Die Linkspartei und ihre Feindin im Inneren
Noch lässt Sahra Wagenknecht ihre Partei und die Öffentlichkeit im Unklaren, ob sie den Sprung einer Parteineugründung wagt. Doch das Projekt nimmt Fahrt auf.
Stürzt sich Sahra Wagenknecht tatsächlich in das Wagnis Aufbau einer neuen Partei, das vor allem eines ist: richtig viel Arbeit? Seit die frühere Co-Vorsitzende ihrer Bundestagsfraktion im März angekündigt hat, dass sie für ihre Partei, Die Linke, nicht mehr für den Bundestag kandidieren werde – und vielleicht etwas Neues wagen wolle, warten viele auf eine Entscheidung von ihr. Doch Wagenknecht ergeht sich, wenn sie öffentlich gefragt wird, in Andeutungen. Sie verweist dann gerne auf die Resonanz, auf Mails, die sie persönlich oder ihr Büro erreichten. Es gebe viele Menschen, „die fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten“, so ihr Befund. Dass viele Menschen vor allem im Osten aus Wut AfD wählten, sei natürlich nicht wünschenswert. „Also wäre es ja vernünftig, wenn da eine Kraft entstünde“, sagte sie erst unlängst bei einem Auftritt in Chemnitz.
Gregor Gysi möchte nicht, dass es so weit kommt. Deswegen hat der langjährige Frontmann der Linken in mehreren Gesprächen versucht, mit Wagenknecht eine Verständigung zu finden. Er will sie in der Partei halten und eine drohende Spaltung vermeiden. Doch inzwischen scheinen alle Argumente zwischen Vermittler Gysi und Wagenknecht ausgetauscht. Jetzt liegt es an Wagenknecht, die vom Kurs der Parteispitze nicht nur wenig hält. Sie hält ihn für falsch, er gehe an den Bedürfnissen der Menschen, die die Linke wählten, vorbei.
Derweil muss sich Linken-Chef Martin Schirdewan über kleine Erfolge seiner gebeutelten Partei in der Fläche freuen. Gewinnt die Linke in Köthen/Sachsen-Anhalt oder Reichenbach/Sachsen Bürgermeisterwahlen, ist dies in einer Phase, in der die rechte AfD mittlerweile in Umfragen stärkste Partei in allen ostdeutschen Bundesländern ist, zumindest ein Hoffnungswert, dass die Linke lebt.
Hinter den Kulissen arbeiten und sondieren Wagenknecht und ihre Mitstreiter längst Details einer Parteineugründung. Es geht neben Geld auch um juristische und organisatorische Fragen. Und darum, wer die Partei tatsächlich führt. All diese Dauerspekulationen über eine Parteineugründung hätten zur Folge oder auch als Ziel, die Linke so stark wie möglich zu beschädigen, wie es ein Parteiinsider beobachtet. Das Kalkül dahinter: Entweder die Linke werde damit so klein gemacht, dass Wagenknecht die Parteineugründung tatsächlich riskieren könne. Oder die Linke werde so sehr zermürbt, dass sich zumindest Teile der Partei am Ende Wagenknecht unterwerfen. Unlängst erst ermittelte eine Umfrage, dass sich 24 Prozent der Befragten vorstellen könnten, eine Partei zu wählen, die von Wagenknecht gegründet werde. Schirdewan jedenfalls hatte noch im April in einem Interview mit dieser Zeitung Wagenknecht aufgefordert, sich zu entscheiden. „Sahra Wagenknecht kokettiert jetzt seit mehr als einem halben Jahr damit, eine eigene Partei zu gründen. Sie muss sich entscheiden. Die Idee zu einer Parteineugründung schadet der Linken. Das Schüren von Spekulationen muss einfach aufhören.“Ihr Verhalten sei einfach „respektlos gegenüber der Partei“.
Ob Wagenknecht, die vor fünf Jahren wegen akuter Erschöpfung eine Auszeit von der Politik nehmen musste, physisch tatsächlich in der Lage wäre, eine neu gegründete Bundespartei zu führen, ist eine sehr offene Frage. Sollten Wagenknecht und ihre Unterstützer eine Rampe suchen, wäre die Europawahl im Frühjahr 2024 eine gute Gelegenheit. Dort müsste das WagenknechtProjekt keine Fünf-Prozent-Hürde schaffen, und es gäbe Geld vom Staat aus der Parteienfinanzierung. Danach allerdings begänne die Kärrnerarbeit. In einem ZDF-Interview hatte sie im März gesagt: „Ich möchte meine politische Laufbahn nicht mit einem Flop abschließen.“Vielleicht erklärt das, warum sie noch zögert.