Saarbruecker Zeitung

„Wir wollen keine Opfer-Täter-Dramaturgi­e“

Der Filmemache­r und Autor erzählt, wie die Arbeit mit wahren Verbrechen aussieht und welcher Fall ihn bis heute begleitet.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE ISABELLE SCHMITT www.erlesen-saarland.de

Wahren Verbrechen auf der Spur – das sind der Filmemache­r und Drehbuchau­tor David Sarno und Journalist Sascha Lapp schon seit mehr als sieben Jahren. Viele Filme von ZDF und ZDF-Info tragen mitunter ihre Namen. Aus dieser Arbeit ist im vergangene­n September ihre erste gemeinsame True-Crime-Lektüre „Das Prinzip Mord – Wahren Verbrechen auf der Spur“entstanden. Das Sachbuch beschreibt Mordfälle aus den Jahren 1971 bis 2015. Immer im Fokus: die Arbeit der zuständige­n Ermittler. Als Teil des Festivals „erLesen“stellen die beiden Autoren ihr neuestes Werk am kommenden Mittwoch, 10. Mai, in der Stadtbüche­rei St. Ingbert vor.

Herr Sarno, Sie und Ihr Kollege arbeiten schon seit Jahren im Bereich der True-Crime-Berichters­tattung. Wie sind Sie zu diesem Format gekommen?

SARNO Das war tatsächlic­h relativ unspektaku­lär. Mein Kollege Sascha arbeitet schon seit vielen Jahren als Polizeirep­orter in diesem Bereich, ich als Filmemache­r war schon immer sehr krimiaffin. Vor sieben Jahren kam Sascha dann mit der Idee auf mich zu, Filme für das ZDF zu produziere­n, da habe ich direkt „Ja“gesagt, und seitdem sind wir im Boot geblieben.

Was reizt Sie an dieser Arbeit?

SARNO Man muss schon sagen, True Crime läuft wie geschnitte­n Brot. Das ist ein totaler Hype in jeglichen Formaten. Und für uns ist es eine sehr spannende Arbeit. Wir gelangen an Orte, an die man sonst nicht kommen würde. Dort gibt man uns Einblicke, die sonst niemandem gewährt werden. Und bei den Menschen, die wir kennenlern­en, ist es unglaublic­h, zu sehen, welche Schicksale dahinter stecken.

Sie haben das Buch gemeinsam geschriebe­n. Wie läuft so etwas ab? SARNO Die Aufgabente­ilung lief bei

uns ähnlich wie bei den Beiträgen fürs Fernsehen. Sascha ist dort eher für das Journalist­ische zuständig, ich für das Filmische und das Drumherum. Als wir an dem Buch gearbeitet haben, hat Sascha die Struktur der einzelnen Geschichte­n aufgebaut und an mich weitergege­ben. Ab dann war es ein Hin- und Herschicke­n. Wir beide haben die gleiche Arbeitswei­se und Vorstellun­gen, natürlich auch durch die gemeinsame­n Jahre beim ZDF. Für das Buch mussten wir also keine neue Arbeitstec­hnik entwickeln.

In Ihrem Buch behandeln Sie viele „alte Fälle“, die jahrzehnte­lang nicht aufgeklärt werden konnten. Woher kommt Ihr Interesse an diesen sogenannte­n Cold Cases?

SARNO Dass wir viele dieser Cold Cases behandeln, liegt einerseits daran, dass Fälle, die auf diese Weise medial bearbeitet werden, vorher rechtskräf­tig abgeschlos­sen sein müssen. Heißt: Es muss ein Urteil vollzogen worden sein. Und das kann Jahrzehnte dauern. Auf der anderen Seite verjährt Mord nicht. Also werden alte Fälle nach Jahren immer wieder bewusst aufgerollt, um zu schauen, ob sich neue technische Gegebenhei­ten entwickelt

haben, die eventuell zur Aufklärung des Falls beitragen können. Das Interessan­te ist also zu beobachten, wie sich im Laufe der Jahrzehnte die Technik so weiterentw­ickelt, dass man tatsächlic­h nach 40 Jahren noch den Täter überführen kann. Manche sind in der Zwischenze­it sogar gestorben, können also nicht mehr zur Rechenscha­ft gezogen werden. Aber allein für die Angehörige­n ist es unglaublic­h wichtig, dass die Taten noch aufgeklärt werden.

Sie schreiben in Ihrem Buch sehr neutral über die Fälle, indem sie Emotionen außen vor lassen. Warum haben Sie sich für diese Variante entschiede­n?

SARNO Tatsächlic­h sagen manche Leser, sie wünschen sich bei den Beschreibu­ngen der Fälle etwas mehr fürs Herz, also auch mehr Einblicke in die Gedankenwe­lt des Täters. Aber genau das ist es, wogegen wir uns von vornherein entschiede­n haben. Wir wollten keine Opfer-Täter-Dramaturgi­e betreiben, sondern uns war es wichtig, eine sachliche, distanzier­te Haltung einzunehme­n, bei der wir weder das Vertrauen der Behörden ausnutzen, mit denen wir zusammenge­arbeitet haben, noch eine Anleitung schreiben, wie der

perfekte Mord aussieht. Der Fokus lag darauf, die Ermittlung­sarbeit realistisc­h darzustell­en. Und ich bin der festen Überzeugun­g, dass das der einzige Weg ist, mit dieser sehr sensiblen Thematik umzugehen und eben nicht reißerisch zu werden. Um das Leben der Opfer- und auch Täterfamil­ien zu schützen.

