Die SPD und ihr gepflegter Umgang mit der Macht
Die SPD feiert nächste Woche 160-jähriges Bestehen. Die Partei will an alte Traditionen erinnern und Fortschritt vermitteln. Nicht immer ganz einfach.
Sollte Lars Klingbeil in der deutschen Politik einmal eine ähnliche Rolle spielen wie Angela Merkel, wird seine typische Handbewegung vielleicht ebenfalls einen eigenen Namen tragen. Beim SPD-Vorsitzenden ist es allerdings keine Raute, sondern ein „Am-Ring-Drehen“, mal mit der rechten Hand am linken Ring, mal umgekehrt.
Es ist März 2023, der SPD-Erfolg bei der Bundestagswahl liegt schon länger zurück, die Regierung aus SPD, Grünen und FDP ist seit über einem Jahr im Amt. Aus der Fortschrittskoalition ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine quasi über Nacht eine Anti-Krisen-Koalition geworden.
Der bislang jüngste Parteivorsitzende der SPD trifft in der Türkei den Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu, die türkische CHP ist Schwesterpartei der SPD. Die Folgen des verheerenden Erdbebens in der Türkei und die bevorstehende Präsidentenwahl sind Themen. Da erreicht den Vorsitzenden der Regierungspartei die Nachricht, dass der Vizekanzler und grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck kurz vor einem Koalitionstreffen die Ampel scharf angreift. Ein Gesetz aus seinem Haus, das nur wenig später als Heizungsdebakel in die Ampel-Chronik eingehen, ist im Entwurfsstadium an die Presse durchgestochen worden. Habeck wütet im TV, verdächtigt öffentlich die Ampelpartner. Tenor: So könne man nicht zusammenarbeiten. Noch aus der Türkei muss der SPD-Chef ein Signal senden: Stopp – so dürfen wir nach außen nicht auftreten. Das Wirken als Regierungspartei hat in diesen Tagen auch viel mit Scherben zusammenkehren und Kitten zu tun. Ein mühseliges Geschäft, inhaltliche Fortschritte erzielt man so nicht.
Szenenwechsel: Olaf Scholz ist zufrieden, er ist im April bei seinem
Freund, dem portugiesischen Ministerpräsidenten Antonio Costa, in Lissabon zu Besuch. Spät am Abend wird der Kanzler nach seiner Zufriedenheit mit der SPD-Spitze gefragt. Statt einer Antwort setzt Scholz ein, nun, verschmitztes Lächeln auf und sagt sinngemäß, er sei äußerst zufrieden. Ob man die SPD je so geschlossen erlebt habe? Das ist deswegen ungewöhnlich, weil die Sozialdemokraten es lange Zeit vortrefflich verstanden, sich vor allem untereinander zu bekämpfen. Die Vorgänge um die damalige Vorsitzende Andrea Nahles sprengten im persönlichen Bereich auch die in der Politik schon weit nach unten verschobenen Maßstäbe.
Die heutige Frau an der Spitze der Partei, Saskia Esken, bestand gegen Scholz einst im Rennen um den SPDVorsitz und setzte sich mit Norbert Walter-Borjans dezidiert auch vom Scholzschen Wirken als Finanzminister in der damaligen Groko ab. Damals großer Unterstützer des Teams war der heutige Generalsekretär Kevin Kühnert, der zu den Parteilinken gehört. Kein homogenes Team also, doch bislang stützen Partei und die Fraktion unter Rolf Mützenich den sozialdemokratischen Regierungschef.
Zwischen Esken und Klingbeil tut sich nach außen nur selten ein Widerspruch auf, obwohl sie unterschiedlichen Parteilagern nahe stehen. Klingbeil setzt Akzente in der Außen- und Sicherheitspolitik, will das 160-jährige Bestehen seiner Partei auch dafür nutzen, um klarzumachen, dass sich die Partei dem Erbe des SPD-Kanzlers Willy Brandt in der Nord-Süd-Politik verpflichtet fühlt und den Austausch etwas mit den Ländern des globalen Südens sucht, einen Austausch auf Augenhöhe.
Beim Parteitag im Dezember soll die Partei auch ihre außenpolitischen Grundsätze neu bestimmen. Deutschland soll, so Klingbeils Überzeugung, nach langer Zurückhaltung künftig eine Führungsrolle in der Welt übernehmen. Militär will die Parteispitze in Zukunft als Mittel der Friedenspolitik verstehen – und hält eine Kehrtwende im Verhältnis zu Russland für überfällig.