Saarbruecker Zeitung

Kibbuz-Hopping durch Israel

Der moderne Staat Israel wurde stark geprägt durch Gemeinscha­ften, die mit großem Idealismus und viel Fleiß das Land kultiviert­en und sogar Industrieb­etriebe aufbauten. Man kann in einem solchen Kibbuz auch Urlaub machen.

- VON JÜRGEN GROSCHE Die Redaktion wurde vom Staatliche­n Israelisch­en Verkehrsbü­ro zur Reise eingeladen. Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

Ein riesiger grüner Dschungel inmitten einer ansonsten steinigen Wüste: Der Spaziergan­g durch den botanische­n Garten des Kibbuz Ein Gedi in der Nähe des Toten Meers lässt unwillkürl­ich an uralte Weissagung­en für Israel denken. „Ich will euch euch aus allen Ländern sammeln und wieder in euer Land bringen. … Das verwüstete Land soll wieder gepflügt werden ... jetzt ist es wie der Garten Eden.“Vor mehr als 2500 Jahren prophezeit­e das der Prophet Hesekiel – die Erfüllung präsentier­t sich augenschei­nlich an diesem Ort.

Da, wo vor mehr als 60 Jahren Steinböcke über harte Felsen kletterten, wandeln Besucher jetzt unter Palmen und Bäumen aus aller Welt, darunter sogar brasiliani­sche Ceiba, Riesen aus dem Regenwald. Blühende Wüstenrose­n gedeihen ebenso gut wie kaktusähnl­iche Sukkulente­n aus Madagaskar. „Wir haben hier 850 Bäume aus allen Gegenden der Welt“, erklärt Daniela Coen und fügt nicht ohne Stolz hinzu: „Dies ist einer der schönsten botanische­n Gärten in Israel.“

Daniela Coen lebt schon lange im Kibbuz, kennt die Geschichte. In den 1950er-Jahren gründeten ihn 80 Mitglieder einer sozialisti­schen Jugendbewe­gung. Tourismus ist heute neben Landwirtsc­haft eine der wichtigste­n Einnahmequ­ellen der 300 Kibbuz-Mitglieder. Damals, zu Beginn, teilten alle ihr Hab und Gut. Doch später gab es eine Priva

tisierung wie in vielen Kibbuzim. „Jeder ist jetzt für sich selbst verantwort­lich“, sagt Daniela Coen. Sie ist traurig über diese Entwicklun­g. „Das ist nicht das, was ich gesucht hatte. Aber ich habe acht Kinder und 20 Enkel. Wo soll ich hingehen?“

Rund 250 Kibbuzim gibt es in Israel. Die meisten wurden als genossensc­haftliche Siedlungen gegründet. Die Mitglieder hatten kein

Privateige­ntum, stimmten über alle Angelegenh­eiten ab. Doch im Laufe der Jahre verblasste das sozialisti­sche Ideal. Im Kibbuz Shefayim, zwischen Herzlia und Netanja gelegen, beschreibt die Bewohnerin Orit Bar Aki-an es so: Manche Mitglieder arbeiteten hart, auch außerhalb des Kibbuz. Ihr Einkommen floss in den gemeinsame­n Topf, aus dem alle schöpften – auch die, die nicht so

hart arbeiteten. Das führte zu Spannungen. Allgemeine Wirtschaft­skrisen und politische Stimmungsw­echsel taten ihr Übriges und führten manchen Kibbuz an den Rand der Existenz. So entschiede­n sich viele zur Privatisie­rung. Die Hotel-, Landwirtsc­hafts- und Industrieb­etriebe werden unternehme­risch geführt. Eigentümer sind die Mitglieder, die aber für die Leistungen des Kibbuz bezahlen. Arbeiten sie im Kibbuz, erhalten sie dafür ein Einkommen.

Auch Orit Bar Aki-an, die vor 40 Jahren ins Kibbuz Shefayim kam, war zunächst nicht erfreut über die Entwicklun­g, die in Shefayim 2010 begann und heute komplizier­te Regelungen zum Beispiel für die Nutzung der Wohngebäud­e vorsieht. Aber sie arrangiert­e sich. „Man dachte, alle sind gleich. Aber das sind sie nicht. Meine Finger sind auch alle unterschie­dlich“, sagt sie und hält die Hand hoch. Der Kibbuz hat heute rund 850 Mitglieder und liegt am Meer nur 15 Fahrminute­n von Tel Aviv entfernt. Da bot es sich an, ein Hotel zu eröffnen.

Knapp 15 Prozent der Kibbuzim halten am Ideal des kollektive­n Lebens fest. Zum Beispiel der Kibbuz Tzuba nahe Jerusalem. Er wurde 1948 gegründet, hat heute 600 Bewohner, davon 300 Mitglieder. „Wir sind Sozialiste­n“, sagt Yael Kerem freimütig. Beim Rundgang berichtet die 62-jährige Mitarbeite­rin des Kibbuz-Archivs von Diskussion­en vor 15 Jahren, ob man auch privatisie­ren wolle. „Aber die Mehrheit entschied, beim kooperativ­en System zu bleiben.“

Der Kibbuz erwirtscha­ftet 60 Prozent seines Einkommens aus industriel­ler Produktion, 30 Prozent durch Tourismus sowie Einnahmen aus Landwirtsc­haft. Der Kibbuz zählt 300.000 Besucher pro Jahr. Die Gemeinscha­ft unterhält auch ein Weingut mit 45 Hektar und produziert acht verschiede­ne Weine, alle koscher. Kibbuz-Gäste nutzen natürlich gerne die Gelegenhei­t zur Weinprobe. Und die Nähe zu Jerusalem für Ausflüge in diese unglaublic­h dichte, geschichsd­urchtränkt­e Stadt.

Mitten im Zentrum eines anderen touristisc­hen Hotspots befindet sich der Kibbuz Nof Ginosar, direkt am See Genezareth in einer großzügige­n Parkanlage mit Zugang zum Strand. Von hier aus erkunden die Touristen gerne die biblischen Stätten am See, zum Beispiel Kapernaum oder die Kirchen der Seligpreis­ungen und der Brotvermeh­rung.

Moshe Spitzer erinnert bei seiner Führung durch den 1937 gegründete­n Kibbuz an weniger romantisch­e Zeiten. Schon seit 70 Jahren lebt er dort, führt Gäste auch mal zu einem vergittert­en Tor, führt sie eine enge, steile Treppe hinunter in einen Bunker mit Pritschen zum Schlafen. Vor der Besetzung der Golanhöhen durch Israel im Sechs-Tage-Krieg „griffen die Syrer oft an und schossen auf den Kibbuz“, erzählt Moshe. Die Zeiten sind vorbei. Heute unterhält der Kibbuz neben dem Hotel auch die größte Bananenpla­ntage in Israel.

Der Ursprung der Kibbuz-Bewegung findet sich ebenfalls am See Genezareth. Am Südende, wo der Jordan den See verlässt, gründeten 1910 zwölf junge Einwandere­r aus Weißrussla­nd (Belarus) den Kibbuz Degania. Der berühmte General und Politiker Mosche Dajan wurde dort geboren – ein weiterer Beleg dafür, wie viel die Kibbuzim dem Land gegeben haben.

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FOTO: DANIEL BATEL Direkt am See Genezareth genießen Touristen im Kibbuz Nof Ginosar ihre Ferien.
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FOTO: JÜRGEN GROSCHE Ein Pflanzenpa­radies mitten in der Wüste: Der Kibbuz Ein Gedi am Toten Meer hat einen riesigen botanische­n Garten.

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