Landrat Lauer hat Konzept gegen Kinderarmut
Das Kindergeld steigt, die Armut aber auch: Der Saarlouiser Landrat Patrik Lauer hält den bisherigen Ansatz zur Bekämpfung der Kinderarmut für gescheitert und legt ein neues Konzept vor – das sogar den Streit in der Ampel-Koalition im Bund befrieden könne, sagt er.
SAARLOUIS Etwa jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als armutsgefährdet, in Ballungsräumen – auch im Saarland – sind es noch deutlich mehr. Obwohl der Bund Kindergeld und Kinderzuschlag seit Jahrzehnten immer weiter erhöht, steigt die Kinderarmut.
Das sei „ein offensichtliches Paradoxon, das sich aus dem falsch verstandenen Ansatz erklärt, wenn nur mehr Geld in das System Familie kommt, werde sich auch die Anzahl der in Armut aufwachsenden Kinder verringern“, schreibt der Saarlouiser Landrat Patrik Lauer in einem Papier, von dem er sich viel verspricht. Aus Sicht des SPD-Politikers wäre seine Idee zur Bekämpfung der Kinderarmut nämlich geeignet, den Streit in der Berliner Ampel-Koalition um die Kindergrundsicherung zu befrieden. Die grüne Familienministerin will zwölf Milliarden Euro zusätzlich, der FDP-Finanzminister höchstens drei und lieber die Strukturen ändern, damit das Geld besser ankommt. „Mehr Geld ja – aber investiert in eine nachhaltige Infrastruktur, die auch direkt bei den Kindern ankommt. Somit vereinen sich die unterschiedlichen Herangehensweisen von FDP und Grünen zu einem durchaus befriedenden Vorschlag“, sagt Lauer. Er will sich nun direkt an die Verhandler in Berlin wenden.
Der Landrat kämpft in seiner Partei seit langem für einen völlig neuen Ansatz bei der Bekämpfung der Kinderarmut, bisher mit bescheidenem Erfolg. Statt mit der Gießkanne mehr Geld an alle Eltern zu verteilen, schlägt er das Modell vor: „weg von unpräzisen Geldtransferleistungen zu zielgenauen Sachleistungen in einer fördernden Infrastruktur“.
Soll heißen: Kindergeld und Kinderzuschlag werden wie vom Bund geplant zu einer unbürokratischen Kindergrundsicherung zusammengefasst, mit dem zusätzlichen Geld sollen Schulessen, Schulbücher und digitale Lernmittel, Angebote von Vereinen und Organisationen in der Nachmittagsbetreuung kostenfrei werden, verbunden mit guten sozialpädagogischen Angeboten. Das gebe Kindern die Chance, „Ideale zu entwickeln, Vorbilder kennenzulernen, Orientierung zu finden, sich frei zu entfalten und damit eine neue, andere Welt kennenzulernen“.
„Eine Kindergrundsicherung, die niemandem etwas nimmt, per se effektiver wird und zusätzlich die dringend benötigten Strukturen schafft, das wäre ein echter Fortschritt.“Patrik Lauer Landrat Saarlouis
Alle bisherigen Formen von Familienförderung hätten gemeinsam, dass sie nicht das Kind in den Mittelpunkt der Bemühungen stellten, sondern die Eltern. Daher würden immer wieder Milliarden an Familien verteilt, in der Hoffnung, dadurch werde das Geld auch irgendwie bei den Kindern ankommen. „Dabei erhebt die Politik nicht einmal den Anspruch, zu evaluieren, ob das Geld wirklich bei denen ankommt, für die es gedacht ist“, sagt Lauer. Nur auf die Transferleistungen zu schauen, missachte die Lebenswirklichkeit vieler Kinder. „Oder wie erklärt es sich, dass immer mehr Kinder vom Schulessen abgemeldet werden, ohne Frühstück in die Schule kommen, ohne Lernmittel und – eine neuere Entwicklung – diesen Winter sogar ohne angemessene wärmende Kleidung? Oder warum sich die Kluft bei den Lernerfolgen immer weiter auseinanderentwickelt?“
Lauer ist überzeugt, „dass die Leistungen für Kinder in zu vielen Fällen nicht bei ihnen ankommen – sei es wegen psychischen oder anderen Problemen der Eltern, Gedankenlosigkeit oder Gleichgültigkeit“. Es gebe viele Ursachen. Letztendlich spielten die aber auch keine Rolle. Entscheidend sei, dass das bisherige System auf den Prüfstand gehöre.
Bislang sei die Bundespolitik nicht bereit gewesen, diesen Weg zu gehen. Sehr viele Eltern, auch einkommensschwache, machten in der Erziehung ihrer Kinder einen „Riesen-Job“, meint Lauer. „Aber leider sind Eltern eben auch Wähler und nicht die Kinder, weswegen die Politik sich möglicherweise bislang gescheut hat, eine solche Debatte überhaupt nur anzugehen.“
Mit der Kindergrundsicherung komme nun „eine historische Chance“. „Eine Kindergrundsicherung, die niemandem etwas nimmt, per se effektiver wird und zusätzlich die dringend benötigten Strukturen schafft, das wäre ein echter Fortschritt“, sagt Lauer und warnt: Bleibe diese Chance jetzt ungenutzt, werde die Tür für die nächsten zehn Jahre zu sein.