Leerstände sind großes Problem für die Stadt
Der Vorsitzende des Städtebaubeirats spricht über die „Stadtmitte am Fluss“und warum die Leerstände ganz oben auf der Agenda stehen.
SAARBRÜCKEN Die „Stadtmitte am Fluss“hätte Saarbrücken positiv verändert, der Tunnelbau aber unglaubliche Ressourcen verschlungen. Das wäre schon fragwürdig gewesen, sagt Carsten Diez, Vorsitzender des Städtebaubeirats.
Herr Diez, vor 20 Jahren hat der damalige Städtebaubeirat erste Ideen zu „Stadtmitte am Fluss“entwickelt, also auch über einen Tunnel für die Stadtautobahn. Heute gibt es Stimmen, die sagen, das Projekt kam zehn Jahre zu früh. Stimmen sie zu?
CARSTEN DIEZ Eher zehn Jahre zu spät. Im Städtebau ist schon länger zu spüren, dass man nicht weitermachen kann wie bisher. Ein Großprojekt wie Stadtmitte am Fluss mit den Verbräuchen, mit den Ressourcen, die man eingesetzt hätte, wäre schon fragwürdig geworden. Wir müssen uns aber auch heute Gedanken machen über den Verkehr mitten durch die Stadt. Nun gibt es eine gewisse Hoffnung, dass es weniger wird.
Das klingt ein bisschen nach Beschwörung.
DIEZ Schon. Das Projekt hätte die Stadt eindeutig weitergebracht, hätte Saarbrücken auf die städtebauliche Landkarte Deutschlands, ja sogar Europas, gebracht. Aber der Tunnelbau wäre damals vielleicht schon zehn Jahre zu spät gekommen. Heute wiederum kann man Tunnels nur noch mit einem irrsinnigen Aufwand bauen.
Stehen Sie als heutiger Vorsitzender des Saarbrücker Städtebaubeirates noch zu dem Projekt?
DIEZ Ja. Allerdings hätte ich ein ungutes Gefühl zu sagen, ein solches Bauwerk brauchen wir. Ich wünschte mir, man könnte es mit weniger Ressourcen bauen, mit weniger Betonlastigkeit. Allerdings gibt es im Grunde auch keine Alternative. Lärmschutzwände sind es jedenfalls nicht. Man hat früher nicht so sehr auf die Verbräuche geachtet,
weniger die Frage nach der Energie gestellt, die aufgewendet wurde. Heute denken wir beim Bauen sehr viel mehr über Alternativen nach – und wenn es nur das Ersetzen von Gipsputzen durch Lehmputze ist. Wir leben allerdings noch in einer Bauindustriewelt, in der das Verbrauchen selbstverständlich ist.
Kommen wir mal zum derzeitigen Städtebaubeirat, dessen Vorsitzender Sie sind. Was kann denn ein solcher Beirat in einer Stadt wie Saarbrücken bewirken? Könnte er erneut ein solches Großprojekt wie Stadtmitte am Fluss angehen?
DIEZ Ich möchte zunächst weitere Mitglieder des Vorstandes nennen: Peter Dörrenbecher, Alexandra Schartner und Jan Philipp Exner. Ich spreche für sie mit. Zu Ihrer Frage: Die Stadtprobleme sind vielfältig geworden. Da ist nicht mehr
nur Verkehr. Da sind die Probleme des Wohnens und vor allem derzeit des Einzelhandels. Wir werden den Leerstand in Form des Kaufhofes
bekommen. Wir haben bald Leerstand im einstigen AOK-Gebäude, im ehemaligen evangelischen Krankenhaus. Landesimmobilien wie etwa das Finanzamt stehen leer. Auf der anderen Seite der Saar das Pingusson-Gebäude. Also diverse dicke Dinger, die einfach leer stehen. Etliche werden auf den Immobilienmarkt kommen. Sie werden vielleicht wieder genutzt oder lange Zeit verwaist bleiben.
Das einstige C&A-Gebäude an der Ecke Viktoria-Straße-Kaiserstraße stand ja sehr lange leer…
DIEZ Da gibt es ja jetzt Hoffnung und vielleicht damit auch für das Kaufhof-Gebäude, zu dem ja immerhin ein Parkhaus gehört. Und man könnte ja mal bundesweit schauen, ob es nicht gute Umnutzungskonzepte gibt. Der Städtebaubeirat schaut sich gerne außerhalb nach guten Beispielen um.
Hat denn der Städtebaubeirat eine Art Liste, die er abarbeitet? Eine Liste von Gebäuden, für die er sich einsetzt?
DIEZ Wir sind breit aufgestellt. Und der Städtebaubeirat soll ja kein Ästheten-Verein sein. In seinen Ursprüngen war der Städtebaubeirat baukulturell geprägt, man hat sich mit Objekten beschäftigt. Das hat sich inzwischen weiterentwickelt, weil andere Gremien wie der Gestaltungsbeirat der Stadt Saarbrücken hinzugekommen sind, der sich ausführlich mit den Objekten beschäftigt. Er ist von der Stadt legitimiert und kann stärker eingreifen. Der Städtebaubeirat ist ein freiwilliges Gremium. Der Stadtrat, der Bauausschuss können den Städtebaubeirat hören, müssen es aber nicht tun. Das ist auch gut so, dass wir keine Institution sind, die immer etwas sagen muss.
Sie sind freier...
DIEZ Im Städtebauberat sind ja auch nicht nur Architekten, die machen etwa 50 Prozent aus. Andere Mitglieder wiederum sind Geografen, Bibliothekare, Sozialwissenschaftler, Designer. Sie kommen also nicht alle aus dem Baubereich. Das macht es interessanter. Wir sind breiter aufgestellt, ein Nachteil ist vielleicht, dass wir uns nicht auf ein Thema fokussieren.
Sie haben also kein SchwerpunktThema für das Jahr 2023?
DIEZ Das haben wir jetzt formuliert. Wir beschäftigen uns mit dem Leerstand. Das ist ein hochaktuelles Thema, wird aber mit einer gewissen Verzögerung von uns behandelt. Wir wollen ja auch Leute einladen, Beispiele aus der Bundesrepublik zeigen oder sogar international. Das Thema hatten wir letztes Jahr schon auf der Agenda.
Und jetzt haben Sie viele neue Bespiele.
DIEZ Leerstand ist kein neues Thema, den gab es in den Jahren zuvor auch – aber anders. Uns beschäftigt auch die Frage, wie wir solche Themen in die Öffentlichkeit bringen, also die Frage nach der Kommunikation.
Und nach der Diskussion.
DIEZ Wir haben in Saarbrücken keine große, selbstbewusste Bürgerschaft, die sich mit Stadtentwicklung beschäftigt. Das ist aber nicht unbedingt typisch saarländisch oder typisch für Saarbrücken. Das ist anderswo auch so, ist aber dennoch auffallend. Saarbrücken ist auch keine Stadt, die große Dynamik kennt.
Wie ist denn die Zusammenarbeit zwischen Städtebaubeirat und Stadt?
DIEZ Wir sind nicht automatisch eingebunden, wir müssen nachhaken. Man ist uns gegenüber aber auch offen. Und in manchen Bereichen der Stadt gibt es eine wache Bürgerschaft, wie etwa in Malstatt mit dem Stadtteilverein MaGS, „Malstatt gemeinsam stark“.