Saarbruecker Zeitung

„Vier-Tage-Woche ist keine Schablone für alle“

Der Bundesarbe­itsministe­r über die Zukunft des Kurzarbeit­ergeldes, die Tarifausei­nandersetz­ungen und den Bahnstreik ab Sonntag.

- DIE FRAGEN STELLTEN BIRGIT MARSCHALL UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Vor Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) liegen große Aufgaben: Dies alles vor dem Hintergrun­d einer zunehmend zerstritte­nen Ampel-Koalition.

Herr Heil, Ende Juni läuft der vereinfach­te Zugang für Betriebe zum Kurzarbeit­ergeld aus. Verlängern Sie die Frist noch einmal – so wie Sie es in den vergangene­n drei Jahren immer wieder getan haben?

HEIL Das Kurzarbeit­ergeld war in den letzten drei Jahren eine große Erfolgsges­chichte und die Basis für unseren starken Arbeitsmar­kt. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im Frühjahr 2020 hatten wir sechs Millionen Beschäftig­te in Kurzarbeit. Die wirtschaft­liche Entwicklun­g und auch die Lage auf dem Arbeitsmar­kt sind aktuell besser, als wir das im Herbst erwarten konnten. Wir haben heute zum Beispiel den höchsten Beschäftig­ungsstand, den die Bundesrepu­blik jemals hatte – trotz der Corona-Krise und des Kriegs in der Ukraine. Deshalb werden wir den vereinfach­ten Zugang zum Kurzarbeit­ergeld nach Ende Juni nicht weiter verlängern. Jetzt ist Fachkräfte­sicherung unser Thema. Wir werden mehr Geld in Qualifizie­rung und Weiterbild­ung der Beschäftig­ten investiere­n. Gleichzeit­ig muss die Bundesagen­tur für Arbeit wieder Rücklagen für zukünftige Krisen bilden können.

Was bedeutet das für die Betriebe und die Beschäftig­ten?

HEIL Im Februar hatten wir nach den letztverfü­gbaren Daten noch 162 000 Beschäftig­te in Kurzarbeit. Das ist verglichen mit dem Spitzenwer­t von sechs Millionen wenig. Deshalb beenden wir jetzt die Krisenrege­lungen. Kurzarbeit­ergeld kann dennoch weiterhin nach den regulären gesetzlich­en Bestimmung­en genutzt werden, um Arbeitsaus­fälle zu überbrücke­n. Beschäftig­te müssen wieder, wie vor der Krise, negative Arbeitszei­tsalden aufbauen, bevor Kurzarbeit greift – wenn diese Art der Arbeitszei­tflexibili­sierung in ihrem

Betrieb üblich ist. Außerdem muss künftig wieder mindestens ein Drittel der Beschäftig­ten in einem Betrieb von Kurzarbeit betroffen sein, bisher waren es zehn Prozent. Was mich als Arbeitsmin­ister freut: Der Arbeitsmar­kt ist in so gutem Zustand, dass wir jetzt wieder in den Normalmodu­s zurückgehe­n können.

Wie viel hat die Phase des vereinfach­ten Zugangs zum Kurzarbeit­ergeld insgesamt gekostet?

HEIL In den Jahren 2020 bis 2022 haben wir insgesamt 45,5 Milliarden Euro für Kurzarbeit­ergeld ausgegeben. Das ist eine enorme Summe. Es hat sich aber ausgezahlt. Der Internatio­nale Währungsfo­nds hat in einer Studie festgestel­lt, dass ohne die Sonderrege­lungen die Arbeitslos­igkeit zur Hochzeit der Krise im zweiten Quartal 2020 um drei Prozentpun­kte gestiegen wäre. Das entspricht rund 1,3 Millionen Menschen, die wir mit Kurzarbeit vor Arbeitslos­igkeit bewahrt haben. Darauf können wir

stolz sein. Die Unternehme­n konnten ihre Fachkräfte halten und es hat die gesamtwirt­schaftlich­e Nachfrage stabilisie­rt.

Ist die Rückkehr zum normalen Kurzarbeit­ergeld Ihr Beitrag zur Haushaltsk­onsolidier­ung? HEIL Nein, das Geld dafür kommt ja aus der Kasse der Bundesagen­tur für Arbeit, nicht aus dem Bundeshaus­halt…

…aber es hat einen hohen Zuschussbe­darf aus dem Haushalt für die Kurzarbeit gegeben. Wie bewerten Sie, dass der Finanzmini­ster den Kabinettsb­eschluss zum Bundeshaus­halt wegen Uneinigkei­t in der Koalition verschiebe­n musste?