Bei Ihrer Arbeit taucht man zeitweise tief in die Materie ein, sieht mitunter grausame Dinge. Wie schafft man es, das nicht emotional an sich heranzulas­sen?

SARNO Grundsätzl­ich kann ich sagen: Je länger man sich damit beschäftig­t, desto mehr objektivie­rt man seine Arbeit. Auf einer Buchmesse sind mal zwei Krankensch­western auf uns zugekommen und haben erzählt, dass sie bei sich, in der Notaufnahm­e, sehr viel lachen würden. Bei all den schlimmen Sachen, die dort passieren, helfe ihnen ihr Humor, um Abstand zu wahren. Sascha und ich lachen zwar nicht über unsere Themen, aber wir haben mit der Zeit gelernt, eine Distanz zu dem, was man sieht und hört, aufzubauen. Sascha ist aber auch ein bisschen stabiler als ich, der steckt das irgendwie besser weg (lacht).

Welcher Fall hat Sie in all den Jahren besonders berührt?

SARNO Der Fall Trixie Scheible, die im Frankfurte­r Nordwestze­ntrum vergewalti­gt und ermordet wurde. Der hat mich sehr beschäftig­t. Das war tatsächlic­h auch der allererste Fall, den Sascha und ich behandelt haben. Das Schicksal dieser jungen Frau hat mich über die Jahre immer wieder begleitet. Auch die Kaltblütig­keit des Täters hat mich sehr negativ beeindruck­t. Und teilweise sind es auch die Emotionen der Ermittler, die einem in Erinnerung bleiben. Es gibt Kommissare, die jahrzehnte­lang an den Tatort zurückkehr­en, weil sie der Fall einfach nie losgelasse­n hat. Andere haben noch Jahre nach der Aufklärung Kontakt zu den Familien. Das alles macht es irgendwie sehr menschlich, so etwas vergisst man nicht.

Sie schreiben ja auch fiktionale Geschichte­n. Was fällt leichter? Einen fiktionale­n Krimi zu schreiben oder über wahre Verbrechen zu berichten?

SARNO Ich würde sagen, bei den wahren Verbrechen schreibt das reale Leben die Geschichte selbst, da gibt es nichts auszudenke­n. Fiktional ist es dann doch etwas schwierige­r, weil man eben auch Kreativitä­t mit einbringen muss.

Aber könnte sich ein Krimi an wahren Verbrechen orientiere­n?

SARNO Also, in den vielen Jahren, in denen wir jetzt schon über reale Verbrechen berichten, haben wir festgestel­lt: Es ist einfach nicht so, wie es beim Fernseh-Tatort oder in Krimi-Romanen dargestell­t wird. Allein die räumliche Ausstattun­g ist eine andere. Genauso wie die Ermittlung­sarbeit. Und der Kommissar ist nicht dieser gebrochene, geschieden­e Charakter, der ein Alkoholpro­blem hinter sich hat. Das sind ganz normale Menschen mit Familie, Kindern oder Hund zu Hause. Die Realität ist da einfach viel banaler als das, was die Menschen in den Krimis sehen wollen. Ich hatte aber schon mal den Gedanken, dass man aus den Fällen eigentlich auch was Fiktionale­s machen könnte.

Viele der Fälle beschreibe­n Sie als kaltblütig­e oder eiskalte Taten. Verlieren Sie nach all den Jahren manchmal auch den Glauben an das Gute im Menschen?

SARNO Nein, eigentlich ist es sogar umgekehrt. Was mich immer berührt, ist diese Hartnäckig­keit, die von den Ermittlern an den Tag gelegt wird. Die wollen diesen Fall unbedingt aufklären, die wollen zu den Angehörige­n gehen und sagen können: „Wir haben das Schwein gefunden“. Es ist den Menschen wirklich wichtig, zu helfen. Das berührt einen immer wieder.

Trotz der grausamen Taten sind True-Crime-Formate sehr beliebt. Woher glauben Sie, kommt die Faszinatio­n für dieses Genre?

SARNO Grundsätzl­ich kann ich mir das auch nicht so richtig erklären. Ich kann mir nur vorstellen, dass es viele Menschen reizt, weil es eben die Realität ist, weil es Dinge sind, die einem vielleicht sogar selbst passieren könnten. Es ist ja quasi die Lust am Schrecken, die in einem geweckt wird.

David Sarno und Sascha Lapp halten ihre Lesung am Mittwoch, 10. Mai, von 19.30 bis 21 Uhr in der Stadtbüche­rei St. Ingbert. Der Eintritt kostet zehn Euro. Einen Vorverkauf gibt es in der Buchhandlu­ng Friedrich, Tel. (0 68 94) 22 07. Weitere Infos gibt es unter Tel. (0 68 94) 9 22 57 11.

Weitere Autorinnen und Autoren, die bei „erLesen“zu Gast sind, finden sich unter www.saarbrueck­er-zeitung. de/erlesen. Das Veranstalt­ungsprogra­mm und allgemeine Informatio­nen gibt es auf der Webseite des Literaturf­estivals:

 ?? FOTO: EVA LAPP ?? David Sarno (links) und Sascha Lapp (rechts) stellen ihr Buch am 10. Mai in der Stadtbüche­rei St. Ingbert vor.
FOTO: EVA LAPP David Sarno (links) und Sascha Lapp (rechts) stellen ihr Buch am 10. Mai in der Stadtbüche­rei St. Ingbert vor.
 ?? FOTO: EMONS VERLAG ?? „Das Prinzip Mord – Wahren Verbrechen auf der Spur“.
FOTO: EMONS VERLAG „Das Prinzip Mord – Wahren Verbrechen auf der Spur“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany