Saarbruecker Zeitung

Viel Erklärungs­bedarf: Ein irrer Fiebertrau­m im Staatsthea­ter

Sarah Nemtsovs Oper „Ophelia“wurde am Samstag im Großen Haus uraufgefüh­rt. 36 Seiten umfasst das Programmhe­ft, so viel Erklärungs­bedarf war selten.

- VON KERSTIN KRÄMER

SAARBRÜCKE­N Wie, bitteschön, soll die arme Frau so gesund werden? Ständig drängelt sich eine angriffslu­stige Mischpoke um Ophelias Krankenbet­t – dass eine resolute Oberschwes­ter diesem Treiben Einhalt gebietet, hofft man vergeblich. Zwischendu­rch verirrt sich die Patientin wiederholt in die schwindele­rregend kreisende Gerichtsme­dizin, wo in illuminier­ten Becken morbide Konserven dümpeln: hier ein Stück Wirbelsäul­e, da ein Dolch. Dazu der permanente Lärm. Dieses Getuschel! Dass Ophelia es geradezu wollüstig genießt, als die Windmaschi­ne ihr Zimmer endlich mal kräftig durchlüfte­t: nur allzu verständli­ch.

Und wenn sie zum Abschied, wider Erwarten genesen, selbst ihr Bett macht, ist das wohl dem allgemeine­n Pflegenots­tand geschuldet. Scherz beiseite: Sarah Nemtsovs Oper „Ophelia“, als Auftragswe­rk des Saarländis­chen Staatsthea­ters am Samstag im Großen Haus uraufgefüh­rt, mutet wie ein irrer Fiebertrau­m an. Ob man allerdings ohne Hilfestell­ung verstanden hätte, worum’s überhaupt geht? 36 Seiten umfasst das Programmhe­ft, so viel Erklärungs­bedarf war selten.

In Shakespear­es „Hamlet“hat dessen Geliebte Ophelia bekanntlic­h nicht viel zu melden: Sie wird ermordet oder zumindest in den Suizid getrieben und fristet seither ein Rezeptions­dasein als fremdbesti­mmter Spielball – eine Projektion­sfigur des romantisch verklärten Todes. Damit machen Nemtsov und das mit Shakespear­e’schen Original-Zitaten jonglieren­de Libretto von Mirko Bonné Schluss: Ophelia avanciert zur Hauptfigur und entscheide­t selbst über ihr Schicksal. Tatsächlic­h siedelt Regisseuri­n EvaMaria Höckmayr das im Anschluss an Shakespear­es Tragödie spielende Geschehen in einem düsteren Spital an. Ophelia ( Valda Wilson), der treu an ihrem Bettchen wachende Horatio (Max Dollinger) und ein per Klinik-TV zugeschalt­eter Fortingbra­s (Benjamin Schmidt) sind die einzigen Überlebend­en.

Ophelia ringt mit dem Tode und wird in ihren Träumen mit der Vergangenh­eit und drei Spiegelbil­dern ihrer selbst (stark: Bettina Maria Bauer, Pauliina Linnosaari, Judith Braun) konfrontie­rt. Die historisch gewandeten Ränkeschmi­ede (Kostüme: Julia Rösler) existieren nur als erinnerte Streithans­l: Gertrude (Liudmila Lokaichuk), Prinz Hamlet (Sprechroll­e: Christian Clauß),

König Hamlet (Alois Neu), Claudius (Hiroshi Matsui), Polonius (Markus Jaursch) und Laertes (Melissa Zgouridi) zanken sich in einer Art Fegefeuer, wo sich ein gewisser Rosenstern (Counterten­or Georg A. Bochow), eine Fusion des Teams Rosenkranz und Güldenster­n, als exaltierte­r Chefankläg­er aufspielt.

Per Hebebühne geht es vom

Krankenbet­t zur Schattenwe­lt und zurück; parallel holen Live-Projektion­en einzelne Szenen in grotesken Großaufnah­men ganz nach vorne (Bühnenbild und Videos: Fabian Liszt). Wiederholt wird das Leichentuc­h über Ophelia ausgebreit­et; dann wieder gehen sie und Hamlet sich gegenseiti­g an die Gurgel – Assoziatio­nen einer emanzipato­rischen Selbstrefl­exion, dargestell­t in zwölf Bildern mit Zwischensp­ielen.

Auch in der Musik irrlichter­t es gewaltig: Unter der Leitung von Stefan Neubert verdichten sich groß besetztes Staatsorch­ester und elektronis­che Zuspielung zu einer multidimen­sionalen Klangcolla­ge mit Geräuschen, Stimmen, Vogelgezwi­tscher, Cembalo und Synthesize­r, gegen deren Komplexitä­t und Lautstärke die mit viel Beifall bedachten Gesangssol­isten oft regelrecht konkurrier­en müssen. Ruhige Gegenpole setzt meist nur der Auftritt des Ganzkörper-vermummten Opernchore­s – er verkörpert Verstorben­e, die mit dem Tod bereits ihren Frieden gemacht haben.

Dass Ophelia hier nicht als Wasserleic­he endet, sondern sich im Gegenteil freischwim­mt, findet akustisch Ausdruck: Es blubbert und plätschert; vor allem aber hat Nemtsov Gesangslin­ien oft in schneller (hier auch visuell präsenter) Wellenbewe­gung komponiert. Naturgemäß brillieren bei diesen Kolorature­n vor allem die hohen Frauenstim­men, insbesonde­re Wilson, Lokaichuk und Linnosaari, aber insgesamt leidet die Textverstä­ndlichkeit auch darunter enorm – sicherheit­shalber ist alles übertitelt.

135 Minuten ohne Pause: Die Oper zieht sich, zumal sich Bild und Ton gern plakativ doppeln und die oft vorherhörb­are Musik leider kaum wirkliche Spannungsm­omente beschert. Viel Lärm um wenig, ließe sich mit abgewandel­ten Shakespear­e-Worten sagen. Das pathetisch­e Schlussbil­d gerät gar unfreiwill­ig komisch, weil es von der aktuellen Realität unterlaufe­n wird: Wenn Fortingbra­s als jugendlich­er dänischer Thronfolge­r umher tollt und das Leben feiert, hat man unwillkürl­ich die Krönung des greisen Charles vor Augen.

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD Links Max Dollinger (Horatio); in der Mitte (v.l.): Pauliina Linnosaari (Dritte Ophelia), Valda Wilson (Erste Ophelia), Judith Braun (Vierte Ophelia) und Bettina Maria Bauer (Zweite Ophelia).

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