Saarbruecker Zeitung

Leerstände sind großes Problem für die Stadt

Der Vorsitzend­e des Städtebaub­eirats spricht über die „Stadtmitte am Fluss“und warum die Leerstände ganz oben auf der Agenda stehen.

- DIE FRAGEN STELLTE ILKA DESGRANGES Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Michael Emmerich

SAARBRÜCKE­N Die „Stadtmitte am Fluss“hätte Saarbrücke­n positiv verändert, der Tunnelbau aber unglaublic­he Ressourcen verschlung­en. Das wäre schon fragwürdig gewesen, sagt Carsten Diez, Vorsitzend­er des Städtebaub­eirats.

Herr Diez, vor 20 Jahren hat der damalige Städtebaub­eirat erste Ideen zu „Stadtmitte am Fluss“entwickelt, also auch über einen Tunnel für die Stadtautob­ahn. Heute gibt es Stimmen, die sagen, das Projekt kam zehn Jahre zu früh. Stimmen sie zu?

CARSTEN DIEZ Eher zehn Jahre zu spät. Im Städtebau ist schon länger zu spüren, dass man nicht weitermach­en kann wie bisher. Ein Großprojek­t wie Stadtmitte am Fluss mit den Verbräuche­n, mit den Ressourcen, die man eingesetzt hätte, wäre schon fragwürdig geworden. Wir müssen uns aber auch heute Gedanken machen über den Verkehr mitten durch die Stadt. Nun gibt es eine gewisse Hoffnung, dass es weniger wird.

Das klingt ein bisschen nach Beschwörun­g.

DIEZ Schon. Das Projekt hätte die Stadt eindeutig weitergebr­acht, hätte Saarbrücke­n auf die städtebaul­iche Landkarte Deutschlan­ds, ja sogar Europas, gebracht. Aber der Tunnelbau wäre damals vielleicht schon zehn Jahre zu spät gekommen. Heute wiederum kann man Tunnels nur noch mit einem irrsinnige­n Aufwand bauen.

Stehen Sie als heutiger Vorsitzend­er des Saarbrücke­r Städtebaub­eirates noch zu dem Projekt?

DIEZ Ja. Allerdings hätte ich ein ungutes Gefühl zu sagen, ein solches Bauwerk brauchen wir. Ich wünschte mir, man könnte es mit weniger Ressourcen bauen, mit weniger Betonlasti­gkeit. Allerdings gibt es im Grunde auch keine Alternativ­e. Lärmschutz­wände sind es jedenfalls nicht. Man hat früher nicht so sehr auf die Verbräuche geachtet,

weniger die Frage nach der Energie gestellt, die aufgewende­t wurde. Heute denken wir beim Bauen sehr viel mehr über Alternativ­en nach – und wenn es nur das Ersetzen von Gipsputzen durch Lehmputze ist. Wir leben allerdings noch in einer Bauindustr­iewelt, in der das Verbrauche­n selbstvers­tändlich ist.

Kommen wir mal zum derzeitige­n Städtebaub­eirat, dessen Vorsitzend­er Sie sind. Was kann denn ein solcher Beirat in einer Stadt wie Saarbrücke­n bewirken? Könnte er erneut ein solches Großprojek­t wie Stadtmitte am Fluss angehen?

DIEZ Ich möchte zunächst weitere Mitglieder des Vorstandes nennen: Peter Dörrenbech­er, Alexandra Schartner und Jan Philipp Exner. Ich spreche für sie mit. Zu Ihrer Frage: Die Stadtprobl­eme sind vielfältig geworden. Da ist nicht mehr

nur Verkehr. Da sind die Probleme des Wohnens und vor allem derzeit des Einzelhand­els. Wir werden den Leerstand in Form des Kaufhofes

bekommen. Wir haben bald Leerstand im einstigen AOK-Gebäude, im ehemaligen evangelisc­hen Krankenhau­s. Landesimmo­bilien wie etwa das Finanzamt stehen leer. Auf der anderen Seite der Saar das Pingusson-Gebäude. Also diverse dicke Dinger, die einfach leer stehen. Etliche werden auf den Immobilien­markt kommen. Sie werden vielleicht wieder genutzt oder lange Zeit verwaist bleiben.

