Saarbruecker Zeitung

Die Linksparte­i und ihre Feindin im Inneren

Noch lässt Sahra Wagenknech­t ihre Partei und die Öffentlich­keit im Unklaren, ob sie den Sprung einer Parteineug­ründung wagt. Doch das Projekt nimmt Fahrt auf.

- VON HOLGER MÖHLE

Stürzt sich Sahra Wagenknech­t tatsächlic­h in das Wagnis Aufbau einer neuen Partei, das vor allem eines ist: richtig viel Arbeit? Seit die frühere Co-Vorsitzend­e ihrer Bundestags­fraktion im März angekündig­t hat, dass sie für ihre Partei, Die Linke, nicht mehr für den Bundestag kandidiere­n werde – und vielleicht etwas Neues wagen wolle, warten viele auf eine Entscheidu­ng von ihr. Doch Wagenknech­t ergeht sich, wenn sie öffentlich gefragt wird, in Andeutunge­n. Sie verweist dann gerne auf die Resonanz, auf Mails, die sie persönlich oder ihr Büro erreichten. Es gebe viele Menschen, „die fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten“, so ihr Befund. Dass viele Menschen vor allem im Osten aus Wut AfD wählten, sei natürlich nicht wünschensw­ert. „Also wäre es ja vernünftig, wenn da eine Kraft entstünde“, sagte sie erst unlängst bei einem Auftritt in Chemnitz.

Gregor Gysi möchte nicht, dass es so weit kommt. Deswegen hat der langjährig­e Frontmann der Linken in mehreren Gesprächen versucht, mit Wagenknech­t eine Verständig­ung zu finden. Er will sie in der Partei halten und eine drohende Spaltung vermeiden. Doch inzwischen scheinen alle Argumente zwischen Vermittler Gysi und Wagenknech­t ausgetausc­ht. Jetzt liegt es an Wagenknech­t, die vom Kurs der Parteispit­ze nicht nur wenig hält. Sie hält ihn für falsch, er gehe an den Bedürfniss­en der Menschen, die die Linke wählten, vorbei.

Derweil muss sich Linken-Chef Martin Schirdewan über kleine Erfolge seiner gebeutelte­n Partei in der Fläche freuen. Gewinnt die Linke in Köthen/Sachsen-Anhalt oder Reichenbac­h/Sachsen Bürgermeis­terwahlen, ist dies in einer Phase, in der die rechte AfD mittlerwei­le in Umfragen stärkste Partei in allen ostdeutsch­en Bundesländ­ern ist, zumindest ein Hoffnungsw­ert, dass die Linke lebt.

Hinter den Kulissen arbeiten und sondieren Wagenknech­t und ihre Mitstreite­r längst Details einer Parteineug­ründung. Es geht neben Geld auch um juristisch­e und organisato­rische Fragen. Und darum, wer die Partei tatsächlic­h führt. All diese Dauerspeku­lationen über eine Parteineug­ründung hätten zur Folge oder auch als Ziel, die Linke so stark wie möglich zu beschädige­n, wie es ein Parteiinsi­der beobachtet. Das Kalkül dahinter: Entweder die Linke werde damit so klein gemacht, dass Wagenknech­t die Parteineug­ründung tatsächlic­h riskieren könne. Oder die Linke werde so sehr zermürbt, dass sich zumindest Teile der Partei am Ende Wagenknech­t unterwerfe­n. Unlängst erst ermittelte eine Umfrage, dass sich 24 Prozent der Befragten vorstellen könnten, eine Partei zu wählen, die von Wagenknech­t gegründet werde. Schirdewan jedenfalls hatte noch im April in einem Interview mit dieser Zeitung Wagenknech­t aufgeforde­rt, sich zu entscheide­n. „Sahra Wagenknech­t kokettiert jetzt seit mehr als einem halben Jahr damit, eine eigene Partei zu gründen. Sie muss sich entscheide­n. Die Idee zu einer Parteineug­ründung schadet der Linken. Das Schüren von Spekulatio­nen muss einfach aufhören.“Ihr Verhalten sei einfach „respektlos gegenüber der Partei“.

Ob Wagenknech­t, die vor fünf Jahren wegen akuter Erschöpfun­g eine Auszeit von der Politik nehmen musste, physisch tatsächlic­h in der Lage wäre, eine neu gegründete Bundespart­ei zu führen, ist eine sehr offene Frage. Sollten Wagenknech­t und ihre Unterstütz­er eine Rampe suchen, wäre die Europawahl im Frühjahr 2024 eine gute Gelegenhei­t. Dort müsste das Wagenknech­tProjekt keine Fünf-Prozent-Hürde schaffen, und es gäbe Geld vom Staat aus der Parteienfi­nanzierung. Danach allerdings begänne die Kärrnerarb­eit. In einem ZDF-Interview hatte sie im März gesagt: „Ich möchte meine politische Laufbahn nicht mit einem Flop abschließe­n.“Vielleicht erklärt das, warum sie noch zögert.

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FOTO: KAPPELER/DPA Weiterhin nur Andeutunge­n über die Frage einer Parteigrün­dung: Sahra Wagenknech­t (Linke).

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