Saarbruecker Zeitung

Vom Angeklagte­n Beschuldig­ter weist Vorwürfe zurück

Im Yeboah-Prozess hat der Angeklagte einem damaligen Weggefährt­en die Verantwort­ung für den Brandansch­lag zugeschobe­n. Der weist jede Schuld von sich.

- VON LAURA WEIDIG Produktion dieser Seite: Annkathrin Allgöwer Manuel Görtz, David Hoffmann

Seine Aussage vor Gericht ist mit Spannung erwartet worden: Der 51-jährige Heiko Sch. war in der Tatnacht vom 18. auf den 19. September 1991 zusammen mit dem Angeklagte­n, Peter S., und dem Anführer der Saarlouise­r Neonazis, Peter St., unterwegs, hatte beide in seinen Aussagen bei der Polizei belastet. Teile der Anklagesch­rift beruhen unter anderem auf seinen Vernehmung­en bei der Polizei. Nun soll er selbst derjenige gewesen sein, der den Brand in der Asylbewerb­erunterkun­ft gelegt hat, bei dem Samuel Yeboah starb. Das zumindest hatte der Angeklagte Peter S. in seinem überrasche­nden Geständnis am vergangene­n Dienstag angegeben.

Das Medieninte­resse am Montag ist entspreche­nd groß. Um 9.44 Uhr erscheint der Zeuge in Begleitung seines Rechtsbeis­tands Klaus Adam aus Saarbrücke­n im Gerichtssa­al im Koblenzer Oberlandes­gericht.

Graue Haare, Hornbrille, am Kragen und den Ärmeln lugen Tätowierun­gen hervor. Wenn er sich vorbeugt, um seine Antworten ins Mikrofon zu sprechen, spannt sich das blaue Hemd an seinem Rücken. Als Beschuldig­ter stünde ihm frei, die Aussage zu verweigern, falls er sich damit selbst belasten würde, doch Sch. will aussagen. Die Vorwürfe, die der Angeklagte seit vergangene­r Woche ihm gegenüber erhebt, streitet er ab. „Das ist gelogen. Das stimmt nicht“, betont er ausdrückli­ch.

Wie der Angeklagte dazu komme, das über ihn zu sagen, fragt der vorsitzend­e Richter. Der 51-jährige Mann überlegt kurz. „Ich bin damals ausgestieg­en aus der Szene.“Der damalige Anführer der Neonazis, Peter St., habe den anderen daraufhin eingeimpft, dass er ein Verräter und „ne linke Zecke“sei. Mit St. sei der Angeklagte bis heute eng befreundet, sie seien „Kameraden“, so der Wortlaut. Ein Detail scheint besonders interessan­t: Es sei nämlich nicht das erste

Mal, dass der Angeklagte den Zeugen fälschlich einer Straftat bezichtige. In einem Prozess wegen gemeinscha­ftlich begangener Körperverl­etzung in Saarbrücke­n habe es bereits eine ähnliche Situation gegeben.

Seiner eigenen Rolle ist sich der Zeuge durchaus bewusst. Er sei bis 1994 selbst tief in die Neonazisze­ne verstrickt gewesen, erzählt er. Anfang der 1990er Jahre sei er an Gewalttate­n beteiligt gewesen, sei dafür auch verurteilt worden. Pogrome, wie sie um die Tatzeit herum in Hoyerswerd­a stattfinde­n, habe er ausdrückli­ch gutgeheiße­n. Er verkehrte in der St. Ingberter Kneipe Spinnrädch­en, damals laut Heiko Sch. ein Treffpunkt für die Neonazisze­ne des gesamten südwestdeu­tschen Raums und des benachbart­en Auslands, Sch. betrachtet­e sich als „patriotisc­h und nationalis­tisch, aber nicht nationalso­zialistisc­h“. Die „Ausländer“, die sollten „verschwind­en“. Irgendwann aber habe er festgestel­lt: „Ich wollte das alles nicht mehr.“

Nach seinem Ausstieg sei er massiv bedroht worden, sagt er. Seinen Angaben zufolge soll sich das über Jahre hingezogen haben. Noch heute habe er vor dem ehemaligen Kameradsch­aftsführer und guten Freund des Angeklagte­n, Peter St., große Angst: „Ich halte ihn nach wie vor für einen sehr gefährlich­en Menschen.“Bei der Vorstellun­g, dass – wie vom Angeklagte­n in seinem Geständnis ausgesagt –, der Brandansch­lag hinter dem Rücken des Neonazi-Anführers stattgefun­den haben könnte, lacht er leise. Und erinnert sich: „Ich hätte niemals entgegen der Ansage von Herrn St. irgendetwa­s getan.“

Der Angeklagte folgt den Ausführung­en des Zeugen aufmerksam, wirkt etwas unruhiger als üblich, flüstert gelegentli­ch mit seinem Verteidige­r, während Gericht und Staatsanwa­ltschaft penibel Details abfragen. Nebenklage­vertreter Alexander Hoffmann wird am Ende folgendes Fazit ziehen: „Der Zeuge hat natürlich seine eigene Person, seine

Einstellun­g teilweise beschönigt. Im Wesentlich­en versucht er, sich zu entpolitis­ieren und bezieht das notwendige­rweise auf die gesamte Gruppe.“Innerhalb dieser war, das sagt der Zeuge am Montag, Gewalt gegen Punks und Ausländer durchaus an der Tagesordnu­ng. „Was wir heute gehört haben, war nicht vereinbar mit dem Geständnis des Angeklagte­n von letzter Woche, aber dem gegenüber deutlich glaubwürdi­ger und nachvollzi­ehbarer“, so Hoffmann.

Dazu, ob seitens der Bundesanwa­ltschaft Ermittlung­en gegen Heiko Sch. eingeleite­t werden, ist derzeit mit Verweis auf die laufende Hauptverha­ndlung nichts zu erfahren. Für Heiko Sch. kam die Belastung durch den Angeklagte­n völlig überrasche­nd, wie sein Anwalt am Rande des Prozesses mitteilt. Ob sein Mandant deshalb rechtliche Schritte gegen Peter S. einleiten wird, kann Rechtsanwa­lt Klaus Adam derzeit noch nicht sagen. „Wir warten ab, wie der Prozess ausgeht“, sagt er.

Bei dem Anschlag 1991 war der damals 27-jährige Samuel Yeboah aus Ghana gestorben. Zwanzig Menschen konnten sich aus dem brennenden Haus retten. Der Generalbun­desanwalt wirft Peter S. deshalb Mord, versuchten Mord in 20 Fällen sowie Brandstift­ung mit Todesfolge vor. Die damaligen Ermittlung­en wurden nach nur einem Jahr eingestell­t – wie im bisherigen Prozessver­lauf deutlich wurde, ist insbesonde­re die Spur, die in die rechte Skinheadsz­ene führte, nicht ernsthaft verfolgt worden. Grund dafür, dass S. nach über 31 Jahren noch angeklagt wurde, ist die Aussage einer Hauptbelas­tungszeugi­n, der gegenüber er sich auf einem Grillfest zur Tat bekannt haben soll. Der Prozess wird an diesem Dienstag fortgesetz­t. Für kommenden Montag ist der Chef der Neonazigru­ppe, Peter St., geladen.

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