„Wir wollen keine Opfer-Täter-Dramaturgie“
Der Filmemacher und Autor erzählt, wie die Arbeit mit wahren Verbrechen aussieht und welcher Fall ihn bis heute begleitet.
Wahren Verbrechen auf der Spur – das sind der Filmemacher und Drehbuchautor David Sarno und Journalist Sascha Lapp schon seit mehr als sieben Jahren. Viele Filme von ZDF und ZDF-Info tragen mitunter ihre Namen. Aus dieser Arbeit ist im vergangenen September ihre erste gemeinsame True-Crime-Lektüre „Das Prinzip Mord – Wahren Verbrechen auf der Spur“entstanden. Das Sachbuch beschreibt Mordfälle aus den Jahren 1971 bis 2015. Immer im Fokus: die Arbeit der zuständigen Ermittler. Als Teil des Festivals „erLesen“stellen die beiden Autoren ihr neuestes Werk am kommenden Mittwoch, 10. Mai, in der Stadtbücherei St. Ingbert vor.
Herr Sarno, Sie und Ihr Kollege arbeiten schon seit Jahren im Bereich der True-Crime-Berichterstattung. Wie sind Sie zu diesem Format gekommen?
SARNO Das war tatsächlich relativ unspektakulär. Mein Kollege Sascha arbeitet schon seit vielen Jahren als Polizeireporter in diesem Bereich, ich als Filmemacher war schon immer sehr krimiaffin. Vor sieben Jahren kam Sascha dann mit der Idee auf mich zu, Filme für das ZDF zu produzieren, da habe ich direkt „Ja“gesagt, und seitdem sind wir im Boot geblieben.
Was reizt Sie an dieser Arbeit?
SARNO Man muss schon sagen, True Crime läuft wie geschnitten Brot. Das ist ein totaler Hype in jeglichen Formaten. Und für uns ist es eine sehr spannende Arbeit. Wir gelangen an Orte, an die man sonst nicht kommen würde. Dort gibt man uns Einblicke, die sonst niemandem gewährt werden. Und bei den Menschen, die wir kennenlernen, ist es unglaublich, zu sehen, welche Schicksale dahinter stecken.
Sie haben das Buch gemeinsam geschrieben. Wie läuft so etwas ab? SARNO Die Aufgabenteilung lief bei
uns ähnlich wie bei den Beiträgen fürs Fernsehen. Sascha ist dort eher für das Journalistische zuständig, ich für das Filmische und das Drumherum. Als wir an dem Buch gearbeitet haben, hat Sascha die Struktur der einzelnen Geschichten aufgebaut und an mich weitergegeben. Ab dann war es ein Hin- und Herschicken. Wir beide haben die gleiche Arbeitsweise und Vorstellungen, natürlich auch durch die gemeinsamen Jahre beim ZDF. Für das Buch mussten wir also keine neue Arbeitstechnik entwickeln.
In Ihrem Buch behandeln Sie viele „alte Fälle“, die jahrzehntelang nicht aufgeklärt werden konnten. Woher kommt Ihr Interesse an diesen sogenannten Cold Cases?
SARNO Dass wir viele dieser Cold Cases behandeln, liegt einerseits daran, dass Fälle, die auf diese Weise medial bearbeitet werden, vorher rechtskräftig abgeschlossen sein müssen. Heißt: Es muss ein Urteil vollzogen worden sein. Und das kann Jahrzehnte dauern. Auf der anderen Seite verjährt Mord nicht. Also werden alte Fälle nach Jahren immer wieder bewusst aufgerollt, um zu schauen, ob sich neue technische Gegebenheiten entwickelt
haben, die eventuell zur Aufklärung des Falls beitragen können. Das Interessante ist also zu beobachten, wie sich im Laufe der Jahrzehnte die Technik so weiterentwickelt, dass man tatsächlich nach 40 Jahren noch den Täter überführen kann. Manche sind in der Zwischenzeit sogar gestorben, können also nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Aber allein für die Angehörigen ist es unglaublich wichtig, dass die Taten noch aufgeklärt werden.
Sie schreiben in Ihrem Buch sehr neutral über die Fälle, indem sie Emotionen außen vor lassen. Warum haben Sie sich für diese Variante entschieden?
SARNO Tatsächlich sagen manche Leser, sie wünschen sich bei den Beschreibungen der Fälle etwas mehr fürs Herz, also auch mehr Einblicke in die Gedankenwelt des Täters. Aber genau das ist es, wogegen wir uns von vornherein entschieden haben. Wir wollten keine Opfer-Täter-Dramaturgie betreiben, sondern uns war es wichtig, eine sachliche, distanzierte Haltung einzunehmen, bei der wir weder das Vertrauen der Behörden ausnutzen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, noch eine Anleitung schreiben, wie der
perfekte Mord aussieht. Der Fokus lag darauf, die Ermittlungsarbeit realistisch darzustellen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass das der einzige Weg ist, mit dieser sehr sensiblen Thematik umzugehen und eben nicht reißerisch zu werden. Um das Leben der Opfer- und auch Täterfamilien zu schützen.
