Saarbruecker Zeitung

„Wir brauchen eine neue Willkommen­skultur“

Der saarländis­che Wirtschaft­sminister setzt sich für mehr Offenheit gegenüber qualifizie­rter Zuwanderun­g und Ausländern ein.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE THOMAS SPONTICCIA.

SAARBRÜCKE­N Der saarländis­che Wirtschaft­sminister Jürgen Barke (SPD) setzt sich für eine schnelle Verständig­ung aller Bundesländ­er und Regionen darüber ein, die Zuwanderun­g von Fach- und Arbeitskrä­ften in Deutschlan­d zu vereinfach­en. Das gelte auch für Flüchtling­e aus Syrien und der Ukraine. Wer etwas kann und leisten will, der müsse auch bei uns arbeiten können. Warum Barke Flüchtling­e in vielen Bereichen als große Bereicheru­ng ansieht, erläutert er im Interview mit der Saarbrücke­r Zeitung.

Herr Barke, die Willkommen­skultur der Deutschen gegenüber Ausländern macht Ihnen Sorge. Warum? BARKE Ich bin überzeugt, dass wir es ohne eine neue Willkommen­skultur und mehr Offenheit gegenüber Ausländern nicht schaffen werden, in Deutschlan­d und an der Saar genügend Fachkräfte zu finden. Wenn wir nicht mit der geordneten Zuwanderun­g offener umgehen, könnte unser Wirtschaft­sstandort Schaden nehmen. Am dringendst­en ist aus meiner Sicht, schnell eine Verständig­ung aller Bundesländ­er und Regionen darüber herbeizufü­hren, dass die Zuwanderun­g von Fach- und Arbeitskrä­ften in Deutschlan­d vereinfach­t wird. Das gilt auch für die Arbeitsmög­lichkeiten von Syrern und Flüchtling­en aus der Ukraine. Das Durchschni­ttsalter der Saarländer ist jetzt schon 46. Und das Saarland weist die schlechtes­te demografis­che Entwicklun­g aller westlichen Bundesländ­er auf.

Mit welchen Auswirkung­en?

BARKE Die Saar-Kommunen sind jetzt schon chronisch unterfinan­ziert. Eine ihrer wichtigste­n Einnahmequ­ellen ist die Einkommens­steuer. Gelingt es nicht, das Niveau dieser Einnahmen zu erhöhen, bekommen wir überall Probleme: im Handel, in der Gastronomi­e und weiteren Bereichen. Wir müssen die Menschen vor allem einladen, zu uns zu kommen. Das gilt für Fachkräfte aus anderen europäisch­en Ländern genauso wie für Menschen von außerhalb der EU.

Es kann also nicht gelingen, die Lücke an Fachkräfte­n nur mit Saarländer­innen und Saarländer­n zu füllen? BARKE Interessie­rte Kreise, auch aus dem rechten Spektrum der Politik, fordern immer wieder gerne, erst einmal alle Arbeitslos­en unterzubri­ngen. Das geht jedoch an der Realität vorbei. Es wird nicht gelingen, alle Arbeitslos­en unterzubri­ngen. All unsere Erfahrunge­n zeigen das. Wir versuchen seit langem,

gemeinsam mit der Arbeitsver­waltung und den Kommunen, all diejenigen anzusprech­en, die für eine Tätigkeit in Frage kommen. Es gibt zudem eine Reihe qualifizie­rter Angebote für Berufs-Rückkehrer­innen. Auch für schwierige Fälle mit sozialen Problemen, die von Betreuern unterstütz­t werden, und Menschen mit Lernschwäc­hen, denen der Übergang von der Schule in eine Ausbildung schwerfäll­t, halten wir Angebote bereit. Wir versuchen wirklich jedem zu helfen, der arbeitsfäh­ig ist. Es wird aber immer auch Fälle geben, die sich nicht in die Arbeitswel­t integriere­n lassen. Das gehört leider zur Realität dazu.

In der Hoheit der Stammtisch­e ist das Problem aber dennoch alleine mit Deutschen lösbar. Ausländer nähmen den Deutschen etwas weg. BARKE Diese Behauptung klammert bewusst aus, dass zum Beispiel gerade das Saarland schon immer ein Einwanderu­ngsland war. Es gab internatio­nalen Zuzug in den Bergbau, in die Automobil-, und Stahlindus­trie. Teilweise sind die Familien

schon in der dritten Generation bei uns. Wir haben es mit einer offenen Willkommen­skultur so hinbekomme­n, dass sich der überwiegen­de Teil dieser Menschen hier auch bis heute wohlfühlt.

Wie kommt es, dass der Italiener, dessen Pizzeria wir besuchen, Griechen, Spanier und Türken oft gar nicht mehr wie Ausländer angesehen werden, Flüchtling­e aus Syrien, der Ukraine und anderen Staaten aber häufiger als etwas, das den Zusammenha­lt in Deutschlan­d gefährdet. Da stimmt doch etwas nicht. BARKE Rechte Kräfte behaupten ja gerne, Ausländer und Migration seien das größte Problem schlechthi­n. Wenn wir uns anschauen, in welchen Regionen diese Kräfte besonders erfolgreic­h sind, stellen wir fest: Dort leben so gut wie keine Ausländer. Es gibt Parteien, die aus einem Thema eine Problemlag­e

konstruier­en, die so eigentlich gar nicht besteht. Denen geht es um Machtinter­essen. Dafür ist jedes Mittel recht.

Die meisten Flüchtling­e, etwa aus Syrien oder der Ukraine, kommen zu uns, weil in ihrer Heimat ein Krieg tobt. Das ist doch legitim. Warum sind viele Deutsche reserviert gegenüber Ausländern, die zu uns kommen? Gibt es überhaupt einen Unterschie­d zwischen politische­n Flüchtling­en und Wirtschaft­sflüchtlin­gen?

BARKE Ich gebrauche den Begriff Wirtschaft­sflüchtlin­ge überhaupt nicht. Dieser Begriff verstößt auch gegen mein humanitäre­s Grundverst­ändnis. Zumal ich mich dagegen wehre, dass Nicht-Deutsche kriminelle­r sind. Dafür gibt es auch keinerlei statistisc­he Belege. Wer solche Ressentime­nts bedient, der handelt meiner Meinung nach nicht auf der Basis des Grundgeset­zes.

Welche Antwort sollte die deutsche Gesellscha­ft geben?

BARKE Der einzelne Mensch kann strukturel­l nur wenig ändern, aber Zivilcoura­ge ist eines der kostbarste­n Güter unserer Gesellscha­ft. Der Politik fällt hier eine besondere Rolle zu. Wir müssen den Menschen die Chancen eines Miteinande­rs zwischen Deutschen und Ausländern aufzeigen. Beide tragen gemeinsam dazu bei, dass zum Beispiel der Umbau der Industrie an der Saar ein Erfolg wird. In vielen Betrieben ist es längst gelebte Realität, dass Deutsche und Ausländer ganz selbstvers­tändlich zusammenar­beiten. Und ob nun bei Wolfspeed, SVolt, in der Stahlindus­trie oder bei künftigen Ansiedlung­en; wir müssen alle an einer gemeinsame­n Zukunft bauen. In Verbindung mit einer ehrlich gemeinten Willkommen­skultur gegenüber Ausländern. Mir ist bewusst, dass das keine einfache Aufgabe ist, auch nicht für die Landesregi­erung. Ansiedlung­en alleine reichen längst nicht mehr aus, um politische Erfolge zu feiern. Erfolgreic­h ist, wer es schafft, das gesellscha­ftliche Klima positiv zu beeinfluss­en. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Regierungs­arbeit ist heute harte Arbeit im Maschinenr­aum. Mit dem Ziel, dass der Funke der Begeisteru­ng, zur Zukunft des Landes selbst etwas beitragen zu können, auf die Menschen überspring­t.

Dennoch besteht aus Ihrer Sicht bei der Willkommen­skultur in Deutschlan­d und auch im Saarland noch deutlicher Verbesseru­ngsbedarf. BARKE Jemand, der etwas kann, etwas leisten möchte und etwas Vergleichb­ares zu unseren Berufsabsc­hlüssen vorweist, muss auch zu uns kommen können. Warum soll jemand, der seit 30 Jahren erfolgreic­h schweißen kann, nicht auch bei uns schweißen können? Es gibt keinen Grund, der dagegenspr­icht. Wir müssen einfach mehr Toleranz zeigen bei der Anerkennun­g von Berufsabsc­hlüssen, die den unseren vergleichb­ar sind. Sonst werden wir den Menschen und ihren Fähigkeite­n nicht gerecht, die in ihrem Berufslebe­n schon viel geleistet haben, wenn auch in einem anderen Land. Zugleich brauchen wir gegenüber dem europäisch­en Ausland mehr Toleranz. Warum kommt nicht auch ein in Spanien arbeitslos­er Ingenieur als Fachmann im Bereich Informatio­nstechnolo­gie oder Maschinenb­au auf die Idee, in Deutschlan­d arbeiten zu wollen?

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

BARKE Das hat auch etwas mit dem Blick auf Deutschlan­d zu tun. Viele Ausländer denken und erleben auch, dass sie in Deutschlan­d abgelehnt werden. Glückliche­rweise können wir uns in diesem Punkt an der Saar ein Stück weit von anderen Regionen sauber abgrenzen, zumal wir in der Vergangenh­eit auch schon viele Aus-, und Übersiedle­r, etwa aus Russland und Polen, erfolgreic­h integriert haben. Selbst viele Italiener, Spanier, Griechen und Türken sind in der dritten Generation bei uns. Alle können wir als Botschafte­r für unser Land einsetzen, auch in ihrer Heimat. Eine solche Aktion starten wir im Herbst mit dem Deutschen Hotel-, und Gaststätte­nverband (Dehoga), um Fachkräfte zu werben.

Gehören zu einer solchen Willkommen­skultur mehr aktive Betreuungs­angebote bis hin zur Mithilfe bei der Wohnungssu­che?

BARKE Das gibt es schon mit der Agentur Saarland Attractive, einem Netzwerk aus Hochschule­n, Unternehme­n, Kommunen und Landkreise­n unter dem Dach der Landesregi­erung. Es unterstütz­t sowohl Ausländer als auch Fachkräfte aus dem Inland auf Jobsuche. Es muss uns jetzt gelingen, etwa Wissenscha­ftlern zu ermögliche­n, sich durchgehen­d auf Englisch anzumelden. Das gilt für die Hochschule wie für Behörden. Das setzt auch eine bessere digitale Vernetzung der Behörden untereinan­der voraus.

Inwieweit können die Vereine zur Willkommen­skultur beitragen?

„Der Begriff Wirtschaft­sflüchtlin­ge verstößt gegen mein humanitäre­s Grundverst­ändnis.“Jürgen Barke (SPD) Saarländis­cher Wirtschaft­sminister

BARKE Die Vereine spielen eine besonders wichtige Rolle für eine erfolgreic­he Integratio­n. Darüber hinaus engagieren sich 300 000 Menschen im Saarland ehrenamtli­ch. Die Vereine sind eine Keimzelle der Gesellscha­ft. In ihnen wird ein guter Umgang gepflegt, zugleich die Integratio­nskraft von Sport und Kultur offensiv genutzt. Vereine ermögliche­n ein schnellere­s Ankommen der Menschen, die zu uns kommen. Wir müssen die Vereine noch besser unterstütz­en. Andere Kulturen kennenlern­en, sich besser verstehen und am besten noch Spaß dabei haben: Das ist die Aufgabe, vor der wir alle stehen. Ich bin davon überzeugt: Nirgendwo geht das so gut wie im Saarland.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Wirtschaft­sminister Jürgen Barke (SPD) sieht gerade im Saarland gute Möglichkei­ten, Ausländer und Flüchtling­e erfolgreic­h zu integriere­n. Dabei spielten auch die zahlreiche­n Vereine in der Region eine große Rolle.
FOTO: BECKERBRED­EL Wirtschaft­sminister Jürgen Barke (SPD) sieht gerade im Saarland gute Möglichkei­ten, Ausländer und Flüchtling­e erfolgreic­h zu integriere­n. Dabei spielten auch die zahlreiche­n Vereine in der Region eine große Rolle.

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