Busfahrer lässt Mädchen wegen 40 Cent stehen
Eine 14-Jährige will nach dem Training in Saarbrücken mit dem Bus nach Hause fahren. Sie ist ohne Handy und Fahrkarte unterwegs, hat nur noch wenig Geld. Der Busfahrer glaubt ihr kein Wort – und bringt sie in Gefahr.
Es ist eine Ur-Angst aller Eltern, und es müssen schlimme Momente gewesen sein für Familie Lesch aus Altenkessel. An einem Freitagabend im April ist die 14 Jahre alte Tochter wie gewöhnlich zum Leichtathletik-Training in Saarbrücken. Nach dem Training wollte sie mit dem Bus nach Hause fahren. Vater Stephan Lesch wollte sie an einer Haltestelle im Ortsteil Rockershausen abholen.
An diesem Tag aber hat die Tochter ihr Handy vergessen und damit auch ihre Jahreskarte, die sie in der Schutzhülle des Handys verstaut. Doch sie kann sich im Training fünf Euro leihen, kauft sich für 2,70 Euro ein Ticket zum Rabbiner-Rülf-Platz, von wo aus sie glaubt, schnell und sicher nach Hause fahren zu können. Ein Irrtum. Denn plötzlich wird es kompliziert. Und gefährlich. Es ist kurz vor halb neun am Abend, die Dunkelheit bricht ein.
Mit noch 2,30 Euro in der Tasche steigt sie in die Linie 110. Eine Einzelfahrkarte für Kinder (bis einschließ
lich 14 Jahre) kostet 2,10 Euro. Der Busfahrer aber verlangt 2,70 Euro. Er glaubt dem groß gewachsenen Mädchen nicht, dass es erst 14 ist. Und will ihren Schülerausweis sehen. Den aber hat sie auch nicht dabei. Abermalige Beteuerungen, sie habe eine Fahrkarte, könne diese nachliefern, ignoriert der Busfahrer. Er bleibt hart und lässt das Kind stehen, wegen 40 Cent, die angeblich fehlen.
Das Mädchen ist danach, so erzählt es ihr Vater, so „verstört“, dass
sie entscheidet, zu Fuß nach Hause zu gehen. Sieben Kilometer. Weil sie so spät nicht allein durch Malstatt und Burbach gehen möchte, läuft sie über den Leinpfad an der Saar. Es wird jetzt richtig dunkel, sie hat kein Handy, keiner weiß, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt befindet.
Der Vater wartet vergeblich an der Bushaltestelle in Rockershausen. Er fährt nach Hause, sammelt seinen Sohn ein, gemeinsam machen sie sich auf die Suche. Auch die Mutter
fährt Straßen ab. Irgendwann werden alle nervös, die Familie überlegt schon, die Polizei einzuschalten.
Dann aber das glückliche Ende. Nach gut anderthalb Stunden trifft das Mädchen kurz vor 22 Uhr zu Hause ein. „Aufgelöst in Tränen, fertig mit den Nerven“, wie Vater Stephan Lesch berichtet.
Er hat die Geschehnisse dieses denkwürdigen Abends dem Saarländischen Verkehrsverbund (SaarVV) in einer E-Mail geschildert, Betreff: „Kritik, Beschwerde, dicker HALS“. Darin spricht er von einer „absoluten Frechheit, ein 14-jähriges Mädchen um 20.24 Uhr in Saarbrücken stehen zu lassen, weil es 40 Cent zu wenig dabei hatte!“Er zeigt Verständnis dafür, dass es im ÖPNV gewiss schwierige Kunden gebe und der Job als Busfahrer bestimmt nicht immer Freude mache: „Aber ein junges Mädchen vor dem Einbruch der Dunkelheit nicht mitzunehmen, ist schon ein starkes Stück.“
Die Reaktion des SaarVV verwundert Stephan Lesch dann ebenso. „Vielen Dank für Ihre Nachricht“, heißt es aus dem Call- und Abo-Center: „Wir bedauern die entstandenen Unannehmlichkeiten.“Das Anliegen werde zur schnellstmöglichen Bearbeitung an das zuständige Verkehrsunternehmen, die Saarbahn GmbH, weitergeleitet. Die aber erklärt sich für nicht zuständig und spielt den Ball zurück an den SaarVV. Herr Lesch könne sich auch direkt an die Völklinger Verkehrsbetriebe wenden. Immerhin wünscht man ihm am Schluss noch eine „angenehme und erfolgreiche Woche“.
Stephan Lesch wird nun langsam ungehalten. In einer erneuten E-Mail an den SaarVV und die Saarbahn zeigt er sich höchst erstaunt darüber, dass zuerst eine 14-Jährige stehengelassen wird und sich dann niemand für die Beschwerde zuständig fühlt. Zugleich erklärt er, die Saarbrücker Zeitung über den Fall in Kenntnis zu setzen.
Tatsächlich kommt nun schnell Bewegung in den Fall. Oder relativ schnell. Fünf Tage nach seiner letzten Mail antwortet ihm die Fahrdienstleitung der Völklinger Verkehrsbetriebe ausführlich. Die Leitung räumt ein, dass Fehler gemacht wurden: „Selbstverständlich werden wir umgehend ermitteln, welcher Kollege an diesem Tag besagte Fahrt durchgeführt hat, um mit ihm zu sprechen. Wir verstehen Ihren Unmut in vollstem Umfang und möchten, dass eine solche Situation nicht mehr auftritt.“Mehr noch: „Seien Sie unbesorgt, wir werden alles in unserer Macht stehende tun, damit eine solche Situation nicht mehr auftritt. Wir werden diesen Vorgang detailliert mit dem Fahrer erörtern und diesen konsequent belehren.“Die Fahrdienstleitung erklärt, dass der Busfahrer das Kind, besonders aufgrund der Uhrzeit, „aus Kulanz“kostenfrei hätte „weiter befördern“müssen. Oder der Fahrer die interne „Verkehrsaufsicht“hätte kontaktieren müssen, um nach einem Ausweg zu suchen.
Vater Stephan Lesch ist einfach nur froh, dass es seiner Tochter gut geht. „Busfahrer müssen bestimmt viel mitmachen. Aber in diesem Moment hätte ich mir einfach ein bisschen Fingerspitzengefühl erwartet. Stellen Sie sich vor, es wäre etwas Schlimmes passiert…“
„Ich hätte mir einfach ein bisschen Fingerspitzengefühl erwartet. Stellen Sie sich vor, es wäre etwas Schlimmes passiert.“Stephan Lesch Vater des Mädchens