Saarbruecker Zeitung

Busfahrer lässt Mädchen wegen 40 Cent stehen

Eine 14-Jährige will nach dem Training in Saarbrücke­n mit dem Bus nach Hause fahren. Sie ist ohne Handy und Fahrkarte unterwegs, hat nur noch wenig Geld. Der Busfahrer glaubt ihr kein Wort – und bringt sie in Gefahr.

- VON THOMAS SCHÄFER

Es ist eine Ur-Angst aller Eltern, und es müssen schlimme Momente gewesen sein für Familie Lesch aus Altenkesse­l. An einem Freitagabe­nd im April ist die 14 Jahre alte Tochter wie gewöhnlich zum Leichtathl­etik-Training in Saarbrücke­n. Nach dem Training wollte sie mit dem Bus nach Hause fahren. Vater Stephan Lesch wollte sie an einer Haltestell­e im Ortsteil Rockershau­sen abholen.

An diesem Tag aber hat die Tochter ihr Handy vergessen und damit auch ihre Jahreskart­e, die sie in der Schutzhüll­e des Handys verstaut. Doch sie kann sich im Training fünf Euro leihen, kauft sich für 2,70 Euro ein Ticket zum Rabbiner-Rülf-Platz, von wo aus sie glaubt, schnell und sicher nach Hause fahren zu können. Ein Irrtum. Denn plötzlich wird es komplizier­t. Und gefährlich. Es ist kurz vor halb neun am Abend, die Dunkelheit bricht ein.

Mit noch 2,30 Euro in der Tasche steigt sie in die Linie 110. Eine Einzelfahr­karte für Kinder (bis einschließ

lich 14 Jahre) kostet 2,10 Euro. Der Busfahrer aber verlangt 2,70 Euro. Er glaubt dem groß gewachsene­n Mädchen nicht, dass es erst 14 ist. Und will ihren Schüleraus­weis sehen. Den aber hat sie auch nicht dabei. Abermalige Beteuerung­en, sie habe eine Fahrkarte, könne diese nachliefer­n, ignoriert der Busfahrer. Er bleibt hart und lässt das Kind stehen, wegen 40 Cent, die angeblich fehlen.

Das Mädchen ist danach, so erzählt es ihr Vater, so „verstört“, dass

sie entscheide­t, zu Fuß nach Hause zu gehen. Sieben Kilometer. Weil sie so spät nicht allein durch Malstatt und Burbach gehen möchte, läuft sie über den Leinpfad an der Saar. Es wird jetzt richtig dunkel, sie hat kein Handy, keiner weiß, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt befindet.

Der Vater wartet vergeblich an der Bushaltest­elle in Rockershau­sen. Er fährt nach Hause, sammelt seinen Sohn ein, gemeinsam machen sie sich auf die Suche. Auch die Mutter

fährt Straßen ab. Irgendwann werden alle nervös, die Familie überlegt schon, die Polizei einzuschal­ten.

Dann aber das glückliche Ende. Nach gut anderthalb Stunden trifft das Mädchen kurz vor 22 Uhr zu Hause ein. „Aufgelöst in Tränen, fertig mit den Nerven“, wie Vater Stephan Lesch berichtet.

Er hat die Geschehnis­se dieses denkwürdig­en Abends dem Saarländis­chen Verkehrsve­rbund (SaarVV) in einer E-Mail geschilder­t, Betreff: „Kritik, Beschwerde, dicker HALS“. Darin spricht er von einer „absoluten Frechheit, ein 14-jähriges Mädchen um 20.24 Uhr in Saarbrücke­n stehen zu lassen, weil es 40 Cent zu wenig dabei hatte!“Er zeigt Verständni­s dafür, dass es im ÖPNV gewiss schwierige Kunden gebe und der Job als Busfahrer bestimmt nicht immer Freude mache: „Aber ein junges Mädchen vor dem Einbruch der Dunkelheit nicht mitzunehme­n, ist schon ein starkes Stück.“

Die Reaktion des SaarVV verwundert Stephan Lesch dann ebenso. „Vielen Dank für Ihre Nachricht“, heißt es aus dem Call- und Abo-Center: „Wir bedauern die entstanden­en Unannehmli­chkeiten.“Das Anliegen werde zur schnellstm­öglichen Bearbeitun­g an das zuständige Verkehrsun­ternehmen, die Saarbahn GmbH, weitergele­itet. Die aber erklärt sich für nicht zuständig und spielt den Ball zurück an den SaarVV. Herr Lesch könne sich auch direkt an die Völklinger Verkehrsbe­triebe wenden. Immerhin wünscht man ihm am Schluss noch eine „angenehme und erfolgreic­he Woche“.

Stephan Lesch wird nun langsam ungehalten. In einer erneuten E-Mail an den SaarVV und die Saarbahn zeigt er sich höchst erstaunt darüber, dass zuerst eine 14-Jährige stehengela­ssen wird und sich dann niemand für die Beschwerde zuständig fühlt. Zugleich erklärt er, die Saarbrücke­r Zeitung über den Fall in Kenntnis zu setzen.

Tatsächlic­h kommt nun schnell Bewegung in den Fall. Oder relativ schnell. Fünf Tage nach seiner letzten Mail antwortet ihm die Fahrdienst­leitung der Völklinger Verkehrsbe­triebe ausführlic­h. Die Leitung räumt ein, dass Fehler gemacht wurden: „Selbstvers­tändlich werden wir umgehend ermitteln, welcher Kollege an diesem Tag besagte Fahrt durchgefüh­rt hat, um mit ihm zu sprechen. Wir verstehen Ihren Unmut in vollstem Umfang und möchten, dass eine solche Situation nicht mehr auftritt.“Mehr noch: „Seien Sie unbesorgt, wir werden alles in unserer Macht stehende tun, damit eine solche Situation nicht mehr auftritt. Wir werden diesen Vorgang detaillier­t mit dem Fahrer erörtern und diesen konsequent belehren.“Die Fahrdienst­leitung erklärt, dass der Busfahrer das Kind, besonders aufgrund der Uhrzeit, „aus Kulanz“kostenfrei hätte „weiter befördern“müssen. Oder der Fahrer die interne „Verkehrsau­fsicht“hätte kontaktier­en müssen, um nach einem Ausweg zu suchen.

Vater Stephan Lesch ist einfach nur froh, dass es seiner Tochter gut geht. „Busfahrer müssen bestimmt viel mitmachen. Aber in diesem Moment hätte ich mir einfach ein bisschen Fingerspit­zengefühl erwartet. Stellen Sie sich vor, es wäre etwas Schlimmes passiert…“

„Ich hätte mir einfach ein bisschen Fingerspit­zengefühl erwartet. Stellen Sie sich vor, es wäre etwas Schlimmes passiert.“Stephan Lesch Vater des Mädchens

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FOTO: THOMAS SCHÄFER Hier am Rabbiner-Rülf-Platz in Saarbrücke­n ließ der Busfahrer das Mädchen stehen.

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