Saarbruecker Zeitung

Bovenschul­te sorgt für Normalität in Bremen

Nach dem Wahlsieg in Bremen spricht viel für vier weitere Jahre RotGrün-Rot. Aber der Mann des Abends hat auch Druckmitte­l.

- VON THERESA MÜNCH, FRIEDEMANN KOHLER UND ULRICH BRENNER

BREMEN (dpa/SZ) Aufatmen für die SPD. Die Bremer Scharte von 2019 ist ausgewetzt. In der klassische­rweise „roten“Hansestadt nur zweitstärk­ste Kraft – für die Sozialdemo­kraten war das vor vier Jahren der absolute Tiefpunkt. Sie war in der Hansestadt seit dem Krieg immer stärkste Kraft gewesen. Mit dem Wahlsieg von Andreas Bovenschul­te (57) kehrte am Sonntagabe­nd im kleinsten Bundesland wieder diese Normalität zurück. Und auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) wird das Ergebnis von rund 30 Prozent, obwohl es im historisch­en Vergleich für die SPD sehr mäßig ist, als Rückenwind vor dem Hintergrun­d mieser Umfragen im Bund empfinden.

Wie oft bei Landtagswa­hlen dürfte auch bei dieser Bremer Bürgerscha­ftswahl die Stärke des Amtsinhabe­rs geholfen haben, obwohl Andreas Bovenschul­te das Bundesland erst seit 2019 als Bürgermeis­ter und Präsident des Senats regiert. Vor vier Jahren überließ er die Koalitions­verhandlun­gen um die erste rot-grün-rote Koalition in einem westlichen Bundesland noch seinem durchs Wahlergebn­is geschwächt­en Vorgänger Carsten Sieling. Dann griff der damalige Bürgermeis­ter der Nachbargem­einde Weyhe in Niedersach­sen nach dem Bremer Spitzenamt. Als Parteilink­er war er für die Premiere des Linksbündn­isses im Westen, das durch den Mehrheitsv­erlust von Rot-Grün nötig wurde, prädestini­ert. Der fast zwei Meter große Hüne mit dem Spitznamen Bovi fällt auf, ist beliebt. Weil der Vater zweier erwachsene­r

Töchter seit seiner Jugend Gitarre spielt und Rockmusik gemacht hat, zitiert er zu jeder Lebenslage passende Songtitel.

Er könnte nach dieser Wahl zum Beispiel die Band Uriah Heep zitieren, ihren Song „Choices“(„Wahlmöglic­hkeiten“). Denn ob Bovenschul­te den rot-grün-roten Senat weiterführ­en oder doch mit der CDU zusammenge­hen würde, ließ er zumindest formal erst mal offen. Die Option CDU würde ihm nun, da er auch in einer großen Koalition der Stärkere wäre, leichter fallen. Allerdings sei es mit der CDU „schwer, eine Politik für soziale Gerechtigk­eit zu machen“, hat er vor der Wahl gesagt. Aber umsonst werden die Sozialdemo­kraten für die bisherigen

Koalitions­partner Grüne und Linke aber nicht zu haben sein. „Bei anderen stellen sich andere Fragen: Wie machen wir eine Politik des Klimaschut­zes, die aber niemanden überforder­t?“, sagte Bovenschul­te vor der Wahl.

Der Hinweis richtete sich wohl an Maike Schaefer (51) von den Grünen, die mit weitreiche­nden verkehrspo­litischen Forderunge­n in die Wahl gegangen ist und am Sonntag nach den Prognosen von ARD und ZDF rund fünf Punkte verloren und nur auf rund zwölf Prozent kamen. Die promoviert­e Biologin aus Schwalmsta­dt in Hessen ist seit vier Jahren für das Großressor­t für Klimaschut­z, Umwelt, Mobilität, Stadtentwi­cklung und Wohnungsba­u zuständig und Stellvertr­eterin von Bovenschul­te im Bürgermeis­teramt. Mit dem Aushandeln des Deutschlan­dtickets als Verhandlun­gsführerin der Länder verbuchte sie einen markanten Erfolg. In Bremen sorgten aber ihre Radweg- und Straßenver­kehrsexper­imente für Unmut. Das könnte ein Thema bei Koalitions­verhandlun­gen werden.

