Achtung! Bissige Brüder
Das Perspectives-Festival zeigt Zähne: Vincent und Simon Bruyninckx über ihr außergewöhnliches Zirkus-Stück „Bitbybit“.
SAARBRÜCKEN Am 25. Mai beginnt das 45. Festival Perspectives in Saarbrücken und Umgebung. Mit dabei ist ein Brüder-Paar mit offenbar ziemlich stabilem Gebiss. In dem Stück „Bitbybit“müssen sich Vincent und Simon Bruyninckx aber nicht nur darauf verlassen, dass der jeweils andere fest zubeißen kann. Im Gespräch mit der SZ erzählen die beiden, wie das alles zusammenhängt.
Unsere erste Frage gilt tatsächlich Ihrer Zahnärztin: Sie halten sich gegenseitig mit einem Stahlkabel, das an einem speziellen Gebiss in Ihrem Mund befestigt ist. Schlägt ihre Zahnärztin da nicht die Hände überm Kopf zusammen? Das kann doch nicht gut für die Zähne sein, oder?
Simon: Haha, nein, sie hat ein ganz schönes Gesicht gezogen, als wir ihr erklärt haben, was wir machen wollten. Aber dann hat sie uns geholfen, zu überlegen, wie wir die Stahlgebisse an besten herstellen könnten. Sie hat unsere Zähne auf Risse hin untersucht. Und wenn wir auf einer Tournee mal Panik schieben, können wir sie jederzeit anrufen oder einen Check-up bei ihr machen. Vincent: Sie hat sich unser Stück auch angesehen und gesagt, dass wir das nicht unser ganzes Leben lang machen sollten.
Wie entstand überhaupt die Idee, solch eine außergewöhnliche Produktion zu wagen? Sie halten sich gegenseitig fast ausschließlich mit dem Mund.
Vincent: Ich mache Cyr Wheel (eine Art Röhnrad) und Simon Schleuderwippe. Wir fanden einfach keine Verbindung zwischen diesen beiden Zirkusgeräten. Also haben wir uns auf die Suche nach einer Zirkusdisziplin gemacht, die uns beide interessiert und uns miteinander verbindet. Beide interessieren wir uns leidenschaftlich für Zirkusgeschichte und wollten eine alte Zirkustechnik aufleben lassen. Wir haben uns anhand von Büchern über Zirkus-Geschichte eingehend damit beschäftigt und fanden dort viele Nummern, in denen das Stahlgebiss verwendet wurde. Meistens waren das nicht mehr als 30 Sekunden in einer Trapeznummer oder beim „Starken Mann“. Das weckte unser Interesse, und wir begannen, Tests damit zu machen. Wir merkten, es gab unendlich viele Ideen, und waren bald überzeugt, dass das Stahlgebiss genau das war, was wir für dieses Stück weiterentwickeln wollten.
Sie erinnern sich ja sicher, wie das erste Ausprobieren dieser ungewöhnlichen Technik war. Wie fühlte es sich an?
Simon: Am Anfang hatten wir keine Ahnung, wie wir damit umgehen sollten. Dann hat Vincent einfach seinen Gürtel genommen, wir haben ihn an der Decke befestigt und hineingebissen. Gleichzeitig versuchten wir, unsere Beine zu heben. Das war unmöglich, haha. Anschließend sagte ein Freund, wir sollten lieber sofort damit aufhören, weil wir sonst Gefahr liefen, unsere Zähne einzubüßen. Vincent: Die Suche nach der richtigen Technik war nicht einfach, weil die wenigen Leute, die wir trafen, ihr Geheimnis um das Stahlgebiss nicht lüften wollten. Simon: Nach einigen Monaten Recherche gelang es uns, unser erstes Gebiss herzustellen. Das erste Mal, dass ich mich an meinen Zähnen aufgehängt habe, tat es so weh, dass ich die ganze Sache infrage gestellt habe. Zum Glück ging es nach einigen Wochen Training schon besser. Vincent: Ganz am Anfang sind wir sogar mit Kopfschmerzen morgens aufgewacht, weil unsere Kopfmuskeln dermaßen angespannt waren.
Sie sind Brüder, gemeinsam aufgewachsen und auch noch beide Artisten geworden. Sie haben mit anderen Künstlerinnen und Künstlern gearbeitet, aber wollten jetzt unbedingt ein gemeinsames Projekt machen. Es soll ja Geschwister geben, die froh sind, wenn sie sich nur an Weihnachten sehen müssen. Bei Ihnen ist das nicht so?
Vincent: Wir waren schon immer eng verbunden. Als Brüder hat uns ziemlich früh die Leidenschaft für den Zirkus gepackt, und bis wir 18 waren, haben wir alle Abenteuer gemeinsam bestanden. Wir waren wirklich gute Freunde. Dann ist Simon auf die Zirkusschule in Frankreich und ich habe mit der Physiotherapie-Ausbildung begonnen, etwas später dann die Zirkusschule in Brüssel besucht. Das war der Moment, wo sich unsere Wege für zehn Jahre getrennt haben. Der Grund für dieses Stück war dann, dass wir wieder zusammenkommen und unsere Zirkusabenteuer gemeinsam weiter verfolgen wollten.
Und das hat dann auch gleich gut geklappt?
Simon: Bei der Arbeit am Stück haben wir uns sehr angenähert. Die körperliche Beanspruchung ist sehr groß, wir machten uns wirklich Sorgen umeinander. Abends massierten und dehnten wir uns gegenseitig in Vorbereitung auf die nächsten Arbeitstage.
Ist es ein sehr anderes Gefühl, mit jemandem zu arbeiten, der einem ein ganzes Leben lang vertraut ist? Entstehen da in der Probe zum Beispiel ganz andere Konflikte, als man sie mit anderen Kollegen kennt? Oder womöglich gar keine?
Simon: Während der Entstehung des Stücks waren wir wirklich auf derselben Wellenlänge. Wir respektieren einander wirklich sehr, und es gab so gut wie keine Unstimmigkeit. Wenn es doch mal Irritationen gab, haben wir uns sofort entschuldigt – das Problem war in weniger als fünf Minuten erledigt.
Das Stück „Bitbybit“soll ja auch ein Erforschen von Abhängigkeit und Nähe sein. Hat Sie diese gemeinsame Arbeit als Brüder einander noch näher gebracht?
Vincent: Absolut. Wenn ich heute Bilanz ziehe und zum Anfang zurückschaue, gibt es einen Riesenunterschied. Wir verstehen uns viel besser, haben viel mehr Respekt vor den Lebensentscheidungen, die der andere trifft. Auch wenn wir nicht auf Tournee sind, schreiben wir uns oder sehen uns fast jeden Tag. Vor wichtigen Entscheidungen kontaktieren wir einander und sprechen drüber. Das hat unsere Bruderbeziehung wirklich verändert.
„Das erste Mal, dass ich mich an meinen Zähnen aufgehängt habe, tat es so weh, dass ich die ganze Sache infrage gestellt habe.“Simon Bruyninckx