Bei Ihrer Arbeit taucht man zeitweise tief in die Materie ein, sieht mitunter grausame Dinge. Wie schafft man es, das nicht emotional an sich heranzulassen?
SARNO Grundsätzlich kann ich sagen: Je länger man sich damit beschäftigt, desto mehr objektiviert man seine Arbeit. Auf einer Buchmesse sind mal zwei Krankenschwestern auf uns zugekommen und haben erzählt, dass sie bei sich, in der Notaufnahme, sehr viel lachen würden. Bei all den schlimmen Sachen, die dort passieren, helfe ihnen ihr Humor, um Abstand zu wahren. Sascha und ich lachen zwar nicht über unsere Themen, aber wir haben mit der Zeit gelernt, eine Distanz zu dem, was man sieht und hört, aufzubauen. Sascha ist aber auch ein bisschen stabiler als ich, der steckt das irgendwie besser weg (lacht).
Welcher Fall hat Sie in all den Jahren besonders berührt?
SARNO Der Fall Trixie Scheible, die im Frankfurter Nordwestzentrum vergewaltigt und ermordet wurde. Der hat mich sehr beschäftigt. Das war tatsächlich auch der allererste Fall, den Sascha und ich behandelt haben. Das Schicksal dieser jungen Frau hat mich über die Jahre immer wieder begleitet. Auch die Kaltblütigkeit des Täters hat mich sehr negativ beeindruckt. Und teilweise sind es auch die Emotionen der Ermittler, die einem in Erinnerung bleiben. Es gibt Kommissare, die jahrzehntelang an den Tatort zurückkehren, weil sie der Fall einfach nie losgelassen hat. Andere haben noch Jahre nach der Aufklärung Kontakt zu den Familien. Das alles macht es irgendwie sehr menschlich, so etwas vergisst man nicht.
Sie schreiben ja auch fiktionale Geschichten. Was fällt leichter? Einen fiktionalen Krimi zu schreiben oder über wahre Verbrechen zu berichten?
SARNO Ich würde sagen, bei den wahren Verbrechen schreibt das reale Leben die Geschichte selbst, da gibt es nichts auszudenken. Fiktional ist es dann doch etwas schwieriger, weil man eben auch Kreativität mit einbringen muss.
Aber könnte sich ein Krimi an wahren Verbrechen orientieren?
SARNO Also, in den vielen Jahren, in denen wir jetzt schon über reale Verbrechen berichten, haben wir festgestellt: Es ist einfach nicht so, wie es beim Fernseh-Tatort oder in Krimi-Romanen dargestellt wird. Allein die räumliche Ausstattung ist eine andere. Genauso wie die Ermittlungsarbeit. Und der Kommissar ist nicht dieser gebrochene, geschiedene Charakter, der ein Alkoholproblem hinter sich hat. Das sind ganz normale Menschen mit Familie, Kindern oder Hund zu Hause. Die Realität ist da einfach viel banaler als das, was die Menschen in den Krimis sehen wollen. Ich hatte aber schon mal den Gedanken, dass man aus den Fällen eigentlich auch was Fiktionales machen könnte.
Viele der Fälle beschreiben Sie als kaltblütige oder eiskalte Taten. Verlieren Sie nach all den Jahren manchmal auch den Glauben an das Gute im Menschen?
SARNO Nein, eigentlich ist es sogar umgekehrt. Was mich immer berührt, ist diese Hartnäckigkeit, die von den Ermittlern an den Tag gelegt wird. Die wollen diesen Fall unbedingt aufklären, die wollen zu den Angehörigen gehen und sagen können: „Wir haben das Schwein gefunden“. Es ist den Menschen wirklich wichtig, zu helfen. Das berührt einen immer wieder.
Trotz der grausamen Taten sind True-Crime-Formate sehr beliebt. Woher glauben Sie, kommt die Faszination für dieses Genre?
SARNO Grundsätzlich kann ich mir das auch nicht so richtig erklären. Ich kann mir nur vorstellen, dass es viele Menschen reizt, weil es eben die Realität ist, weil es Dinge sind, die einem vielleicht sogar selbst passieren könnten. Es ist ja quasi die Lust am Schrecken, die in einem geweckt wird.
David Sarno und Sascha Lapp halten ihre Lesung am Mittwoch, 10. Mai, von 19.30 bis 21 Uhr in der Stadtbücherei St. Ingbert. Der Eintritt kostet zehn Euro. Einen Vorverkauf gibt es in der Buchhandlung Friedrich, Tel. (0 68 94) 22 07. Weitere Infos gibt es unter Tel. (0 68 94) 9 22 57 11.
Weitere Autorinnen und Autoren, die bei „erLesen“zu Gast sind, finden sich unter www.saarbruecker-zeitung. de/erlesen. Das Veranstaltungsprogramm und allgemeine Informationen gibt es auf der Webseite des Literaturfestivals: