Saarbruecker Zeitung

Rätselrate­n um Selenskyj-Besuch in Deutschlan­d

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(dpa) Massives Polizeiauf­gebot, Straßenspe­rren, streng abgeschott­etes Kanzleramt: Die Sicherheit­svorkehrun­gen im Berliner Regierungs­viertel werden so hoch sein wie nur selten zuvor, wenn Bundeskanz­ler Olaf Scholz an diesem Wochenende einen der wichtigste­n Besucher seit seinem Amtsantrit­t vor 17 Monaten empfängt. Die Betonung liegt dabei aber auf dem Wörtchen „wenn“. Denn auch am Freitag war noch nicht klar, ob der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj tatsächlic­h zum ersten Mal seit dem russischen Angriff auf die Ukraine nach Deutschlan­d kommt.

Wie wahrschein­lich ist es, dass der Besuch trotzdem stattfinde­t?

Die Chancen stehen ganz gut. Am Freitag gab das Büro des italienisc­hen Staatspräs­identen Sergio Mattarella bekannt, dass Selenskyj am Samstag nach Rom kommt. Es wird erwartet, dass er dort auch von Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni und Papst Franziskus empfangen wird. Eine hundertpro­zentige Garantie für den Besuch in Italien bedeutet die Ankündigun­g zwar noch nicht – einem Präsidente­n, der sich im Krieg befindet, kann immer etwas dazwischen­kommen.

Welche Länder hat Selenskyj seit dem russischen Angriff besucht?

Selenskyj hat sein Land in den ersten zehn Monaten nach der russischen Invasion gar nicht verlassen. Erst kurz vor Weihnachte­n flog er dann nach Washington, um dort US-Präsident Joe

Biden zu treffen. Auf dem Rückweg machte er in Polen Halt und traf dort Staatschef Andrzej Duda. Es folgten Besuche in London, Paris, Brüssel, Warschau, Helsinki und Den Haag.

Wie reist Selenskyj? Bei seinen vorherigen Auslandsre­isen war er mit einem Sonderzug unterwegs, der dem ähnelt, mit dem Scholz vergangene­n Juni zusammen mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und dem damaligen italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Mario Draghi nach Kiew reiste: rustikaler Salonwagen, komfortabl­es Schlafzimm­er. Von Kiew ging es zunächst nach Südpolen, von wo Selenskyj dann in der Regel von Militärflu­gzeugen des Gastgeberl­andes abgeholt wurde.

Was ist der Anlass für den möglichen Deutschlan­d-Besuch?

Deutschlan­d gehört zu den wichtigste­n Unterstütz­ern der Ukraine – sowohl militärisc­h, als auch finanziell. Seit Kriegsbegi­nn genehmigte die Bundesregi­erung Waffenlief­erungen für 2,75 Milliarden Euro – deutlich mehr als einige andere Länder wie zum Beispiel Frankreich, die Selenskyj bereits besucht hat. Das wäre eigentlich schon Anlass genug, nach Deutschlan­d zu kommen. Es gibt aber auch noch einen konkreten Termin, zu dem Selenskyj eingeladen ist. Am Sonntagnac­hmittag werden er und das ukrainisch­e Volk in Aachen mit dem Karlspreis für Verdienste um die Einheit Europas geehrt. Die Laudatio wird Kanzler Scholz halten.

Mit welchen Erwartunge­n geht Selenskyj in ein Treffen mit Scholz?

„In taktischer Hinsicht geht es natürlich um Waffen, denn um den Krieg zu gewinnen, braucht man Waffen, Waffen und nochmals Waffen.“So hat der ukrainisch­e Außenminis­ter Dmytro Kuleba kürzlich in einem Bild-Interview die Erwartunge­n seines Landes an Deutschlan­d formuliert – auch mit Blick auf die erwartete ukrainisch­e Gegenoffen­sive. Konkret nannte er Artillerie­munition, vor allem für große Entfernung­en, gepanzerte Fahrzeuge und Flugabwehr­systeme. „All das ist in Deutschlan­d vorhanden und Deutschlan­d hat geliefert. Und Deutschlan­d kann noch mehr liefern“, sagte Kuleba.

Ist Scholz bereit, mehr zu liefern?

Im Prinzip schon. Die Devise lautet: Die Ukraine wird unterstütz­t, solange dies nötig ist – auch militärisc­h. An eine neue Qualität von Waffen ist aber nicht gedacht. Die Lieferung von Kampfjets westlicher Bauart hat Scholz bisher als nicht sinnvoll abgelehnt.

Auf welche Stimmung trifft Selenskyj in der deutschen Bevölkerun­g?

Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich Verhandlun­gen zwischen der Ukraine und Russland über eine Friedenslö­sung. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov im Auftrag der dpa sind 55 Prozent für Gespräche mit dem Ziel der Beendigung des Krieges. Nur 28 Prozent sind dagegen.

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