Wie soll die EU künftig mit China umgehen?
Die EU-Außenminister suchen nach Wegen, Risiken in Bezug auf wirtschaftliche Abhängigkeiten und die nationale Sicherheit zu minimieren.
Josep Borrell würde sich gerne Außenminister Europas nennen. Das scheitert zwar am Widerstand der Mitgliedstaaten, aber der Hohe Repräsentant der EU für Außen- und Sicherheitspolitik versteht sich auch ohne entsprechenden Titel in dieser Rolle. Und so rief er schon nach seiner Ankunft beim informellen Treffen der EU-Außenminister am Freitag in Stockholm die 27 Chefdiplomaten auf, sich auf eine einheitliche Linie im Umgang mit Peking zu einigen. „Wenn wir angesichts des Aufstiegs Chinas zu einer Großmacht relevant sein wollen, müssen die Mitgliedstaaten geschlossener auftreten und eine gemeinsame Politik verfolgen“, sagte der Spanier, der ein Papier mitbrachte, das als Grundlage für die Beratungen diente. Darin heißt es, dass man nicht nur die Risiken minimieren müsse in Bezug auf wirtschaftliche Abhängigkeiten, sondern auch hinsichtlich der „nationalen Sicherheit“. So seien die EU-Länder aufgefordert, Peking und Washington zur Deeskalation im Taiwan-Konflikt zu bewegen. Sie sollten sich aber auch auf die schlimmsten Szenarien vorbereiten und deshalb Lieferketten diversifizieren sowie chinesische Investitionen in Europa und möglicherweise europäische in China kontrollieren. Trotz der Risiken, die von Peking ausgingen, sei es jedoch umso wichtiger, miteinander zu reden. Es sei „zentral“, sagte Bundesaußenministerin
Annalena Baerbock (Grüne), „dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen“. Man habe gesehen, dass es trügerisch sein könne, „rein auf das Prinzip Hoffnung“zu setzen, „dass man durch wirtschaftliche Abhängigkeiten für Sicherheit von allen sorgen kann“.
Während die USA ihre harte Haltung gegenüber Peking verstärken, herrscht in Europa noch kein Konsens. Immerhin gibt es die Blaupause einer Strategie, nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen kürzlich den Abbau von Risiken gefordert hatte, die aus zu großen Abhängigkeiten entstehen. Seitdem gilt das „De-Risking“als Begriff der Stunde. Auf diese Weise soll sich die Gemeinschaft unabhängiger und weniger erpressbar von autoritären Staaten machen. Dagegen hatte die Behördenchefin vor einer wirtschaftlichen Abkoppelung nach dem Vorbild der Amerikaner gewarnt. Die wäre auch weder im Interesse der EU noch umsetzbar, für die EU ist China der wichtigste Handelspartner. 2021 wurden zwischen der Gemeinschaft und der Volksrepublik Waren im Wert von 696 Milliarden Euro gehandelt.
„Im Lichte des russischen Angriffskriegs wollen wir unsere eigene Sicherheit neu justieren“, sagte Baerbock. Wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Dienstag in Straßburg für ein „kluges De-Risking“plädiert hatte, unterstützte die Grünen-Politikerin den vorgeschlagenen Kurs aus Brüssel. „Wir als Europäer wollen keine Entkopplung, aber wir wollen unsere eigenen Risiken minimieren, die unsere Sicherheit gefährden.“Als Beispiel nannte sie die Abhängigkeit von China bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen. Gleichwohl äußerte sie Bedauern, dass im Dreiklang aus Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale, wie die Beziehung zur Volksrepublik beschrieben wird, „leider die systemische Rivalität in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat“.
Bei der Zusammenkunft in Schweden berieten die Außenminister zudem die Lage in der Ukraine. So könnte schon bald ein elftes Sanktionspaket stehen. Die EU-Kommission hatte die Möglichkeit sogenannter Sekundärsanktionen ins Spiel gebracht, um Unternehmen in Drittländern zu treffen, die die bereits erlassenen Strafmaßnahmen gezielt umgehen. Nur könnten dann auch chinesische Firmen auf der Liste landen. Für die EU stellt sich dabei die Frage, wie sie wirksam die Umgehung ihrer Sanktionen bekämpfen kann, ohne das Verhältnis zu Peking zu gefährden.
„Im Lichte des russischen Angriffskriegs wollen wir unsere eigene Sicherheit neu justieren.“
Annalena Baerbock (Grüne) Deutsche Außenministerin