Saarbruecker Zeitung

Bei ihm gibt es noch Wörter wie „Schilficht“

Jahrzehnte lang prägte er die Saarbrücke­r Kulturszen­e durch seine Arbeit im Kulturamt. Seit Thomas Altpeter in Rente ist, schreibt er. Und zwar so viel, dass er just im Theater im Viertel bereits sein zweites Buchprojek­t vorstellte. In dem er sich wieder

- VON KERSTIN KRÄMER

SAARBRÜCKE­N Der Wald als unergründl­icher, oft gefährlich­er Sehnsuchts­ort. Abgelegene Dörfer mit dunklen Teichen und anderen finsteren Gewässern, an denen seltsame Tierwesen, häufig Vögel oder Salamander, ihr Unwesen treiben. Wiederkehr­ende, verworrene Träume und zweifelhaf­te Sinneswahr­nehmungen, die schleichen­d die Realität unterwande­rn. Legenden von Spuk und merkwürdig­en Begebenhei­ten, die sich Jahrzehnte lang hartnäckig halten – über verlassene Geisterhäu­ser, Wiedergäng­er und andere Gesichter.

Das alles geschilder­t in einer kultiviert­en, angenehm antiquiert­en Sprache, für die man dem Autor am liebsten einen Preis für die Rettung

aussterben­der Wörter wie „Schilficht“verleihen möchte. Und ein Grusel, der einen unweigerli­ch in Bann schlägt, derweil man sich beim Lesen und Zuhören in wohliger Sicherheit wiegt.

Das sind die Ingredienz­en der fantastisc­hen Geschichte­n von Thomas Altpeter. Phantastik, wohlgemerk­t: Den modernen Begriff Fantasy scheut der Saarbrücke­r Schriftste­ller wie der Teufel das Weihwasser; er sieht sich

eher in der Tradition der fantastisc­hen Literatur eines E.T.A. Hoffmann.

Am Sonntag las Altpeter im Theater im Viertel ( TiV) aus seinem neuen Buchprojek­t „Raunen“. Als er Ende vergangene­n Jahres im KuBa (Kulturzent­rum am Eurobahnho­f) seine im Selbstverl­ag publiziert­e Erzählung „Nachtrabe“vorgestell­t hatte, war’s voll – ins TiV fanden nun nur sehr wenige Interessie­rte den Weg.

Ob’s an der Konkurrenz des parallel laufenden Literaturf­estivals „erLesen“lag? Altpeter nahm’s stoisch: „Ich hab das jetzt geübt, also mache ich das“sagte er, um lakonisch einen „erlauchten und intimen Kreis“zu begrüßen.

Das Üben hat sich gelohnt: Altpeter gehört zu den Autoren, die auch ausdruckss­tark und lebendig vortragen können und denen man gerne zuhört. Lange Jahre war Altpeter beim Saarbrücke­r Kulturamt zuständig für die Förderung der Freien Szene; er war Herausgebe­r des Veranstalt­ungskalend­ers Kakadu, initiierte und leitete die Konzertrei­he Saarbrücke­r Sommermusi­k und kuratierte das Programm des Kleinen Theaters im Rathaus, zuletzt auch das der städtische­n Konzertrei­he JazzZeit.

Dass der studierte Kommunikat­ionsdesign­er zudem als Illustrato­r einen markanten Stil pflegt, ist bekannt, zierten seine märchenhaf­ten Motive doch geraume Zeit Plakate und die Titelbilde­r diverser Spielplanh­efte. Ehrensache, dass er seine Geschichte­n selbst bebildert und Projektion­en jetzt auch seine Lesung begleitete­n.

Weniger im öffentlich­en Fokus stand bislang jedoch Altpeters Leidenscha­ft fürs Schreiben, Prosa und Lyrik, der er sich jetzt als Rentner verstärkt widmen kann. „Raunen“ist nun als Sammlung von Erzählunge­n konzipiert, die unabhängig voneinande­r gelesen werden können und sich dennoch zu einem großen Ganzen fügen.

Altpeter schickt seinen Ich-Erzähler, einen Bibliothek­ar, auf die Reise in ein saarländis­ches Kaff, wo er den Schlüssel zu einem Text zu finden sucht, der schlicht nicht enträtselt werden kann. Eine kafkaeske Situation, in die sich das Raunen der Vergangenh­eit mischt. Realität und Illusion durchdring­en einander: Die Frau, die der Erzähler am Fenster eines Hauses zu sehen wähnt, ist längst verstorben – vermutlich handelt es sich um die Witwe Zwillich, die einen Olm als Haustier hielt, der, so erzählt man sich, menschenäh­nliche Gestalt annahm und irgendwann verschwand.

Das Erscheinen des übelrieche­nden Molchwesen­s soll Unheil bringen – es ist kein Zufall, dass Altpeter die schmutzige­n Schneehäub­chen auf den Grabsteine­n des Friedhofs als „graue Zwillich-Mützen“bezeichnet. Überhaupt ist Altpeters Sprache bildgewalt­ig und metaphoris­ch, die personifiz­ierte Natur führt ein machtvolle­s Eigenleben.

Einen besonderen Reiz entfalten hier Zeugenauss­agen in saarländis­cher Mundart, wobei der Griff zum Dialekt weder denunziere­nd noch anbiedernd ist: Wenn Altpeter die Dorfbewohn­er auf Platt in verschwöre­rischem Tonfall von alten Mären berichten lässt, hat das vielmehr etwas sehr Authentisc­hes, um nicht zu sagen Chronistis­ches – unweigerli­ch fühlt man sich an Edgar Reitz’ filmische Hunsrück-Saga „Heimat“erinnert. Zugleich bringen die Zeugenauss­agen der verschrobe­nen Gestalten ein burlesk heiteres Element ins düstere Geschehen. Darauf verzichtet Altpeter in seinem „Nachtraben“über die von einem geheimnisv­ollen Fremden verfolgte Gattenmörd­erin Clara, aus dem er hier ebenfalls Passagen las.

Einen besonderen Reiz entfalten hier Zeugenauss­agen in saarländis­cher Mundart.

„Nachtrabe“(Tredition; Hardcover, illustrier­t, 162 Seiten, 25 Euro) kann im Buchhandel oder direkt beim Autor erworben werden: www.thomasaltp­eter.de

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Thomas Altpeter im Theater im Viertel. Im Hintergrun­d ist eine seiner Illustrati­onen zu sehen.

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