„Es ist der eine Fehler zu viel“
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich von seinem Staatssekretär Patrick Graichen getrennt, nachdem neue Vorwürfe gegen den Top-Beamten bekannt geworden waren.
Wochenlang hatte Robert Habeck (Grüne) zu seinem Staatssekretär Patrick Graichen gestanden, jetzt ging es nicht mehr: Der Bundeswirtschaftsminister entließ seinen Top-Beamten an der Schaltstelle für die Energiewende, weil neue Verstöße Graichens gegen die Compliance-Regeln des Ministeriums aufgetaucht sind.
Union und Linke bezeichneten die Entlassung als überfällig und fordern weitere Aufklärung. „Die immer neuen Erkenntnisse über Familienbande und Kumpanei unter Minister Habeck machen die Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses immer wahrscheinlicher“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali hielt selbst den Rücktritt Habecks für möglich.
Graichen und Habeck waren in die Kritik geraten, weil der Staatssekretär dabei mitgeholfen hatte, seinem Trauzeugen Michael Schäfer den Führungsjob als Geschäftsführer bei der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) zu verschaffen. Graichen hatte nicht offengelegt, dass Schäfer ein enger Freund ist.
Habeck und Graichen bezeichneten den Vorgang als Fehler, Schäfer verzichtete auf den Posten, das Besetzungsverfahren wird neu aufgerollt und der Minister hielt an seinem Staatssekretär fest. Er strengte allerdings weitere dienstrechtliche Überprüfungen an – und wurde fündig. So habe Graichen im November 2022 eine Liste mit „Projektskizzen“gebilligt. Bei einer davon sei es um ein Vorhaben des Landesverbands Berlin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegangen – mit einer Summe von knapp 600 000 Euro. Der Haken: Graichens Schwester Verena ist Vorstandsmitglied beim BUND Berlin. Das Projekt sei als förderwürdig eingestuft worden. Geld sei aber noch nicht geflossen, sagte Habeck. Der Vorgang hätte Graichen weder vorgelegt werden, noch hätte er ihn abzeichnen dürfen. Es handle sich um einen Verstoß gegen die internen Verhaltensregeln.
Darüber hinaus gebe es einen zweiten Vorgang, der nach Einschätzung Habecks „in einem Graubereich“liegt. So sei Felix Matthes vom ÖkoInstitut in eine Expertenkommission zur Energiewende berufen worden. „Auch hier kommt nun die vertiefte Prüfung zu dem Schluss, dass der Anschein der Parteilichkeit besser hätte vermieden werden sollen“, sagte Habeck. „Es ist der eine Fehler zu viel“, erklärte Vize-Kanzler. Deshalb habe er den Bundespräsidenten gebeten, Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen: „Das ist eine weit
reichende, schwere Entscheidung – weitreichend für mein Haus, schwer für mich und sehr hart für Patrick Graichen. Es geht aber darum, das Vertrauen in die Arbeit dieses Hauses als Institution zu schützen. Es geht darum, die politische Handlungsfähigkeit zu wahren.“
„Der Rücktritt von Staatssekretär Graichen war überfällig“, sagte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei unserer Redaktion. „Minister Habeck ist durch sein Klammern an die Person Graichen schwer beschädigt“, sagte der CDUPolitiker. „Weitere Aufklärung ist
zwingend notwendig“, forderte er. Frei bezog sich auf mögliche Vorwürfe auch gegen Habecks anderen beamteten Staatssekretär Udo Philipp. Er soll laut einem Medienbericht von Beteiligungen und Förderungen junger Firmen profitieren.
Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali hält selbst einen Rücktritt Habecks für nicht mehr ausgeschlossen. „Minister Habeck ist durch diese Affäre schwer beschädigt. Je nachdem, was jetzt noch zutage gefördert wird, muss auch sein Verbleib im Amt zur Disposition gestellt werden“, sagte sie.
Habeck kündigte an, er wolle zügig einen Nachfolger für Graichen finden. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Mittwoch, er habe vom Rückzug Graichens „heute“erfahren: „Mit Herrn Graichen selbst habe ich gut zusammengearbeitet und ich gehe davon aus, dass der Wirtschaftsminister jetzt seine Arbeit mit voller Kraft fortsetzt.“
Habeck und Graichen hatten vergangene Woche vor zwei Bundestagsausschüssen ausgesagt. Der Minister hatte sich danach hinter Graichen gestellt und der Union vorgeworfen, in Wahrheit das von
Graichen konzipierte umstrittene Gebäudeenergiegesetz kippen zu wollen, das ab 2024 den Austausch alter Heizungen durch neue, klimafreundliche vorschreibt. Das Gesetz solle wie geplant noch vor der Sommerpause verabschiedet werden, sagte Habeck. Unterdessen tritt die FDP nun auf die Bremse – mit der Begründung, dem Parlament sei mit Wirtschaftsstaatssekretär Graichen der zentrale Ansprechpartner für das Thema abhandengekommen. SPD und Grüne dagegen sehen keinerlei Zusammenhang zwischen beiden Sachverhalten.