Ein Wahnsinn mit Methode
Es ist immer wieder verblüffend, mit welcher Unverfrorenheit Wladimir Putin Schwarz zu Weiß erklärt und umgekehrt. Seinen verbrecherischen Angriffskrieg in der Ukraine deutet der russische Präsident in einen Abwehrkampf gegen westliche Aggressoren um. Seine faschistoide Kremlclique erhebt er in den Rang der letzten „heiligen Krieger“gegen die Neonazis, die er nicht mehr nur in Kiew wittert, sondern überall im Westen. Er, der ein Nachbarland von der politischen Landkarte tilgen will, beschwört die drohende Vernichtung Russlands.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Putin all die Absurditäten, die er nun auch am „Tag des Sieges“im Zweiten Weltkrieg wiederholt hat, wirklich glaubt. Wahrscheinlicher ist aber noch immer, dass der Wahnsinn Methode hat. Womöglich schützt Putin sich mit seinen Verdrehungen auch vor stillen Selbstzweifeln. Kann das noch lange gutgehen? Kann ein Regime, das sich auf so fundamentale Lügen gründet, dauerhaft bestehen? Kaum. Wer den Blick ins Historische weitet und gleichsam aus der Vogelperspektive auf diesen Putin schaut, wird fast zwangsläufig ein Scheitern prophezeien. Allerdings ist der Gang der Geschichte immer konkret. Und deshalb bleibt es entscheidend, dass der Westen die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland weiter entschlossen unterstützt.
Denn alles, was Putin irgendwann irgendwie als Sieg verkaufen kann, wird ihm helfen, seine Macht zu erhalten. Das aber wäre auch für Russland eine Katastrophe. Am Ende könnte eine selbsterfüllende Prophezeiung stehen: Der Krieg, den Putin entfesselt hat, könnte in einen Zerfall des überdehnten eurasischen Riesenreichs münden.