„Wir brauchen eine neue Willkommenskultur“
Der saarländische Wirtschaftsminister setzt sich für mehr Offenheit gegenüber qualifizierter Zuwanderung und Ausländern ein.
SAARBRÜCKEN Der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) setzt sich für eine schnelle Verständigung aller Bundesländer und Regionen darüber ein, die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften in Deutschland zu vereinfachen. Das gelte auch für Flüchtlinge aus Syrien und der Ukraine. Wer etwas kann und leisten will, der müsse auch bei uns arbeiten können. Warum Barke Flüchtlinge in vielen Bereichen als große Bereicherung ansieht, erläutert er im Interview mit der Saarbrücker Zeitung.
Herr Barke, die Willkommenskultur der Deutschen gegenüber Ausländern macht Ihnen Sorge. Warum? BARKE Ich bin überzeugt, dass wir es ohne eine neue Willkommenskultur und mehr Offenheit gegenüber Ausländern nicht schaffen werden, in Deutschland und an der Saar genügend Fachkräfte zu finden. Wenn wir nicht mit der geordneten Zuwanderung offener umgehen, könnte unser Wirtschaftsstandort Schaden nehmen. Am dringendsten ist aus meiner Sicht, schnell eine Verständigung aller Bundesländer und Regionen darüber herbeizuführen, dass die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften in Deutschland vereinfacht wird. Das gilt auch für die Arbeitsmöglichkeiten von Syrern und Flüchtlingen aus der Ukraine. Das Durchschnittsalter der Saarländer ist jetzt schon 46. Und das Saarland weist die schlechteste demografische Entwicklung aller westlichen Bundesländer auf.
Mit welchen Auswirkungen?
BARKE Die Saar-Kommunen sind jetzt schon chronisch unterfinanziert. Eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen ist die Einkommenssteuer. Gelingt es nicht, das Niveau dieser Einnahmen zu erhöhen, bekommen wir überall Probleme: im Handel, in der Gastronomie und weiteren Bereichen. Wir müssen die Menschen vor allem einladen, zu uns zu kommen. Das gilt für Fachkräfte aus anderen europäischen Ländern genauso wie für Menschen von außerhalb der EU.
Es kann also nicht gelingen, die Lücke an Fachkräften nur mit Saarländerinnen und Saarländern zu füllen? BARKE Interessierte Kreise, auch aus dem rechten Spektrum der Politik, fordern immer wieder gerne, erst einmal alle Arbeitslosen unterzubringen. Das geht jedoch an der Realität vorbei. Es wird nicht gelingen, alle Arbeitslosen unterzubringen. All unsere Erfahrungen zeigen das. Wir versuchen seit langem,
gemeinsam mit der Arbeitsverwaltung und den Kommunen, all diejenigen anzusprechen, die für eine Tätigkeit in Frage kommen. Es gibt zudem eine Reihe qualifizierter Angebote für Berufs-Rückkehrerinnen. Auch für schwierige Fälle mit sozialen Problemen, die von Betreuern unterstützt werden, und Menschen mit Lernschwächen, denen der Übergang von der Schule in eine Ausbildung schwerfällt, halten wir Angebote bereit. Wir versuchen wirklich jedem zu helfen, der arbeitsfähig ist. Es wird aber immer auch Fälle geben, die sich nicht in die Arbeitswelt integrieren lassen. Das gehört leider zur Realität dazu.
In der Hoheit der Stammtische ist das Problem aber dennoch alleine mit Deutschen lösbar. Ausländer nähmen den Deutschen etwas weg. BARKE Diese Behauptung klammert bewusst aus, dass zum Beispiel gerade das Saarland schon immer ein Einwanderungsland war. Es gab internationalen Zuzug in den Bergbau, in die Automobil-, und Stahlindustrie. Teilweise sind die Familien
schon in der dritten Generation bei uns. Wir haben es mit einer offenen Willkommenskultur so hinbekommen, dass sich der überwiegende Teil dieser Menschen hier auch bis heute wohlfühlt.
Wie kommt es, dass der Italiener, dessen Pizzeria wir besuchen, Griechen, Spanier und Türken oft gar nicht mehr wie Ausländer angesehen werden, Flüchtlinge aus Syrien, der Ukraine und anderen Staaten aber häufiger als etwas, das den Zusammenhalt in Deutschland gefährdet. Da stimmt doch etwas nicht. BARKE Rechte Kräfte behaupten ja gerne, Ausländer und Migration seien das größte Problem schlechthin. Wenn wir uns anschauen, in welchen Regionen diese Kräfte besonders erfolgreich sind, stellen wir fest: Dort leben so gut wie keine Ausländer. Es gibt Parteien, die aus einem Thema eine Problemlage
konstruieren, die so eigentlich gar nicht besteht. Denen geht es um Machtinteressen. Dafür ist jedes Mittel recht.
Die meisten Flüchtlinge, etwa aus Syrien oder der Ukraine, kommen zu uns, weil in ihrer Heimat ein Krieg tobt. Das ist doch legitim. Warum sind viele Deutsche reserviert gegenüber Ausländern, die zu uns kommen? Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen?
