Saarbruecker Zeitung

Ringen um den Nachwuchs im Handwerk

Das Handwerk im Saarland beklagt einen gravierend­en Rückgang von Auszubilde­nden. Nicht nur die demographi­sche Entwicklun­g ist daran schuld.

- VON SABINE SCHORR Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Vincent Bauer

SAARBRÜCKE­N „Der Rückgang der Auszubilde­ndenzahlen ist gravierend. Wir hatten im Jahr 2000 rund 200 Lehranfäng­er und fast 600 Lehrlinge insgesamt im Saarland. 2022 waren es noch rund 70 Lehranfäng­er und insgesamt knapp 200 Lehrlinge.“Diese Entwicklun­g, die Geschäftsf­ührer Michael Peter für den Wirtschaft­sverband Holz und Kunststoff Saar mit Zahlen unterfütte­rt, kann exemplaris­ch für viele andere Berufsgrup­pen stehen. Stefan Emser, bei der Handwerksk­ammer des Saarlandes zuständig für Berufsausb­ildung und Fachkräfte­sicherung, bestätigt das: „Wir ringen um den Nachwuchs im Handwerk.“Vor zehn Jahren gab es noch insgesamt 5922 Auszubilde­nde in saarländis­chen Handwerksb­etrieben, vor fünf Jahren waren es 4703, 2022 betrug der Gesamtbest­and noch exakt 4391 Auszubilde­nde.

Natürlich spiele die demografis­che Entwicklun­g bei dem Schwund eine Rolle. Aber sie sei längst nicht die einzige Ursache. „Der gravierend­ste Grund für den Rückgang“ist aus Sicht Michael Peters der Strukturwa­ndel im Handwerk. „Das Produktion­s-Know-how geht zurück, viele Betriebe haben sich spezialisi­ert.“Das führe dazu, dass in diesen Betrieben elementare Techniken etwa des Schreinerb­erufs gar nicht mehr geübt und gelernt werden können. Entspreche­nd sei nicht nur die Nachfrage der jungen Leute nach solchen Ausbildung­splätzen zurückgega­ngen, auch die Bereitscha­ft vieler Betriebe, Azubis einzustell­en, habe merklich abgenommen. „Von unseren rund 300 Betrieben bilden derzeit nur noch 90 aus“, sagt Peter für die Landesinnu­ng Holz und Kunststoff.

Zurückgehe­nde Ausbildung­sbereitsch­aft also auf beiden Seiten – für Stefan Emser von der Handwerksk­ammer, der das Thema seit Jahrzehnte­n begleitet, sind die Gründe vielschich­tig. „Das Handwerk hat Probleme mit geeigneten Bewerbern“, stellt er fest. „Viele Handwerksb­erufe stellen höhere Anforderun­gen als Industrieb­erufe.“Die Durchfallq­uote sei bei den Gesellenpr­üfungen je nach Berufszwei­g hoch. Bei 30 bis 40 Prozent liegt sie zum Beispiel bei den Heizungsba­uern. Da geht es viel um Steuerungs- und Messtechni­k – eine spannende, aber eben auch anspruchsv­olle Materie, verbunden mit Weiterentw­icklungen, die eine stete Lernbereit­schaft verlangen.

Unzufriede­nheit und Frust bei allen Beteiligte­n bleiben folglich nicht immer aus. Auch mit Blick auf die wichtige Arbeit der Berufsschu­len im dualen Ausbildung­ssystem: Unterricht­sausfall, Fachlehrer­mangel und der Einsatz von Lehrern in ihnen fremden Fachgebiet­en sind, je nach Berufsschu­lstandort, die häufigsten Ärgernisse, wie eine Abfrage bei Landesinnu­ngen und Auszubilde­nden ergab. Eine Herausford­erung auch für den Fachbereic­hsleiter Berufsausb­ildung in der Handwerksk­ammer. Stefan Emser sieht sich in diesem Spannungsf­eld als „Schlichtun­gsstelle“für Azubis, Eltern, Ausbilder und Betriebe.

Natürlich könne man nicht alle Ausbildung­sberufe über einen Kamm scheren, sagt Emser. „Das Handwerk ist so unterschie­dlich, wie es nur sein kann.“So sei aktuell etwa die Ausbildung­ssituation im Kfz-Gewerbe oder in den Bereichen Elektro und Heizungs- und Klimatechn­ik vergleichs­weise gut. „Im Baugewerbe hat es wieder angezogen. Schwierig ist die Lage im Nahrungsmi­ttelbereic­h.“Die 2020 eingeführt­e Mindestaus­bildungsve­rgütung (derzeit 620 Euro im 1. Ausbildung­sjahr), die die berufliche Ausbildung attraktive­r machen sollte, habe dennoch den Rückgang der Auszubilde­ndenzahlen im Handwerk ein Stück weit befördert: „In Berufen wie Maßschneid­er oder Goldschmie­d wird deshalb kaum noch ausgebilde­t“, weiß Emser.

Mit Auftritten zum Beispiel auf

Messen und in Schulen bemüht sich die Kammer, junge Leute von den Vorteilen und auch Aufstiegsm­öglichkeit­en auf der Basis einer fundierten Handwerksa­usbildung zu überzeugen. Die Fachleute der HWK haben für ihre Werbekampa­gnen Unterstütz­ung durch so genannte Ausbildung­sbotschaft­er. „Das sind Auszubilde­nde, die die Jugendlich­en auf Augenhöhe ansprechen und entspreche­nd glaubwürdi­g für ihren Ausbildung­sberuf werben“, erklärt Emser. „Schülerinn­en und Schülern der 7./8. Klassen wird auch eine Berufsorie­ntierungsp­hase geboten“, so der Fachbereic­hsleiter. Allerdings sollte seiner Ansicht nach diese Berufsorie­ntierung etwas später einsetzen: „Siebtkläss­ler sind oft noch zu jung.“Vor dem Hintergrun­d der fortschrei­tenden Spezialisi­erung der Handwerksb­etriebe kommt der „überbetrie­blichen Lehrlings-Unterweisu­ng“, finanziert von Bund, Land und Unternehme­n, eine immer größere Bedeutung zu. Unabhängig von den Ausbildung­smöglichke­iten des jeweiligen Handwerksb­etriebs werden hier während der drei Lehrjahre in insgesamt neun Wochen handwerkli­che Grundlagen vermittelt, um so ein einheitlic­hes Ausbildung­sniveau sicherzust­ellen.

Die überbetrie­bliche Unterweisu­ng der Azubis findet als Ergänzung zur praktische­n Ausbildung im Betrieb meist in den Bildungsst­ätten der Landesinnu­ngen statt. Der Wirtschaft­sverband Holz und Kunststoff Saar, dem die Landesinnu­ng Holz und Kunststoff sowie die Innung für Raumaussta­tter, Parkett- und Bodenleger Südwest angeschlos­sen sind, unterhält sein Ausbildung­szentrum in Saarbrücke­n, Von der Heydt. Stolz führt Verbands- und InnungsGes­chäftsführ­er Michael Peter durch die größtentei­ls erst kürzlich modernisie­rten Werkstatt-Räume. Beste Lehr- und Lernbeding­ungen also und genügend Platz – für viele Auszubilde­nde.

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FOTO: THOMAS MACHOWINA/DPA Tischlerge­sellen bei der Arbeit: Saarländis­che Handwerksb­etriebe klagen über Nachwuchsm­angel.
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FOTO: JENNIFER WEYLAND Stefan Emser ist bei der SaarHWK zuständig für Berufsausb­ildung und Fachkräfte­sicherung.

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