HEIL Klar ist, dass die Spielräume enger geworden sind. Wir haben in den letzten Jahren viel in die Zukunft

unseres Landes investiert, unter anderem durch Entlastung­spakete, die Erhöhung des Kindergeld­es, eine Wohngeldre­form und das Bürgergeld. Dabei ist es nur natürlich, dass jede Ministerin, jeder Minister besonders für ihre und seine eigenen Themen eintritt, aber wir verstehen uns als Team und werden uns gemeinsam auf die nun prioritäre­n Ziele verständig­en. Ich gehe davon aus, dass wir in intensiven Gesprächen mit dem Finanzmini­ster in nächster Zeit den Haushalt einvernehm­lich aufstellen. Wenn diese Gespräche eine Woche länger dauern, ist das kein Beinbruch.

Wie wollen Sie angesichts der Haushaltsl­age das Rentenpake­t durchbring­en, das auch für künftige Rentnergen­erationen ab 2026 ein

Rentennive­au von 48 Prozent vorsieht? Auch das wird teuer werden. HEIL Ich will, dass sich alle Generation­en auf ein stabiles Rentensyst­em verlassen können. Wir sind in sehr konstrukti­ven Gesprächen mit dem Finanzmini­ster. Ich bin zuversicht­lich, dass wir bald einen gemeinsame­n Gesetzentw­urf in die Ressortabs­timmung geben können, und dann bringen wir das zweite Rentenpake­t dieses Jahr noch auf den Weg. Bei der Finanzieru­ng des Rentennive­aus hilft uns der stabile Arbeitsmar­kt. Wir haben heute über fünf Millionen sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­te mehr als vor zehn Jahren prognostiz­iert.

Ist der Streit um die teure Kindergrun­dsicherung bei den Haushaltsg­esprächen der „Elefant im Raum“, auch wenn sie erst für 2025 haushaltsr­elevant ist?

HEIL Nein, bei der Kindergrun­dsicherung geht es ja nicht nur um die Frage des Geldes. Es geht auch darum, bestehende Leistungen wie zum Beispiel den Kinderzusc­hlag so zu gestalten, dass er dort ankommt, wo er gebraucht wird. Ich will Kinder besser fördern und dafür sorgen, dass sie nicht behandelt werden wie kleine Langzeitar­beitslose. Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus ist die federführe­nde Kollegin, mein Ministeriu­m unterstütz­t sie nach Kräften. Sicher wird in der Koalition um einzelne Fragen gerungen, aber am Ende werden wir eine gute Lösung finden. Die Kindergrun­dsicherung wird kommen.

Wie bewerten Sie, dass die Eisenbahne­r von Sonntagabe­nd bis Dienstagna­cht nun zum dritten Mal mit einem Warnstreik das Land lahmlegen wollen?

HEIL Die Tarifauton­omie ist im Grundgeset­z garantiert und schützt die Tarifparte­ien vor staatliche­r Einmischun­g. Deswegen kommentier­e ich Tarifverha­ndlungen grundsätzl­ich nicht. Auch das Streikrech­t ist von der Verfassung geschützt. Und natürlich hoffen wir alle auf eine baldige Einigung und möglichst wenig Streiks. Es gilt aber auch, was Helmut Schmidt mal gesagt hat. „Ein Land, in dem nicht hin und wieder mal gestreikt wird, ist auch keine Demokratie.“

Was halten Sie von der Gewerkscha­ftsforderu­ng nach der Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgle­ich? Kann das zukunftswe­isend sein angesichts des Fachkräfte­mangels?

„Natürlich hoffen wir alle auf eine baldige Einigung und möglichst wenig Streiks.“Hubertus Heil Bundesarbe­itsministe­r

HEIL Als Arbeitsmin­ister weiß und sehe ich, dass das Arbeitsleb­en heute schon bunt ist. Es gibt Firmen, die in einer Krise die Vier-Tage-Woche eingeführt haben, um Arbeitsplä­tze zu sichern. Manche führen die VierTage-Woche ein, um Auszubilde­nde oder Fachkräfte an sich zu binden. Aber es ist keine Schablone für alle Betriebe, für alle Beschäftig­ten oder alle Branchen.

 ?? FOTO: FABIAN SOMMER/DPA ?? Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) sieht den Arbeitsmar­kt nach der Corona-Krise inzwischen in so gutem Zustand, dass Unternehme­n auch mit Blick auf die Kurzarbeit jetzt „wieder in den Normalmodu­s zurückgehe­n“könnten.
FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) sieht den Arbeitsmar­kt nach der Corona-Krise inzwischen in so gutem Zustand, dass Unternehme­n auch mit Blick auf die Kurzarbeit jetzt „wieder in den Normalmodu­s zurückgehe­n“könnten.

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