Laurent Barthel – überall und nun auf Platt
Er verehrt Karl Valentin, spielt Theater am liebsten in Lothringer Platt und trat schon in der ganzen Welt auf. Wie das zusammengeht? Der Wittringer Schauspieler Laurent Barthel ist ein Phänomen.
Eigentlich wollte er Wirtschaftsmathematiker werden, hatte sogar die Maîtrise schon in der Tasche, nur der Ersatzdienst trennte Laurent Barthel damals in Straßburg noch von der Promotion. Ob es Pech ist für die Wirtschaft, dass der Wittringer doch lieber Schauspieler wurde? Für das Theater ist es auf jeden Fall ein Glücksfall.
Der heute 54 Jahre junge Barthel ist nicht nur ein kreativer Vollblutkomödiant. Er ist auch als weit und breit einziger professioneller Schauspieler in Lothringen, der mit Überzeugung und Leidenschaft auf Platt spielt, der optimale Mann für grenzüberschreitendes Theater.
Eine Aufgabe, die er gerade mit seinen Kindertheaterstücken nur zu gerne annimmt. Mit dem mobilen EinMann-Stück „Waldpost“etwa, zu dem ihn das Kinderbuch „Briefe vom Eichhorn an die Ameise“mit den wunderbaren Illustrationen von Axel Scheffler inspirierte, hat Barthel schon Brieffreundschaften gestiftet. „Es war ein Auftragsstück der Stadtbibliotheken von Saargemünd und Saarbrücken, ich sollte es vor zehn Jahren einmal spielen, bei der Europäischen Kinder- und Jugendbuchmesse am Saarbrücker Schloss“, erzählt der Theatermacher. Das tat er – und mottete es danach ein.
Als er einige Zeit später mit seinem anderen Ein-Mann-Stück in Guadeloupe spielen sollte, nahm er die „Waldpost“einfach mal mit. Das Praktische daran ist, dass das Stück als Koffertheater konzipiert ist. Da Barthel aber einen Fahrrad fahrenden Briefträger mimt, baute er die Requisiten und Kamishibai-Bildkarten (Märchenschaubilder des japanischen Papiertheaters) in eine Fahrradpacktasche ein.
Die Aufführung in einer Schulklasse auf der französischen Überseeinsel ließ Barthel erkennen, wie viel Potenzial in dem Stück steckt. Mehr als 700 Mal hat er die „Waldpost“seitdem gespielt, in ganz Frankreich, in Belgien, Luxemburg, in der Schweiz und in Deutschland. Natürlich nicht überall auf Platt, sondern wahlweise auch auf Französisch oder Deutsch.
Als bei einer Aufführung im Großherzogtum einmal ein Mädchen den Waldpostboten Barthel fragte: „Hast Du denn gar keinen Brief für mich?“Und gleich hinterhersetzte: „Na, dann schreib ich mir selber einen!“, brachte das den Schauspieler auf eine neue Idee. Seitdem bittet er in jeder Vorstellung die kleinen Zuschauer, einen Brief zu schreiben, den er dann zur nächsten Aufführung mitnimmt. „Es sind bestimmt schon tausende Briefe kursiert. Manchmal erzählt mir ein Kind bei der nächsten Aufführung in seiner Schule ganz begeistert, es habe eine Antwort bekommen“, sagt Barthel und strahlt.
Zurzeit besucht er mit seiner „Waldpost“auf Initiative des Saarbrücker Kulturamts abwechselnd Schulen in Saargemünd-Welferding und Saarbrücken-Malstatt. „Auf einmal haben die Schüler in Welferding viel mehr Lust deutsch zu reden und zu sehen, wie es auf der anderen Seite der Grenze aussieht“, hat Barthel festgestellt.
Auch sein zweites Mitmachstück
entwickelt sich mit inzwischen 500 Aufführungen zum Renner. „L’homme poubelle“, der menschliche Müllsack, heißt es. Dafür schlüpft Barthel
in einen großen transparenten Plastiksack, verstreut zuvor Plastikverpackungen im Klassenzimmer und bittet die eintretenden Kinder und
Jugendlichen, ihn mit dem Müll zu füttern. Wenn er nach und nach dicker wird und vergeblich versucht, sich in die Mülltonne zu quetschen, werden die bis dahin kichernden und juchzenden Zuschauer meist nachdenklich. Dann erst geht das Stück richtig los.
Auch dieses war ein Auftragsstück. Er sollte in einem Saargemünder Supermarkt etwas zum Thema Müllvermeidung machen, nicht nur für Kinder. Eine heikle Sache, die Menschen wollten ja nicht beim Einkauf belehrt werden, sagt Barthel. Also müsse man sie mit schrägem, clowneskem Humor packen.
In Sachen Humor erlebte der junge Barthel Karl Valentin als Offenbarung: „Dass man das darf, so um die Ecke denken, sich dumm stellen!“. Seine Texte lernte Barthel erst auf Französisch kennen, in der Straßburger Theater-Compagnie, in der er seinen Wehrersatzdienst leisten wollte. Die große Profi-Truppe muss wohl Talent erkannt haben, stellte ihren Zivi nicht neben, sondern auf die Bühne. „Ich hatte nie zuvor Theater gespielt und auf einmal trat ich jeden Abend vor 600 Leuten auf.“
Statt nach zwei Jahren seinen Mathe-Doktor anzugehen, blieb er 18 Jahre bei dieser Truppe, lernte alles, was man über zeitgenössisches Theater, Körpertheater, Maskenspiel wissen muss. Und ging dann alleine weiter. Nach Lateinamerika, wo er in einem ehemaligen Gefängnis, in dem Hugo Chavez eingesessen hatte, auftrat; nach Westafrika, wo ihn das Institut Français mit Workshops betraute und schließlich mit Kameruner und Burkiner Schauspielern Jahre auf Europatourneen schickte.
Als Barthel Vater wurde, zog es ihn zurück nach Wittring, wo er seine Gruppe „Budig – Théâtre oblique“gründete und fortan auf Platt spielte. Weil man damit mehr geerdet sei, einen anderen Humor habe und alles spielen könne. Was er dann auch tat. Stücke von Karl Valentin über Peter Weiß bis hin zu „Schrödingers Katze“, ein Stück über Quantenphysik.
Im Moment fühlt er sich voll ausgelastet mit seinen Kinderstücken. Was danach kommt, mal sehen.
„Ich hatte nie zuvor Theater gespielt und auf einmal trat ich jeden Abend vor 600 Leuten auf.“Laurent Barthel