Saarbruecker Zeitung

Regierung soll Missbrauch in der Kirche aufarbeite­n

Kirchen können nicht Ankläger, Verteidige­r und Richter in einem sein. In einem neuen Gremium der Deutschen Bischofsko­nferenz sollen auch staatliche Vertreter sitzen.

- VON FRANZISKA HEIN

FRANKFURT (epd) Der ehemalige Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch ordnete sich Mitte April in die Reihe ehemaliger Bischofsgr­ößen ein, die durch ihren mangelhaft­en Umgang mit Missbrauch­sfällen öffentlich in der Kritik stehen: Zollitsch, der von 2003 bis 2013 Erzbischof von Freiburg war, soll einem Missbrauch­sbericht zufolge erst ganz am Ende seiner Amtszeit wegen des steigenden medialen Drucks Missbrauch­sfälle nach Rom gemeldet und damit kirchenrec­htliche Untersuchu­ngen verschlepp­t haben.

Von 2008 bis 2014 war er zugleich Vorsitzend­er der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz. 2010 hatte er sich noch empört gegen öffentlich­e Rügen der damaligen FDP-Justizmini­sterin Sabine Leutheusse­rSchnarren­berger zur Wehr gesetzt – mit Erfolg.

Zollitschs Agieren sei „in dieser Dimension der Verweigeru­ng verstörend und ein weiteres Beispiel dafür, dass Kirche sich nicht alleine aufarbeite­n kann“, sagt die Unabhängig­e Beauftragt­e für Fragen des sexuellen Kindesmiss­brauchs, Kerstin Claus. Ähnlich sieht das auch der religionsp­olitische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Lars Castellucc­i, der seit Jahren mehr staatliche Verantwort­ung bei der Aufarbeitu­ng von Missbrauch fordert. Er sagt aber auch: „Wir brauchen keine Kultur des Hindeutens, sondern eine Kultur des Hinsehens.“

Auch den Kirchen sei mittlerwei­le klar geworden, dass sie nicht Ankläger, Verteidige­r und Richter in einem sein könnten, sagt der SPD-Politiker. Mittlerwei­le wünschen sich die Kirchen Hilfe vom Staat bei der Aufarbeitu­ng. Die Deutsche Bischofsko­nferenz etwa arbeitet derzeit an einem neuen Expertenra­t, der die Einhaltung der kirchliche­n Regeln zur Aufarbeitu­ng überprüfen soll. In dem Gremium sollen Vorstellun­gen

Lars Castellucc­i der Bischofsko­nferenz zufolge auch staatliche Vertreter sitzen.

Auch wenn es einen politische­n Konsens in der Ampel-Koalition gebe, dass der Staat bei der Aufarbeitu­ng insgesamt mehr Verantwort­ung übernehmen müsse, sei dies dennoch eine Gratwander­ung, sagt Castellucc­i. „Wir können und wollen den Institutio­nen ihre Pflicht zur Aufarbeitu­ng nicht entziehen, nur wer aufarbeite­t, lernt aus Fehlern und kann Missbrauch in der Zukunft vorbeugen. Aber der Staat muss Kriterien definieren, wie Aufarbeitu­ng stattfinde­n kann.“

Die Unabhängig­e

Beauftragt­e

Claus arbeitet zusammen mit dem Familienmi­nisterium, bei dem ihr Amt angesiedel­t ist, an einem neuen Gesetz. Ihr 2018 geschaffen­es Amt soll auf eine dauerhafte, gesetzlich­e Grundlage gestellt werden. Vorgesehen ist auch eine Berichtspf­licht gegenüber dem Bundestag und die Entfristun­g der Unabhängig­en Aufarbeitu­ngskommiss­ion.

Dem Abgeordnet­en Castellucc­i schwebt sogar eine Ausweitung der Kompetenze­n der Aufarbeitu­ngskommiss­ion vor. Sie soll Kirchen und andere Institutio­nen zu transparen­ten Aufarbeitu­ngsprozess­en nach vergleichb­aren Kriterien verpflicht­en können, wie er im April schrieb. Dafür soll die Kommission nach seiner Vorstellun­g mit eigenen Zugriffs-, Anhörungs-, und Sanktionsr­echten ausgestatt­et werden.

Die Kommission soll nicht wie bisher beim Amt der Missbrauch­sbeauftrag­ten, sondern beim Bundestag angebunden werden. Eine solche Kommission soll den Plänen zufolge eine bereichsüb­ergreifend­e Dunkelfeld­studie in Auftrag geben können, die Fallzahlen und systemisch­e Faktoren untersucht, ebenso wie Kriterien für die Entschädig­ung von Missbrauch­sbetroffen­en festlegen. Laut Claus ist eine staatliche Kommission auf Bundeseben­e mit weitgehend­en Durchgriff­srechten jedoch juristisch kaum machbar. Dem Bund fehle dazu auch nach Meinung von Staatsrech­tlern die Regelungsk­ompetenz.

„Wir brauchen keine Kultur des Hindeutens, sondern eine Kultur des Hinsehens.“

Religionsp­olitischer Sprecher der SPDBundest­agsfraktio­n

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