln und ohne große Investitionen vermieden werden“, sagte die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus. Die Regeln sehen vor, dass Öl- und Gaskonzerne, Kohleförderer sowie Betreiber von Biogasanlagen künftig ihre Infrastruktur regelmäßig auf Methanleckagen untersuchen und über die Ergebnisse Bericht erstatten müssen. Sollten sie Lecks etwa an Quellen oder Pipelines aufspüren, wären die Firmen verpflichtet, diese innerhalb von 30 Tagen zu schließen.
Außerdem will die EU im Bergbau das Belüften und Abfackeln von Methan ab einem Ausstoß von fünf Tonnen CH4 pro Kilotonne geförderter Kohle verbieten. Für den inaktiven Bergbau will man sich an Beispielen aus dem Saarland oder dem Ruhrgebiet orientieren, sagte der SPD-Europaabgeordnete Jens
Geier. Hier dämmten Unternehmen den Methan-Ausstoß bereits erfolgreich ein, etwa über die energetische Nutzung von Grubengasen oder mit dem Aufstauen des Grubenwassers, um Methanblasen zu vermeiden. „Solange wir fossile Rohstoffe fördern, werden wir es mit Methan zu tun haben“, so Geier. Aussteigen aus
den fossilen Energieträgern sei daher weiter der beste Klimaschutz. „Methan abzusaugen und zu verbrennen, bleibt die zweitbeste Lösung.“Vor allem aber müsse man „unkontrollierte Methan-Austritte“stoppen. Geht der Kompromiss wie erwartet im Hohen Haus Europas durch, stehen als Nächstes die Verhandlungen mit den 27 EU-Mitgliedstaaten über das finale Gesetz an.
Die Parlamentarier verschärften den Entwurf der EU-Kommission in der Form, dass sie die Vorschriften auf Einfuhren ausweiteten. Dieser Punkt sei relevant, weil die Staatengemeinschaft derzeit mehr als 80 Prozent der fossilen Brennstoffe importiert. Deshalb sollen ab 2026 Kohle-, Öl- und Gasimporteure nachweisen, dass sie dieselben Anforderungen erfüllen. Nicht nur in Turkmenistan werden regelmäßig sogenannte Super-Emitter-Events verzeichnet, auch die USA und Russland sind vorne dabei, wenn es um riesige Methanlecks geht. Die Verordnung habe das Potential, „weltweit eine enorme Menge Emissionen einzusparen“, sagte Paulus. Laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur wären es ungefähr 400 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr – „ein dickes Brett“, so die Grüne. Methan gilt als zweischneidiges Schwert: Es trägt über einen Zeitraum von 20 Jahren 80 Mal stärker zur Erderwärmung bei als die gleiche Menge Kohlendioxid, verschwindet aber in etwa einem Jahrzehnt aus der Atmosphäre, also deutlich schneller als CO2. Einige Lecks sind beabsichtigt bei der Ausbeutung fossiler Ressourcen, indem das unerwünschte Gas, das etwa bei Ölbohrungen aus dem Untergrund freigesetzt wird, in die Luft entweicht. Andere stammen schlichtweg von schlecht gewarteten oder unzureichend regulierten Anlagen.
Eine weitere Sünderin ist in der Verordnung derweil nicht berücksichtigt: die Landwirtschaft. Diese ist laut Umweltbundesamt für rund zwei Drittel des Methan-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. 80 Prozent des CH4, das auf das Konto des deutschen Agrarwesens geht, stammen von Rindern. So rülpst ein Hausrind am Tag rund 100 bis 200 Liter Methan.