Saarbruecker Zeitung

Laurent Barthel – überall und nun auf Platt

Er verehrt Karl Valentin, spielt Theater am liebsten in Lothringer Platt und trat schon in der ganzen Welt auf. Wie das zusammenge­ht? Der Wittringer Schauspiel­er Laurent Barthel ist ein Phänomen.

- VON SILVIA BUSS

Eigentlich wollte er Wirtschaft­smathemati­ker werden, hatte sogar die Maîtrise schon in der Tasche, nur der Ersatzdien­st trennte Laurent Barthel damals in Straßburg noch von der Promotion. Ob es Pech ist für die Wirtschaft, dass der Wittringer doch lieber Schauspiel­er wurde? Für das Theater ist es auf jeden Fall ein Glücksfall.

Der heute 54 Jahre junge Barthel ist nicht nur ein kreativer Vollblutko­mödiant. Er ist auch als weit und breit einziger profession­eller Schauspiel­er in Lothringen, der mit Überzeugun­g und Leidenscha­ft auf Platt spielt, der optimale Mann für grenzübers­chreitende­s Theater.

Eine Aufgabe, die er gerade mit seinen Kinderthea­terstücken nur zu gerne annimmt. Mit dem mobilen EinMann-Stück „Waldpost“etwa, zu dem ihn das Kinderbuch „Briefe vom Eichhorn an die Ameise“mit den wunderbare­n Illustrati­onen von Axel Scheffler inspiriert­e, hat Barthel schon Brieffreun­dschaften gestiftet. „Es war ein Auftragsst­ück der Stadtbibli­otheken von Saargemünd und Saarbrücke­n, ich sollte es vor zehn Jahren einmal spielen, bei der Europäisch­en Kinder- und Jugendbuch­messe am Saarbrücke­r Schloss“, erzählt der Theatermac­her. Das tat er – und mottete es danach ein.

Als er einige Zeit später mit seinem anderen Ein-Mann-Stück in Guadeloupe spielen sollte, nahm er die „Waldpost“einfach mal mit. Das Praktische daran ist, dass das Stück als Kofferthea­ter konzipiert ist. Da Barthel aber einen Fahrrad fahrenden Briefträge­r mimt, baute er die Requisiten und Kamishibai-Bildkarten (Märchensch­aubilder des japanische­n Papierthea­ters) in eine Fahrradpac­ktasche ein.

Die Aufführung in einer Schulklass­e auf der französisc­hen Überseeins­el ließ Barthel erkennen, wie viel Potenzial in dem Stück steckt. Mehr als 700 Mal hat er die „Waldpost“seitdem gespielt, in ganz Frankreich, in Belgien, Luxemburg, in der Schweiz und in Deutschlan­d. Natürlich nicht überall auf Platt, sondern wahlweise auch auf Französisc­h oder Deutsch.

Als bei einer Aufführung im Großherzog­tum einmal ein Mädchen den Waldpostbo­ten Barthel fragte: „Hast Du denn gar keinen Brief für mich?“Und gleich hinterhers­etzte: „Na, dann schreib ich mir selber einen!“, brachte das den Schauspiel­er auf eine neue Idee. Seitdem bittet er in jeder Vorstellun­g die kleinen Zuschauer, einen Brief zu schreiben, den er dann zur nächsten Aufführung mitnimmt. „Es sind bestimmt schon tausende Briefe kursiert. Manchmal erzählt mir ein Kind bei der nächsten Aufführung in seiner Schule ganz begeistert, es habe eine Antwort bekommen“, sagt Barthel und strahlt.

Zurzeit besucht er mit seiner „Waldpost“auf Initiative des Saarbrücke­r Kulturamts abwechseln­d Schulen in Saargemünd-Welferding und Saarbrücke­n-Malstatt. „Auf einmal haben die Schüler in Welferding viel mehr Lust deutsch zu reden und zu sehen, wie es auf der anderen Seite der Grenze aussieht“, hat Barthel festgestel­lt.

Auch sein zweites Mitmachstü­ck

entwickelt sich mit inzwischen 500 Aufführung­en zum Renner. „L’homme poubelle“, der menschlich­e Müllsack, heißt es. Dafür schlüpft Barthel

in einen großen transparen­ten Plastiksac­k, verstreut zuvor Plastikver­packungen im Klassenzim­mer und bittet die eintretend­en Kinder und

Jugendlich­en, ihn mit dem Müll zu füttern. Wenn er nach und nach dicker wird und vergeblich versucht, sich in die Mülltonne zu quetschen, werden die bis dahin kichernden und juchzenden Zuschauer meist nachdenkli­ch. Dann erst geht das Stück richtig los.

Auch dieses war ein Auftragsst­ück. Er sollte in einem Saargemünd­er Supermarkt etwas zum Thema Müllvermei­dung machen, nicht nur für Kinder. Eine heikle Sache, die Menschen wollten ja nicht beim Einkauf belehrt werden, sagt Barthel. Also müsse man sie mit schrägem, clowneskem Humor packen.

In Sachen Humor erlebte der junge Barthel Karl Valentin als Offenbarun­g: „Dass man das darf, so um die Ecke denken, sich dumm stellen!“. Seine Texte lernte Barthel erst auf Französisc­h kennen, in der Straßburge­r Theater-Compagnie, in der er seinen Wehrersatz­dienst leisten wollte. Die große Profi-Truppe muss wohl Talent erkannt haben, stellte ihren Zivi nicht neben, sondern auf die Bühne. „Ich hatte nie zuvor Theater gespielt und auf einmal trat ich jeden Abend vor 600 Leuten auf.“

Statt nach zwei Jahren seinen Mathe-Doktor anzugehen, blieb er 18 Jahre bei dieser Truppe, lernte alles, was man über zeitgenöss­isches Theater, Körperthea­ter, Maskenspie­l wissen muss. Und ging dann alleine weiter. Nach Lateinamer­ika, wo er in einem ehemaligen Gefängnis, in dem Hugo Chavez eingesesse­n hatte, auftrat; nach Westafrika, wo ihn das Institut Français mit Workshops betraute und schließlic­h mit Kameruner und Burkiner Schauspiel­ern Jahre auf Europatour­neen schickte.

Als Barthel Vater wurde, zog es ihn zurück nach Wittring, wo er seine Gruppe „Budig – Théâtre oblique“gründete und fortan auf Platt spielte. Weil man damit mehr geerdet sei, einen anderen Humor habe und alles spielen könne. Was er dann auch tat. Stücke von Karl Valentin über Peter Weiß bis hin zu „Schrödinge­rs Katze“, ein Stück über Quantenphy­sik.

Im Moment fühlt er sich voll ausgelaste­t mit seinen Kinderstüc­ken. Was danach kommt, mal sehen.

„Ich hatte nie zuvor Theater gespielt und auf einmal trat ich jeden Abend vor 600 Leuten auf.“Laurent Barthel

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FOTO: SILVIA BUSS Ein Mitmachstü­ck, das sich mit inzwischen 500 Aufführung­en zum Renner entwickelt: Laurent Barthel als „l‘homme poubelle“, der menschlich­e Müllsack.

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