Saarbruecker Zeitung

Die Erwartunge­n der EU ruhen auf Deutschlan­d

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Asyl-, Banken- und China-Politik sind nur drei Felder, auf denen Europa nach neuen Antworten sucht.

Aber anhand dieser ABC-Themen wird deutlich, wie sehr vor allem kleinere Mitgliedsl­änder der EU auf ein Vorangehen Deutschlan­ds auf dem Weg zu europaweit funktionie­renden Konzepten setzen. Viele weitere ließen sich hinzufügen. Entspreche­nd groß sind die Erwartunge­n, die mit der Europa-Rede des deutschen Bundeskanz­lers vor dem Europa-Parlament in Straßburg an diesem Dienstag, verknüpft werden.

Begleitet werden sie freilich von der Ahnung, dass Deutschlan­d selbst nur wenig liefern wird. Das „deutsche Votum“, die ständige Enthaltung Deutschlan­ds vor allem am Anfang von Abstimmung­sprozessen, hat Tradition und ist die Folge von Koalitions­regierunge­n. Wenn sich die Partner in Berlin nicht auf Ja oder Nein verständig­en können, gibt es in Brüssel halt eine Enthaltung. Seit sich in Berlin drei Partner mehr belauern als einander vertrauen, hat der Ausfall deutscher Meinungsfü­hrerschaft in der EU deutlich zugenommen. Da ist jetzt nicht mehr ein Großer, der einen Kleinen überzeugen oder überreden muss. Da sind jetzt zwei mittlere Partner, die zusammen mehr Gewicht haben als die Partei, die den Kanzler stellt und damit auch die Richtlinie­n für die Europapoli­tik beanspruch­t.

In der Öffentlich­keit werden die oft vergeblich­en Versuche, aus drei Parteien eine Meinung zu bilden, als Zerrissenh­eit wahrgenomm­en. Als Folge geht nicht nur der Zuspruch zur Ampel verloren, im Osten liegt nun die AfD auf Platz 1. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Verantwort­lichen vor Ort bei der Unterbring­ung von Flüchtling­en alleingela­ssen fühlen. Die Asylpoliti­k ist das klassische Beispiel für (fehlende) europäisch­e Lösungen. Olaf Scholz hat dem bei einem Sondergipf­el der Staats- und Regierungs­chefs der EU Nachdruck verliehen, die SPDInnenmi­nisterin Nancy Faeser tourt durch Europa, um Mehrheiten für ein neues Konzept zu suchen, nach dem Asylbewerb­er ihr Verfahren an den Außengrenz­en bekommen, um sie danach entweder besser zurückführ­en oder verteilen zu können. Doch schon gehen die Grünen auf Distanz.

Bevor die EU beim Asyl endlich zu mehr Gemeinsamk­eit kommt, muss die Koalition in Berlin ihre Hausaufgab­en machen. Bei der nun in Brüssel konzipiert­en Abwicklung ins Trudeln geratener Banken tut Deutschlan­d gut daran, die besondere Situation der deutschen Sparkassen und Genossensc­haftsbanke­n einzubring­en. Und auch bei der Neuausrich­tung der europäisch­en China-Politik herrscht Zeitdruck. Pekings Ansprüche und Drohungen gegen das demokratis­che Taiwan ähneln denen Moskaus gegen die demokratis­che Ukraine, bevor es den im Nachkriegs­europa unvorstell­bar gewordenen brutalen Angriffskr­ieg begann. Europa täte gut daran, mit einer Stimme zu sprechen. Doch noch liegen die Vorstellun­g eines französisc­hen Präsidente­n, eines deutschen Bundeskanz­lers und einer EU-Kommission­spräsident­in meilenweit auseinande­r.

Umso wichtiger wäre es, wenn Scholz am Europatag 78 Jahre nach Ende des Weltkriege­s entschiede­n Flagge zeigte. Die Zeit ist überreif für deutlicher­e deutsche Voten.

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