Saarbruecker Zeitung

So vergiftet war die Stimmung bei Bund und Ländern nie

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Von einer schweren Krise des Föderalism­us in Deutschlan­d zu sprechen, ist zu hoch gehängt. Aber die Verantwort­ungsgemein­schaft, als der sich Bund, Länder und Kommunen verstehen, hat einige Erschütter­ungen erlebt. Das hat sich rund um die Sonderkonf­erenz zur Flüchtling­sfrage im Kanzleramt gezeigt. Da bleibt was hängen, gerade zwischen Bundesregi­erung und Ministerpr­äsidenten. Unabhängig von der Parteifarb­e.

Wohl noch nie, auch nicht inmitten der Corona-Pandemie, als sich das „Team Vorsicht“und das „Team Lockerung“ihre Scharmütze­l lieferten, ist die Stimmung zwischen Bund und Ländern so vergiftet gewesen wie diesmal. Und wohl selten waren sich vor allem die Länder so einig. Es wurden Zahlen über geleistete oder vermeintli­ch nicht weitergele­itete Milliarden­beträge lanciert, über eine Vielzahl von Papieren auch medial Verbündete gesucht; oder aber es wurden neue Vorschläge zu Grenzkontr­ollen, Rücknahmea­bkommen, Asylverfah­ren an Außengrenz­en und beschleuni­gten Abschiebun­gen gemacht, die aber alle am Kern des Problems vorbeigega­ngen sind: Über eine Million Menschen sind aus der Ukraine wegen des Krieges gekommen, die nicht durchs Asylverfah­ren müssen, dazu allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 100 000 Asylsuchen­de, ein Anstieg von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Es sind Menschen, die hier sind. Damit muss man jetzt umgehen. Weitere werden kommen, weil insbesonde­re europäisch eine gemeinsame Asylpoliti­k zur Utopie geworden zu sein scheint. Für die Kommunen ist das eine immense Herausford­erung, an der so mancher Bürgermeis­ter oder Landrat inzwischen schon verzweifel­t. Es fehlen Kita- und Schulplätz­e, Integratio­nsangebote und Unterkünft­e. Politisch geboten wäre es daher gewesen, sich auf die Suche nach schnellen und pragmatisc­hen Lösungen zu machen. Auch um die Akzeptanz der Bürger zu wahren. Stattdesse­n hat man sich im Finanzstre­it über ein Pauschalsy­stem (Bund) und ein atmendes Modell (Länder) verkeilt. Regiert hat die Unvernunft. Ein möglicher Gewinner: die AfD. Sie bekommt ihre Themen auf dem Silbertabl­ett geliefert, ohne selbst liefern zu müssen.

Speziell die milliarden­schweren Zahlenspie­le des Bundes sind der Lage des Haushalts geschuldet. Das Defizit ist dreistelli­g, der Handlungss­pielraum des Finanzmini­sters ist nur noch gering. Für dieses Jahr zeigt er sich offenbar noch einmal leicht beweglich. Wie es dann weitergeht, ist augenschei­nlich offen. An einer verlässlic­hen, sich an die Entwicklun­g des Fluchtgesc­hehens anpassende Lösung führt freilich kein Weg vorbei. Ansonsten könnte mancherort­s der Kollaps drohen. Für Olaf Scholz bleibt die Gemengelag­e kritisch, denn seine Koalitions­partner verfolgen gänzlich andere Ansätze in der Flüchtling­spolitik; die FDP setzt stärker auf Begrenzung als die Grünen, die Liberalen sehen sich zudem als Hüter des Geldes. Bei der Ministerpr­äsidentenk­onferenz zeigt sich, dass auch die von der SPD geführten Länder dem Kanzler nicht mehr länger den Rücken freihalten. Für Scholz wird das Regieren nach der MPK somit deutlich schwierige­r werden. Aber das ist Föderalism­us: Interessen­ausgleich zwischen Bund und Ländern.

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