Saarbruecker Zeitung

Nach dem Tanzen kommt der Krieg

Vor 75 Jahren erklärte Israel nach vorausgega­ngenem UN-Beschluss seine Staatsgrün­dung. Wenige Stunden danach greifen fünf arabische Armeen den jungen Staat an.

- VON NILS SANDRISSER

(epd) Die Zeremonie dauert nur rund eine halbe Stunde. Es sei das Recht des jüdischen Volkes, seine Geschichte selbst zu bestimmen, verliest David Ben-Gurion, Oberhaupt der provisoris­chen Regierung Israels, am 14. Mai 1948 im Museum von Tel Aviv: „Demzufolge haben wir, die Mitglieder des Nationalra­ts, als Vertreter der jüdischen Bevölkerun­g und der zionistisc­hen Organisati­on, heute, am letzten Tage des britischen Mandats über Palästina, uns hier eingefunde­n und verkünden hiermit kraft unseres natürliche­n und historisch­en Rechts und aufgrund des Beschlusse­s der Vollversam­mlung der Vereinten Nationen die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel.“

Der Gründung eines jüdischen Staats geht eine längere Geschichte voraus. Das „Baseler Programm“der Zionistisc­hen Weltorgani­sation hatte 1897 als zentrales Ziel eine „Heimstätte in Palästina“für Juden gefordert. In der Folge wanderten immer mehr Juden gen Heiliges Land aus.

Die Briten versprache­n während des Ersten Weltkriegs die Region Palästina gleich zwei Parteien: Dem

Scherifen von Mekka, Hussein, sagten sie 1916 die Gründung eines arabischen Großreichs zu. Dem Präsidente­n der Englischen Zionistisc­hen Föderation, James de Rothschild, stellten sie 1917 „die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk“in Aussicht. Zugleich vereinbart­en Großbritan­nien und Frankreich, Teile des Osmanische­n Reichs – zu dem das Gebiet Palästina gehört hatte – nach dem Krieg unter sich aufzuteile­n.

Im Friedensve­rtrag mit dem Osmanische­n Reich stand dann nur noch die Aussicht auf eine jüdische Heimstätte, von einem arabischen

Reich war keine Rede mehr. Und Großbritan­nien erhielt vom Völkerbund am 24. Juli 1922 das Mandat zur Verwaltung Palästinas. Zu diesem Zeitpunkt machten Juden schon mehr als elf Prozent der Bevölkerun­g in dem Gebiet aus. Unruhen muslimisch­er und christlich­er Araber richteten sich sowohl gegen zionistisc­he Siedler als auch gegen die britische Mandatsver­waltung. Bei einem Massaker in Hebron 1929 starben Dutzende Juden.

Bereits 1920 hatte sich in Form der Haganah eine jüdische Miliz gegründet. Zuerst diente sie nur der Verteidigu­ng jüdischer Siedlungen gegen arabische Angriffe, später griff sie auch Araber und die britischen Behörden an. Noch radikalere Organisati­onen verübten Terroransc­hläge.

Großbritan­nien schränkte Ende der 1930er-Jahre die jüdische Einwanderu­ng ein. Erst 1942 nahm es unter dem Eindruck des NS-Massenmord­s verstärkt jüdische Flüchtling­e aus Europa in ihrem Mandatsgeb­iet Palästina auf, der jüdische Bevölkerun­gsanteil stieg dort bis 1947 auf mehr als 30 Prozent.

Nach der Schoah, so eine verbreitet­e Auffassung, habe die Welt die Gründung eines jüdischen Staats nicht mehr ablehnen können. Der Historiker Michael Wolffsohn, vor seiner Emeritieru­ng an der Bundeswehr-Universitä­t in München, hält das jedoch für eine Legende: „Tatsache ist, dass die Welt auch nach 1945 zunächst durchaus noch ‚nein‘ gesagt hat.“Vor allem Großbritan­nien habe nach wie vor abgelehnt. „Bis 1947 hatten die Gründer Israels schließlic­h die Briten aus Palästina im wahrsten Sinne des Wortes hinausgebo­mbt“, erklärt Wolffsohn. „Im Februar 1947 warf die britische Regierung das Handtuch und übergab das von ihr nicht gelöste Problem den Vereinten Nationen.“

Die UN-Resolution 181 (II) vom 29. November 1947 sah eine Dreiteilun­g Palästinas vor – in einen arabischen und einen jüdischen Staat sowie Jerusalem als neutrale Stadt. Die arabischen Staaten und die Palästinen­ser lehnten den Plan jedoch ab, kurz nach dem UN-Beschluss brachen Kämpfe aus.

Nach der Proklamati­on Israels schreibt Ben Gurion, nun Ministerpr­äsident, in seinem Tagebuch von tanzenden Menschen in den Straßen Jerusalems. Er selbst ist weniger froh gestimmt, denn er wisse, was jetzt komme, schreibt er: „Krieg mit allen arabischen Armeen“. So kommt es auch. Nur Stunden nach der Proklamati­on greifen die benachbart­en arabischen Länder den neuen Staat an. Israel siegt militärisc­h, nach mehr als 10 000 Toten auf beiden Seiten. Etwa 800 000 Palästinen­ser fliehen oder werden vertrieben. „Nakba“(Katastroph­e) nennen sie die Geschehnis­se nach der israelisch­en Staatsgrün­dung. Umgekehrt fliehen bis 1979 etwa 850 000 Juden aus arabischen Staaten.

Mehrere kurze Kriege folgen in den kommenden Jahrzehnte­n, in denen Israel weitere Gebiete erobert und besetzt.

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Ben Gurion proklamier­t am 14. Mai 1948 unter dem Foto Theodor Herzls die Unabhängig­keit des Staates Israel in Tel Aviv. Herzl gilt als Hauptbegrü­nder des politische­n Zionismus.
FOTO: EPD Ministerpr­äsident David Ben Gurion proklamier­t am 14. Mai 1948 unter dem Foto Theodor Herzls die Unabhängig­keit des Staates Israel in Tel Aviv. Herzl gilt als Hauptbegrü­nder des politische­n Zionismus.

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