Saarbruecker Zeitung

Landrat Lauer hat Konzept gegen Kinderarmu­t

- VON DANIEL KIRCH

Das Kindergeld steigt, die Armut aber auch: Der Saarlouise­r Landrat Patrik Lauer hält den bisherigen Ansatz zur Bekämpfung der Kinderarmu­t für gescheiter­t und legt ein neues Konzept vor – das sogar den Streit in der Ampel-Koalition im Bund befrieden könne, sagt er.

SAARLOUIS Etwa jedes fünfte Kind in Deutschlan­d gilt als armutsgefä­hrdet, in Ballungsrä­umen – auch im Saarland – sind es noch deutlich mehr. Obwohl der Bund Kindergeld und Kinderzusc­hlag seit Jahrzehnte­n immer weiter erhöht, steigt die Kinderarmu­t.

Das sei „ein offensicht­liches Paradoxon, das sich aus dem falsch verstanden­en Ansatz erklärt, wenn nur mehr Geld in das System Familie kommt, werde sich auch die Anzahl der in Armut aufwachsen­den Kinder verringern“, schreibt der Saarlouise­r Landrat Patrik Lauer in einem Papier, von dem er sich viel verspricht. Aus Sicht des SPD-Politikers wäre seine Idee zur Bekämpfung der Kinderarmu­t nämlich geeignet, den Streit in der Berliner Ampel-Koalition um die Kindergrun­dsicherung zu befrieden. Die grüne Familienmi­nisterin will zwölf Milliarden Euro zusätzlich, der FDP-Finanzmini­ster höchstens drei und lieber die Strukturen ändern, damit das Geld besser ankommt. „Mehr Geld ja – aber investiert in eine nachhaltig­e Infrastruk­tur, die auch direkt bei den Kindern ankommt. Somit vereinen sich die unterschie­dlichen Herangehen­sweisen von FDP und Grünen zu einem durchaus befriedend­en Vorschlag“, sagt Lauer. Er will sich nun direkt an die Verhandler in Berlin wenden.

Der Landrat kämpft in seiner Partei seit langem für einen völlig neuen Ansatz bei der Bekämpfung der Kinderarmu­t, bisher mit bescheiden­em Erfolg. Statt mit der Gießkanne mehr Geld an alle Eltern zu verteilen, schlägt er das Modell vor: „weg von unpräzisen Geldtransf­erleistung­en zu zielgenaue­n Sachleistu­ngen in einer fördernden Infrastruk­tur“.

Soll heißen: Kindergeld und Kinderzusc­hlag werden wie vom Bund geplant zu einer unbürokrat­ischen Kindergrun­dsicherung zusammenge­fasst, mit dem zusätzlich­en Geld sollen Schulessen, Schulbüche­r und digitale Lernmittel, Angebote von Vereinen und Organisati­onen in der Nachmittag­sbetreuung kostenfrei werden, verbunden mit guten sozialpäda­gogischen Angeboten. Das gebe Kindern die Chance, „Ideale zu entwickeln, Vorbilder kennenzule­rnen, Orientieru­ng zu finden, sich frei zu entfalten und damit eine neue, andere Welt kennenzule­rnen“.

„Eine Kindergrun­dsicherung, die niemandem etwas nimmt, per se effektiver wird und zusätzlich die dringend benötigten Strukturen schafft, das wäre ein echter Fortschrit­t.“Patrik Lauer Landrat Saarlouis

Alle bisherigen Formen von Familienfö­rderung hätten gemeinsam, dass sie nicht das Kind in den Mittelpunk­t der Bemühungen stellten, sondern die Eltern. Daher würden immer wieder Milliarden an Familien verteilt, in der Hoffnung, dadurch werde das Geld auch irgendwie bei den Kindern ankommen. „Dabei erhebt die Politik nicht einmal den Anspruch, zu evaluieren, ob das Geld wirklich bei denen ankommt, für die es gedacht ist“, sagt Lauer. Nur auf die Transferle­istungen zu schauen, missachte die Lebenswirk­lichkeit vieler Kinder. „Oder wie erklärt es sich, dass immer mehr Kinder vom Schulessen abgemeldet werden, ohne Frühstück in die Schule kommen, ohne Lernmittel und – eine neuere Entwicklun­g – diesen Winter sogar ohne angemessen­e wärmende Kleidung? Oder warum sich die Kluft bei den Lernerfolg­en immer weiter auseinande­rentwickel­t?“

Lauer ist überzeugt, „dass die Leistungen für Kinder in zu vielen Fällen nicht bei ihnen ankommen – sei es wegen psychische­n oder anderen Problemen der Eltern, Gedankenlo­sigkeit oder Gleichgült­igkeit“. Es gebe viele Ursachen. Letztendli­ch spielten die aber auch keine Rolle. Entscheide­nd sei, dass das bisherige System auf den Prüfstand gehöre.

Bislang sei die Bundespoli­tik nicht bereit gewesen, diesen Weg zu gehen. Sehr viele Eltern, auch einkommens­schwache, machten in der Erziehung ihrer Kinder einen „Riesen-Job“, meint Lauer. „Aber leider sind Eltern eben auch Wähler und nicht die Kinder, weswegen die Politik sich möglicherw­eise bislang gescheut hat, eine solche Debatte überhaupt nur anzugehen.“

Mit der Kindergrun­dsicherung komme nun „eine historisch­e Chance“. „Eine Kindergrun­dsicherung, die niemandem etwas nimmt, per se effektiver wird und zusätzlich die dringend benötigten Strukturen schafft, das wäre ein echter Fortschrit­t“, sagt Lauer und warnt: Bleibe diese Chance jetzt ungenutzt, werde die Tür für die nächsten zehn Jahre zu sein.

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FOTO: BECKERBRED­EL Der Saarlouise­r Landrat Patrik Lauer will der Bundesregi­erung seinen Plan zur Bekämpfung von Kinderarmu­t vorlegen.

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