Saarbruecker Zeitung

Wie zeitgemäß ist der Muttertag noch?

In seiner Ursprungsi­dee ist der Muttertag feministis­ch, 100 Jahre später dominiert eher der Kommerz. Kritiker fordern ein Umdenken.

- VON CHRISTINE CORNELIUS Produktion dieser Seite: Annkathrin Allgöwer Iris Neu-Michalik FOTO OBEN: IMAGO/EVENTPRESS KOCHAN

(dpa) Wenn die Werbesloga­ns in den Schaufenst­ern der Blumenläde­n eindringli­cher werden, die Kinder in Kitas und Schulen eifrig Herzen basteln und die Fernsehwer­bespots vor Glück strahlende Mamas zeigen, dann ist es wieder so weit: Muttertag. Diesmal fällt er auf den 14. Mai. Vor 100 Jahren – 1923 – gab es ihn erstmals in Deutschlan­d. Seinen Ursprung hat er in den USA, damals ging es nicht um Kommerz, sondern um Mütterrech­te und Feminismus. Am Muttertag in seiner heutigen Form gibt es viel Kritik.

„Auf Müttern lastet noch immer sehr stark die gesellscha­ftliche Erwartung, sie hätten kindzentri­ert zu sein, sonst seien sie keine guten Mütter“, sagt Elternfors­cherin Désirée Waterstrad­t von der Pädagogisc­hen Hochschule Karlsruhe. „Dafür ist der Muttertag ein Symbol – die Mutter ist moralisch am Haken.“Mütter seien heute in einem Maße kindzentri­ert, dass es sie erdrücke. Mit Blick auf die Rolle der Väter sagt sie: „Es verändert sich etwas, aber es verändert sich nicht so schnell, wie wir glauben.“

Hin und wieder äußern sich prominente Frauen zu den schwierige­n Seiten der Mutterscha­ft. Schauspiel­erin Wolke Hegenbarth sprach in einem Interview mit dem Spiegel

davon, sich in der Zeit mit Baby wahnsinnig allein gefühlt zu haben. Die Geschichte ende immer damit, dass die Frau ihr Baby bekomme und glücklich sei. „Was danach passiert, darüber spricht niemand.“Sie wünsche sich mehr Wohlwollen, vor allem unter Müttern. „In westlichen Gesellscha­ften gibt es mit Blick auf Mütter so ein mulmiges Gefühl, aber den Umgang mit Müttern und wie es ihnen geht, hinterfrag­t man nicht“, sagt Elternfors­cherin Waterstrad­t. „Der Muttertag ist ein Ausdruck des schlechten Gewissens – das besänftigt man, indem man einmal im Jahr sagt: Blumen, Schokolade, und dann ist aber auch gut.“

Die Anfänge des Muttertags liegen in den USA. Eine wichtige Rolle

spielten dabei Anna Maria Reeves Jarvis und ihre Tochter Anna Jarvis. „Reeves Jarvis, die Gründerin der Mütterbewe­gung, hatte im 19. Jahrhunder­t gemerkt: Die Mütter sind am schlimmste­n dran, sie haben ein viel größeres Problem als Frauen allgemein“, sagt Waterstrad­t, die zum Muttertag geforscht hat. Reeves Jarvis habe 1865 einen MütterFreu­ndschaftst­ag als Netzwerk für Mütter organisier­t. Ihre Tochter Anna

Jarvis zelebriert­e demnach 1908, drei Jahre nach dem Tod der Mutter, zu Ehren deren Engagement­s einen ersten Muttertag. „Die Wurzeln in der Frauenbewe­gung werden heute völlig vergessen“, sagt die Elternfors­cherin. US-Präsident Woodrow Wilson führte den zweiten Sonntag im Mai 1914 als nationalen Ehrentag für Mütter ein. Schnell wurde er kommerzial­isiert, wogegen Anna Jarvis hart, aber vergeblich ankämpfte.

Bald darauf kam die Idee in Europa an, zunächst in der Schweiz und in Skandinavi­en. In Deutschlan­d gab es den ersten Muttertag am 13. Mai 1923. Statt feministis­cher Motive steckten dahinter kommerziel­le Interessen – er wurde vom „Verband Deutscher Blumengesc­häftsinhab­er“initiiert.

Heute fragen sich viele, wie sie den Muttertag zeitgemäß begehen können. Braucht es ihn überhaupt noch? „Ich glaube, dass wir den Muttertag umwidmen sollten in einen Elterntag, sonst schieben wir der Mutter eine Verantwort­ung zu, die sie allein nicht wahrnehmen kann und auch nicht wahrnimmt“, sagt Familien- und Bildungsfo­rscher Wassilios Fthenakis. Auch der Vatertag könne auf diese Weise umgewidmet werden. „Elterntag als Tag der Liebe, des Miteinande­rs, des Verständni­sses und Respekts.“Keine Gesellscha­ft könne ohne die Eltern bestehen. „Wir werden mit einem Modell nicht die ganze Vielfalt abbilden, aber den Geist, der dahinterst­eckt.“Waterstrad­t sagt zu der Idee eines Elterntags: „Eine Zeit lang habe ich auch gedacht, das sei eine gute Idee. Aber die große Gefahr dabei ist heute, dass man sich sehr modern fühlen möchte und deshalb die evolutionä­ren, historisch­en und aktuellen Unterschie­de von Mutterscha­ft und Vaterschaf­t schlicht verdeckt.“Ein Vater könne sich entscheide­n, ob er kooperativ, fürsorglic­h und kindzentri­ert sein wolle – wenn er sich dagegen entscheide, werde es ihm von der Gesellscha­ft nicht übel genommen. „Für Mütter ist das völlig anders.“Aus Waterstrad­ts Sicht sollten sich Mütter wieder auf die Anfänge des Muttertags besinnen: „Wir brauchen wieder eine Mütterbewe­gung und müssen uns über Mutterscha­ft Gedanken machen.“

„Dafür ist der Muttertag ein Symbol – die Mutter ist moralisch am Haken.“Désirée Waterstrad­t Elternfors­cherin von der Pädagogisc­hen Hochschule Karlsruhe

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Blumen, Schokolade – und das war’s dann. Ist der Muttertag Ausdruck des schlechten Gewissens?

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