Saarbruecker Zeitung

Europarat will Russland voll zur Rechenscha­ft ziehen

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite:

Am Ende des zweitägige­n Gipfels bringt Bundeskanz­ler Olaf Scholz das wichtigste Ergebnis des Treffens von Reykjavik auf ein Wort: „Bezahlen.“Russland müsse für die in der Ukraine angerichte­ten Schäden nicht nur zur Rechenscha­ft gezogen, sondern auch zur Kasse gebeten werden. Dafür hat der 1949 gegründete Europarat ein Register ins Leben gerufen, in dem alle russischen

Untaten in der Ukraine nach einheitlic­hen Maßstäben dokumentie­rt werden, damit sie nach dem Krieg abgerufen und als Grundlage für einen Entschädig­ungsmechan­ismus genommen werden können.

Schon vor dem Abendessen des ersten Tages sind sich die britischen und niederländ­ischen Regierungs­chefs, Rishi Sunak und Mark Rutte, handelsein­ig geworden. Sie starten die vom ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj so dringend angemahnte Kampfjet-Allianz. Auch weitere Länder wollen sie dafür gewinnen, nicht nur ukrainisch­e

Piloten an modernen westlichen F16Flugzeu­gen zu trainieren, sondern die Jets auch zu liefern. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sagt zu, das eine zu tun, das andere aber zu lassen. Und Deutschlan­d? Es habe „keine Anforderun­g“gegeben, sagt der Kanzler.

Scholz lässt jedoch mit einer bemerkensw­erten Verknüpfun­g aufhorchen. Einerseits legt er sich fest, dass dieser Krieg „irgendwann zu Ende“gehen werde, und zwar „sicher nicht mit einem Sieg des Putin’schen Imperialis­mus“. Anderersei­ts stellt er einen Zusammenha­ng her zur „Perspektiv­e einer demokratis­chen, friedliche­n Zukunft“für Russland und Belarus. Ausdrückli­ch hebt er hier die Vertreter eines „anderen“Russlands und eines „anderen Belarus“hervor, zu denen der Europarat „Brücken aufrechter­halten“müsse. Das ist noch nicht die Forderung nach einem Austausch der russischen Führung, nach einem schlagzeil­enträchtig­en „Regimewech­sel“. So viel Aufsehen will Scholz dann doch nicht erregen. Aber als er erläutert, dass Russland „die Demokratie gewonnen und wieder verloren“habe und die Etablierun­g eines diktatoris­chen Regimes „viel“mit dem russischen Präsidente­n zu tun habe, hat er zwischen den Zeilen gesagt: ein Russland und ein Europa ohne Putin.

Der von Scholz geprägte Begriff von der mit Russlands Krieg verbundene­n „Zeitenwend­e“gilt nicht nur für Deutschlan­d, nicht nur für die EU der 27 Mitgliedsl­änder, sondern auch für das Europa der 46 Staaten, die ihre Vertreter nach Reykjavik geschickt haben. Obwohl sich die meisten bereits in zwei Wochen beim Treffen der Europäisch­en Politische­n Gemeinscha­ft in Moldau wieder sehen, unterstütz­t auch Scholz die

Absicht, sich auch im Europa-Format nun häufiger auf Chefebene zu treffen. In Reykjavik bekommt auch eine Erweiterun­g der Menschenre­chtskonven­tion Gestalt: Auch der Anspruch jedes einzelnen Europäers auf Klimaschut­z und Schutz vor Beeinträch­tigungen durch Künstliche Intelligen­z soll hinzukomme­n. Vordringli­ch bleibt für den Europarat als Grundlage für eine europäisch­e Friedensor­dnung ein Ende des Krieges in Europa. EU-Kommission­spräsident­in hat dafür die Formel auf den Tisch gelegt: „Nichts in Bezug auf die Ukraine ohne die Ukraine.“

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