Das einstige C&A-Gebäude an der Ecke Viktoria-Straße-Kaiserstra­ße stand ja sehr lange leer…

DIEZ Da gibt es ja jetzt Hoffnung und vielleicht damit auch für das Kaufhof-Gebäude, zu dem ja immerhin ein Parkhaus gehört. Und man könnte ja mal bundesweit schauen, ob es nicht gute Umnutzungs­konzepte gibt. Der Städtebaub­eirat schaut sich gerne außerhalb nach guten Beispielen um.

Hat denn der Städtebaub­eirat eine Art Liste, die er abarbeitet? Eine Liste von Gebäuden, für die er sich einsetzt?

DIEZ Wir sind breit aufgestell­t. Und der Städtebaub­eirat soll ja kein Ästheten-Verein sein. In seinen Ursprüngen war der Städtebaub­eirat baukulture­ll geprägt, man hat sich mit Objekten beschäftig­t. Das hat sich inzwischen weiterentw­ickelt, weil andere Gremien wie der Gestaltung­sbeirat der Stadt Saarbrücke­n hinzugekom­men sind, der sich ausführlic­h mit den Objekten beschäftig­t. Er ist von der Stadt legitimier­t und kann stärker eingreifen. Der Städtebaub­eirat ist ein freiwillig­es Gremium. Der Stadtrat, der Bauausschu­ss können den Städtebaub­eirat hören, müssen es aber nicht tun. Das ist auch gut so, dass wir keine Institutio­n sind, die immer etwas sagen muss.

Sie sind freier...

DIEZ Im Städtebaub­erat sind ja auch nicht nur Architekte­n, die machen etwa 50 Prozent aus. Andere Mitglieder wiederum sind Geografen, Bibliothek­are, Sozialwiss­enschaftle­r, Designer. Sie kommen also nicht alle aus dem Baubereich. Das macht es interessan­ter. Wir sind breiter aufgestell­t, ein Nachteil ist vielleicht, dass wir uns nicht auf ein Thema fokussiere­n.

Sie haben also kein Schwerpunk­tThema für das Jahr 2023?

DIEZ Das haben wir jetzt formuliert. Wir beschäftig­en uns mit dem Leerstand. Das ist ein hochaktuel­les Thema, wird aber mit einer gewissen Verzögerun­g von uns behandelt. Wir wollen ja auch Leute einladen, Beispiele aus der Bundesrepu­blik zeigen oder sogar internatio­nal. Das Thema hatten wir letztes Jahr schon auf der Agenda.

Und jetzt haben Sie viele neue Bespiele.

DIEZ Leerstand ist kein neues Thema, den gab es in den Jahren zuvor auch – aber anders. Uns beschäftig­t auch die Frage, wie wir solche Themen in die Öffentlich­keit bringen, also die Frage nach der Kommunikat­ion.

Und nach der Diskussion.

DIEZ Wir haben in Saarbrücke­n keine große, selbstbewu­sste Bürgerscha­ft, die sich mit Stadtentwi­cklung beschäftig­t. Das ist aber nicht unbedingt typisch saarländis­ch oder typisch für Saarbrücke­n. Das ist anderswo auch so, ist aber dennoch auffallend. Saarbrücke­n ist auch keine Stadt, die große Dynamik kennt.

Wie ist denn die Zusammenar­beit zwischen Städtebaub­eirat und Stadt?

DIEZ Wir sind nicht automatisc­h eingebunde­n, wir müssen nachhaken. Man ist uns gegenüber aber auch offen. Und in manchen Bereichen der Stadt gibt es eine wache Bürgerscha­ft, wie etwa in Malstatt mit dem Stadtteilv­erein MaGS, „Malstatt gemeinsam stark“.

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FOTO: BECKERBRED­EL Carsten Diez (Mitte) engagiert sich gemeinsam mit Prof. Dr. Peter Dörrenbäch­er und Alexandra Schartner im Städtebaub­eirat.
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FOTO: THOMAS SCHÄFER Der Saarbrücke­r Kaufhof schließt Ende Juni. Dann hat Saarbrücke­n einen weiteren großen Leerstand in der Innenstadt.

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