Irans Führer wollen Kopftuchpflicht mit Kameras durchsetzen
Bei vielen Iranerinnen ist der Verzicht auf ein Kopftuch zu einem Symbol des Widerstands gegen die Regierung geworden. Die Behörden erhöhen den Druck.
TEHERAN (ap) Große Plakate in der iranischen Hauptstadt Teheran verkünden es groß: Frauen sollten zu Ehren ihrer Mütter das obligatorische Kopftuch tragen. Doch vielleicht zum ersten Mal seit den chaotischen Tagen nach der Islamischen Revolution 1979 entscheiden sich immer mehr Frauen – junge wie alte – dagegen. Dieser offene Widerstand entwickelte sich mit monatelangen Protesten nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihren Hidschab angeblich zu locker trug. Zwar haben die Proteste auf den ersten Blick nachgelassen, doch die Entscheidung vieler Frauen, ihr Haar in der Öffentlichkeit nicht mehr zu bedecken, stellt zweifellos eine neue Herausforderung dar für die religiösen Führer des Landes. Zudem legt der Widerstand der Frauen Spaltungen im Iran offen, die jahrzehntelang verborgen geblieben waren.
Die Behörden drohten mit juristischen Schritten und schlossen Hunderte Geschäfte, die Frauen ohne Hidschab bedient hatten. Polizei und Freiwillige ermahnten Frauen in U-Bahnen, Flughäfen und anderen öffentlichen Orten. In Textnachrichten wurden Fahrer davor gewarnt, die Frauen ohne Kopftuch in ihren Fahrzeugen beförderten.
Beobachter im Iran halten es jedoch für möglich, dass die Regierung neue Proteste entfacht, wenn sie zu hart durchgreift. Der Ausbruch der Unruhen fiel in eine schwierige Zeit für die Islamische Republik, die derzeit mit wirtschaftlichen Problemen kämpft – verursacht durch die Konfrontation mit dem Westen wegen ihres Atomprogramms.
Einige Frauen verkündeten jetzt, sie hätten genug: Ungeachtet der Konsequenzen wollten sie für mehr Freiheit im Iran und eine bessere Zukunft für ihre Töchter kämpfen. Viele vermuten, die wachsende Zahl protestierender Frauen könnte es den Behörden schwerer machen, durchzugreifen. „Wollen sie alle Läden schließen?“, fragt die 23-jährige Teheraner Studentin Scherwin, die ihr kurz geschnittenes Haar nicht bedeckt. „Wenn ich zu einer Polizeistation gehe, werden sie die auch schließen?“
Bevor die Proteste im September ausbrachen, waren nur selten Frauen ohne Kopftuch zu sehen, auch wenn einige ihren Hidschab gelegentlich auf die Schultern fallen ließen. Heute sind in einigen Gegenden Teherans Frauen ohne Kopftuch alltäglich. Für gläubige
Musliminnen ist das Kopftuch ein Zeichen der Frömmigkeit vor Gott und der Bescheidenheit vor Männern außerhalb ihrer Familie. Im Iran sind der Hidschab und der alles verhüllende schwarze Tschador, den manche tragen, seit langem auch ein politisches Symbol.
Im Zentrum und im Norden Teherans sind jetzt täglich Frauen ohne Kopftuch zu sehen. Zunächst vermied die Regierung eine direkte Konfrontation in dieser Frage, doch in den vergangenen Wochen setzte sie zunehmend die Macht des Staates ein, um dies einzudämmen. Anfang April erklärte der Oberste Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, dass „das Abnehmen des Hidschab weder islamisch noch politisch zulässig“sei. Chamenei behauptete, Frauen ohne Hidschab seien manipuliert. „Sie sind sich nicht bewusst, wer hinter dieser Politik des Ablegens und Bekämpfens des Hidschab steht“, betonte er. „Spione und Spionagedienste des Feindes verfolgen diese Angelegenheit. Wenn sie darüber Bescheid wissen, werden sie sich bestimmt nicht daran beteiligen.“
Konservative Medien veröffentlichten Details „unmoralischer“Situationen in Einkaufszentren, die Frauen ohne Hidschab zeigten. Am 25. April schlossen die Behörden für einige Tage das 23-stöckige OpalEinkaufszentrum im Norden Teherans, nachdem Frauen mit offenem Haar mit Männern in einer Kegelbahn gesichtet worden waren. „Das ist eine kollektive Bestrafung“, sagt der 32-jährige Verkäufer Nodding Kasra in einem Bekleidungsgeschäft des Einkaufszentrums. „Sie haben ein Einkaufszentrum mit Hunderten von Angestellten geschlossen – wegen der Haare von Kundinnen?“
Nach Angaben der reformorientierten Zeitung „Schargh“schloss die Polizei mehr als 2000 Geschäfte im ganzen Land, weil sie Frauen ohne Hidschab bedient hatten, darunter Läden, Restaurants und sogar Apotheken. „Für die Unternehmen ist das ein Spiel, bei dem sie nur verlieren können“, sagt Mohsen Dschalalpur, ehemals stellvertretender Leiter der iranischen Handelskammer. „Wenn sie Frauen ermahnen, den Hidschab zu tragen, wie von den Behörden angeordnet, werden die Leute sie boykottieren. Wenn sie sich weigern, werden die Behörden sie schließen.“
Der Politikexperte Bidschan Aschtari warnte, Geschäftsinhaber, die während der Demonstrationen nach dem Tod Mahsa Aminis noch geschwiegen hatten, könnten nun ebenfalls protestieren. Inzwischen bieten Regierungsstellen keine Dienstleistungen für Frauen ohne Kopftuch mehr an, nachdem einige dies in den vergangenen Monaten noch getan hatten. Der Chef des Leichtathletikverbands Haschem Siami trat am Wochenende zurück, nachdem einige Teilnehmerinnen des Frauen-Halbmarathons in der Stadt Schiras ohne Hidschab angetreten waren.
Der Polizei zufolge sollen Überwachungskameras mit „künstlicher Intelligenz“Frauen ohne Hidschab aufspüren. Nach einem von den iranischen Medien verbreiteten Video sollen die Aufnahmen der Kameras mit Ausweis-Fotos abgeglichen werden – wobei unklar ist, ob ein solches System derzeit funktioniert.
„Der Kampf um den Hidschab wird weiter im Mittelpunkt stehen, solange die Regierung keine Einigung mit den Weltmächten erzielt über das Atomabkommen und die Lockerung der Sanktionen“, sagt der Teheraner Politikanalyst Ahmad Seidabadi. Doch die Diplomatie sei ins Stocken geraten und die Proteste gegen die Regierung könnten sich ausweiten, sagt Seidabadi. Der Hidschab „wird das Hauptthema sein und der Kampf wird sich nicht nur um das Kopftuch drehen“.