BARKE Ich gebrauche den Begriff Wirtschaftsflüchtlinge überhaupt nicht. Dieser Begriff verstößt auch gegen mein humanitäres Grundverständnis. Zumal ich mich dagegen wehre, dass Nicht-Deutsche krimineller sind. Dafür gibt es auch keinerlei statistische Belege. Wer solche Ressentiments bedient, der handelt meiner Meinung nach nicht auf der Basis des Grundgesetzes.
Welche Antwort sollte die deutsche Gesellschaft geben?
BARKE Der einzelne Mensch kann strukturell nur wenig ändern, aber Zivilcourage ist eines der kostbarsten Güter unserer Gesellschaft. Der Politik fällt hier eine besondere Rolle zu. Wir müssen den Menschen die Chancen eines Miteinanders zwischen Deutschen und Ausländern aufzeigen. Beide tragen gemeinsam dazu bei, dass zum Beispiel der Umbau der Industrie an der Saar ein Erfolg wird. In vielen Betrieben ist es längst gelebte Realität, dass Deutsche und Ausländer ganz selbstverständlich zusammenarbeiten. Und ob nun bei Wolfspeed, SVolt, in der Stahlindustrie oder bei künftigen Ansiedlungen; wir müssen alle an einer gemeinsamen Zukunft bauen. In Verbindung mit einer ehrlich gemeinten Willkommenskultur gegenüber Ausländern. Mir ist bewusst, dass das keine einfache Aufgabe ist, auch nicht für die Landesregierung. Ansiedlungen alleine reichen längst nicht mehr aus, um politische Erfolge zu feiern. Erfolgreich ist, wer es schafft, das gesellschaftliche Klima positiv zu beeinflussen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Regierungsarbeit ist heute harte Arbeit im Maschinenraum. Mit dem Ziel, dass der Funke der Begeisterung, zur Zukunft des Landes selbst etwas beitragen zu können, auf die Menschen überspringt.
Dennoch besteht aus Ihrer Sicht bei der Willkommenskultur in Deutschland und auch im Saarland noch deutlicher Verbesserungsbedarf. BARKE Jemand, der etwas kann, etwas leisten möchte und etwas Vergleichbares zu unseren Berufsabschlüssen vorweist, muss auch zu uns kommen können. Warum soll jemand, der seit 30 Jahren erfolgreich schweißen kann, nicht auch bei uns schweißen können? Es gibt keinen Grund, der dagegenspricht. Wir müssen einfach mehr Toleranz zeigen bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, die den unseren vergleichbar sind. Sonst werden wir den Menschen und ihren Fähigkeiten nicht gerecht, die in ihrem Berufsleben schon viel geleistet haben, wenn auch in einem anderen Land. Zugleich brauchen wir gegenüber dem europäischen Ausland mehr Toleranz. Warum kommt nicht auch ein in Spanien arbeitsloser Ingenieur als Fachmann im Bereich Informationstechnologie oder Maschinenbau auf die Idee, in Deutschland arbeiten zu wollen?
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
BARKE Das hat auch etwas mit dem Blick auf Deutschland zu tun. Viele Ausländer denken und erleben auch, dass sie in Deutschland abgelehnt werden. Glücklicherweise können wir uns in diesem Punkt an der Saar ein Stück weit von anderen Regionen sauber abgrenzen, zumal wir in der Vergangenheit auch schon viele Aus-, und Übersiedler, etwa aus Russland und Polen, erfolgreich integriert haben. Selbst viele Italiener, Spanier, Griechen und Türken sind in der dritten Generation bei uns. Alle können wir als Botschafter für unser Land einsetzen, auch in ihrer Heimat. Eine solche Aktion starten wir im Herbst mit dem Deutschen Hotel-, und Gaststättenverband (Dehoga), um Fachkräfte zu werben.
Gehören zu einer solchen Willkommenskultur mehr aktive Betreuungsangebote bis hin zur Mithilfe bei der Wohnungssuche?
BARKE Das gibt es schon mit der Agentur Saarland Attractive, einem Netzwerk aus Hochschulen, Unternehmen, Kommunen und Landkreisen unter dem Dach der Landesregierung. Es unterstützt sowohl Ausländer als auch Fachkräfte aus dem Inland auf Jobsuche. Es muss uns jetzt gelingen, etwa Wissenschaftlern zu ermöglichen, sich durchgehend auf Englisch anzumelden. Das gilt für die Hochschule wie für Behörden. Das setzt auch eine bessere digitale Vernetzung der Behörden untereinander voraus.
Inwieweit können die Vereine zur Willkommenskultur beitragen?
„Der Begriff Wirtschaftsflüchtlinge verstößt gegen mein humanitäres Grundverständnis.“Jürgen Barke (SPD) Saarländischer Wirtschaftsminister
BARKE Die Vereine spielen eine besonders wichtige Rolle für eine erfolgreiche Integration. Darüber hinaus engagieren sich 300 000 Menschen im Saarland ehrenamtlich. Die Vereine sind eine Keimzelle der Gesellschaft. In ihnen wird ein guter Umgang gepflegt, zugleich die Integrationskraft von Sport und Kultur offensiv genutzt. Vereine ermöglichen ein schnelleres Ankommen der Menschen, die zu uns kommen. Wir müssen die Vereine noch besser unterstützen. Andere Kulturen kennenlernen, sich besser verstehen und am besten noch Spaß dabei haben: Das ist die Aufgabe, vor der wir alle stehen. Ich bin davon überzeugt: Nirgendwo geht das so gut wie im Saarland.