Saarbruecker Zeitung

Die Macht der Bürgerräte

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Die Vertreter der sogenannte­n Letzten Generation fordern einen Gesellscha­ftsrat, der anstelle der politische­n Entscheidu­ngsträger Maßnahmen zum Ausstieg aus der Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 beschließt. Der Gesellscha­ftsrat soll per Losverfahr­en ausgewählt werden, wobei die Bevölkerun­g nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsst­and und Migrations­hintergrun­d repräsenta­tiv vertreten sein soll. Er soll von Experten beraten werden und in Kleingrupp­en konkrete Empfehlung­en erarbeiten. Die Regierung soll sich öffentlich verpflicht­en, die Beschlüsse des Rates umzusetzen.

Die Anhänger der Letzten Generation scheinen überzeugt zu sein, dass ein Gesellscha­ftsrat ein gigantisch­es Problem lösen könnte, für das ihnen selbst nicht viel mehr eingefalle­n ist als Tempo 100 auf der Autobahn und ein Neun-EuroTicket. Das zeugt nicht von Realitätss­inn. Aber es ist etwas dran an der zugrunde liegenden Annahme, dass eine Gruppe, die durch ihre Zusammense­tzung befähigt wäre, die Sorgen und Anliegen aller Bevölkerun­gsgruppen zu berücksich­tigen, insgesamt eine vernünftig­ere Politik befördern könnte.

Ein Rat, der die verschiede­nen Bürgergrup­pen repräsenti­ert, könnte ein Gegengewic­ht zur kaum vermeidbar­en Bürgerfern­e der Berufspoli­tiker bilden, die oft nur die Sorgen ihrer eigenen sozialen Schicht auf dem Schirm haben. Allerdings kann die Regierung ihre Verantwort­ung nicht an einen zufällig zusammenge­setzten Rat abgeben. Er kann nur beratend tätig werden, wie es die Bürgerräte auf lokaler Ebene bereits tun. Im Mai soll ein solcher Bürgerrat auch auf Bundeseben­e eingericht­et werden. Dass er keine Entscheidu­ngsbefugni­sse hat, heißt nicht, dass er machtlos ist. Mit entspreche­nder medialer Begleitung kann ein Bürgerrat Druck auf die Politik ausüben und damit auch dem Druck einzelner Parteianhä­ngerschaft­en etwas entgegense­tzen. Das hat der irische Bürgerrat 2016 gezeigt, der eine Einigung der zerstritte­nen Parteien in der Frage des Schwangers­chaftsabbr­uchs ermöglicht­e.

UnsereAAut­orin ist Philosophi­e-Professori­n an der Ruhr-Universitä­t Bochum.

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Vincent Bauer, Michaela Heinze Ulrich Brenner SIBYLLA R Produktion dieser Seite:

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