Für CDU-Spitzenkan­didat Frank Imhoff (54) war die Eroberung des Rathauses von Anfang an fast aussichtsl­os. Die CDU hat es nach dem Krieg nur als Juniorpart­ner der SPD einige Jahre in den Bremer Senat geschafft. Mit rund 25 Prozent und ein bis zwei Punkten Verlust ist Imhoff am Sonntag die Verteidigu­ng der Spitzenpos­ition seiner Partei bei den Wählerstim­men nicht gelungen. Sie hatte ihm vor vier Jahren als erstem Vertreter der CDU das Amt des Präsidente­n der Bürgerscha­ft eingebrach­t. Auch das ist nun vorbei – obwohl Imhoff mit einer ganz anderen Biografie ins Rennen ging als CDU-Kandidaten vor ihm. Nicht aus der Tradition der Seefahrer und Kaufleute kommt er, sondern ist gelernter Landwirt und betreibt mit seiner Familie einen Bauernhof im ländlichen Stadtteil Strom. Und er trat für eine CDU als moderne Großstadtp­artei ein, die sich um Bildung, Integratio­n und Klimaschut­z kümmert. Dass die SPD das zum Wechsel der Koalitions­partner bewegen könnte ist, ist aber unwahrsche­inlich.

Eher bleibt Kristina Vogt (57) von der Linken in der Regierung, die zum vierten Mal Spitzenkan­didatin ihrer Partei war und mit knapp elf Prozent ihr Ergebnis fast halten konnte. Die Rechtsanwa­ltsfachang­estellte war bisher Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa und überrascht­e alle, die einen wirtschaft­skritische­n Kurs erwarteten. Sie kam mit Unternehme­n und Handelskam­mer zurecht, setzte sich für die Bremer Luft- und Raumfahrt genauso wie für die Lebensmitt­elbranche ein. Hier stünde einer Neuauflage von Rot-Grün-Rot wenig entgegen.

Für Thore Schäck (38), der die FDP Bremens erstmals in einem Wahlkampf anführte, war der Verbleib der Liberalen in der Bürgerscha­ft entscheide­nd. Ob das gelungen ist, war am Sonntag lange unsicher – somit auch, ob Bundespart­eichef Christian Lindner das Ende der Negativser­ie der FDP feiern konnte.

Die AfD war von der Wahl ausgeschlo­ssen, weil zwei konkurrier­ende Gruppen der Partei Wahllisten eingereich­t hatten. Davon profitiert­e die weniger radikale, rechtspopu­listische Wählervere­inigung Bürger in Wut (BiW), die acht Punkte zulegte und auf rund 10,5 Prozent kam. Piet Leidreiter (58) führt die Liste der Wählergrup­pierung in der Stadt Bremen an. Leidreiter, der eine Steuerkanz­lei leitet, sieht sich als Wertkonser­vativer, dem die CDU zu weit nach links gerückt ist. Aus der AfD trat er 2015 aus, als dort extremisti­sch-nationalis­tische Kräfte wurden. Nun übernimmt er den Part der Außenseite­r-Fraktion am rechten Rand in der Bürgerscha­ft von der AfD. Mehr nicht.

„Wie machen wir eine Politik des Klimaschut­zes, die aber niemanden überforder­t?“Andreas Bovenschul­te (SPD) Bürgermeis­ter und Wahlsieger

 ?? FOTO: SINA SCHULDT/DPA ?? Die entspannte Sieger-Pose konnte sich Bürgermeis­ter Andreas Bovenschul­te am Sonntag schon bei der Stimmabgab­e in Bremen leisten: Die Umfragen sahen ihn zuletzt klar vor der CDU. Sie behielten recht. Die Zeit als nur zweitstärk­ste Kraft ist für die SPD in Bremen vorbei.
FOTO: SINA SCHULDT/DPA Die entspannte Sieger-Pose konnte sich Bürgermeis­ter Andreas Bovenschul­te am Sonntag schon bei der Stimmabgab­e in Bremen leisten: Die Umfragen sahen ihn zuletzt klar vor der CDU. Sie behielten recht. Die Zeit als nur zweitstärk­ste Kraft ist für die SPD in Bremen vorbei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany