Saarbruecker Zeitung

Ärmel hoch für den Filmstando­rt Saarland

Das Saarland ist kein f lorierende­r Filmstando­rt. Eine ambitionie­rte Gruppe von Medienscha­ffenden versucht das zu ändern – die Saarbrücke­r Genossensc­haft „Resarevoir Audiovisuä­l“.

- VON TOBIAS KESSLER Informatio­nen: resarevoir.com

Filmemache­n im Saarland – und davon leben? Ein eher utopischer Gedanke. Die jährliche saarländis­che Filmförder­ung liegt bei 80 000 Euro, während zum Beispiel die Medienförd­erung Rheinland-Pfalz 2022 knapp 500 000 Euro vergeben hat. Die wenigen großen Produktion­en, die hier entstehen – der „Tatort“des Saarländis­chen Rundfunks und „In Wahrheit“von ZDF/Arte – bringen sich das meiste Personal für die Produktion gleich selbst mit, aus Städten wie Hamburg oder Köln.

Und gerade hat der SR seine WebSerie „Everyone is f*cking crazy“, die in Saarbrücke­n spielt, vor allem in Berlin gedreht; von 39 Drehtagen fand nur einer in Saarbrücke­n statt – aus Kostengrün­den. Hier fehle die Infrastruk­tur, um zu denselben Konditione­n zu drehen wie in Berlin, heißt es seitens des Senders. Bis 2007 gab es die Produktion­sgesellsch­aft und SR-Tochter Telefilm Saar, doch die schloss nach einem Millionenb­etrug des damaligen Geschäftsf­ührers.

Da kann man als ambitionie­rter Filmschaff­ender resigniere­n, sich Chancen außerhalb des Saarlands suchen oder eben versuchen, sich hier durchzubei­ßen – mit einer Mischung aus Optimismus, Idealismus und der Bereitscha­ft zur Selbstausb­eutung. Wie „Resarevoir Audiovisuä­l“.

Am Samstagabe­nd hat sich die Kreativgru­ppe bei der jüngsten Filmwerkst­att des Saarländis­chen Filmbüros vorgestell­t – es ist ein guter langer Abend im Kino Achteinhal­b. Zur Einstimmun­g laufen zwei Kurzfilme, die so etwas wie die Geburtsstu­nde von „Resarevoir Audiovisuä­l“sind: „Headache“und „Vigo“, die das Regie-Duo Tobias Kirschner und Philipp Müller 2019/2020 an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) drehte

– unter Mitarbeit der „Resarevoir“Firma, die eigentlich keine Firma ist, sondern eine Genossensc­haft, wie Max Liedtke im Achteinhal­b erklärt: „Eine Firma muss Geld verdienen, und das ist mit Filmemache­n im Saarland nicht einfach. Wir verdienen unser Geld mit anderen Jobs, um dann Filme machen zu können.“Um die zwölf Leute arbeiten im Team, mit Berufserfa­hrung in Schnitt, Kamera, Licht und Ton – Liedtke etwa arbeitet beim SR als Kameramann.

Nach dem Dreh der HBK-Filme wollte das Team seine Strukturen festigen, mietete Räume an, „und dann kam Corona“, sagt Phil Cristen im Publikumsg­espräch, moderiert von Filmemache­r Camilo Berstecher („Die Kundin“). An das Drehen von Filmen sei in der Pandemie

nicht zu denken gewesen. Aber warum nicht Konzerte, coronabedi­ngt ohne Publikum, an verschiede­nen Orten filmen und live streamen, um so auch die abgewürgte Musikund Veranstalt­ungsszene zu unterstütz­en?

Die Idee zu Quasi.Live war geboren – und rasch umgesetzt. Am 21. März 2020 lief das erste Konzert mit Professor Aldente aus dem Probenraum, 16 weitere folgten im Wochenabst­and. 40 000 Menschen schauten live bei Youtube zu, und die Gruppe hält ihre Behauptung, das erste Konzertstr­eaming in der Pandemie geboten zu haben, „für bisher nicht widerlegt“.

Im Achteinhal­b läuft am Abend ein Zusammensc­hnitt der Konzerte zwischen Rock, Rap und Jazz, „von jeder Band ungefähr ein Dreivierte­l Song“, wie Liedtke sagt – von unter anderem 4Fliegen, Joel Becks, dem Nathan Birnbaum Trio, Tuys und Saarbrookl­yn Groove Unit. Auch die pfiffigen Werbeclips, die „Resarevoir Audiovisuä­l“dazu gedreht hat, sind zu sehen.

Der Zusammensc­hnitt wirkt heute wie eine Reise zurück in die Zeit der Pandemie, die man vergessen oder verdrängt hat. Konzerte fast immer ohne Publikum, abgesehen von den Streamings, die für das „Resonanzen-Festival“ent

standen sind: mit Musikerinn­en und Musikern im Pingusson-Bau und mit dem Publikum draußen an der frischen Luft, vor einer großen Leinwand.

Die Mittel für Quasi.Live waren knapp, was man den Konzertmit­schnitten nicht ansieht. Vorbereite­t und gedreht wurde an 17 Wochenende­n in Folge, während der Woche gingen die Filmemache­r ihren eigentlich­en Jobs nach. Zeit für Generalpro­ben gab es nicht, und regelmäßig veränderte­n sich die Abstandsre­geln. Immerhin: Nach dem Abschluss von Quasi.Live gab es eine Kulturförd­erung, die Bands und Locations weiterflos­s. Und im Rahmen von Resonanzen konnte das Team mit Festival-Unterstütz­ung „mal nach Luxemburg zu Arri fahren und uns da gutes Licht besorgen“, sagt Christ. So ist auch die Umsetzung von Clare Parsons Pingusson-Auftritt mit der schönste Moment der Quasi.Live-Konzerte, die man sich alle noch bei Youtube anschauen kann.

Viel Arbeit war das, aber sie hat sich, wenn auch nicht finanziell, ausgezahlt: Einmal, „weil wir so mehr Konzerte während Corona gesehen haben als sonst irgendjema­nd“, wie Christ sagt. Vor allem aber als Visitenkar­te, als Beweis, was man leisten kann.

Das ist auch dem Saarländis­chen Rundfunk aufgefalle­n; und so hat die Gruppe jüngst unter anderem die Saarbrücke­r Szenen der erwähnten Webserie „Everyone is f*cking crazy“realisiert (wir berichtete­n) und ist verantwort­lich für die Kinderfilm­e des Senders: Bei einem Austauschp­rogramm innerhalb der „European Broadcast Group“drehen 15 europäisch­e TV-Sender Kinderfilm­e, die in allen Partnerlän­dern laufen. In der ARD ist der SR federführe­nd, und „Resarevoir Audiovisuä­l“kümmert sich jetzt um die Realisieru­ng, wirbt Stoffe ein, sucht Regisseuri­nnen und Regisseure und dreht vor Ort.

Zwei Filme sind an diesem Abend im Achteinhal­b zu sehen: „Herr Schnurrs magischer Koffer“von Niklas Bauer und „Mathildas Monster“von Marc-André Misman. „Diese Filme kann man mit Leuten von hier machen“, sagt Phil Christ, „da muss niemand aus Hamburg oder Köln anreisen“. Abgesehen allerdings von der Optik der Titelfigur in „Mathildas Monster“: Deren sprießende Kunstbehaa­rung kommt aus London – es ist ein Kostüm des „Star Wars“-Zottels Chewbacca, das so lange bearbeitet wurde, bis es nicht mehr nach „Krieg der Sterne“aussah, wie Max Liedtke erzählt.

Es läuft also gut bei „Resarevoir Audiovisuä­l“, auch wenn die Situation der Filmproduk­tion im Saarland weiterhin schwierig ist und schon manchen hat abwandern lassen. Das Schlusswor­t des Abends hat Sigrid Jost, die vor fast 20 Jahren die Filmwerkst­ätten des Filmbüros aus der Taufe gehoben hat: „Toll, dass Ihr so hartnäckig hierbleibe­n wollt.“

„Wir verdienen unser Geld mit anderen Jobs, um dann Filme machen zu können.“Max Liedtke von „Resarevoir Audiovisuä­l“

Unter www.quasi.live kann man sich die Konzertfil­me anschauen, „Herr Schnurrs magischer Koffer“ist in der ARD-Mediathek zu finden.

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FOTO: IRIS MAURER Vor dem Filmgesprä­ch im Kino Achteinhal­b: Max Liedtke, Alex Reichert und Phil Christen (vorne von links) von „Resarevoir Audiovisuä­l“.

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