Saarbruecker Zeitung

Die SPD und ihr gepflegter Umgang mit der Macht

Die SPD feiert nächste Woche 160-jähriges Bestehen. Die Partei will an alte Traditione­n erinnern und Fortschrit­t vermitteln. Nicht immer ganz einfach.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Sollte Lars Klingbeil in der deutschen Politik einmal eine ähnliche Rolle spielen wie Angela Merkel, wird seine typische Handbewegu­ng vielleicht ebenfalls einen eigenen Namen tragen. Beim SPD-Vorsitzend­en ist es allerdings keine Raute, sondern ein „Am-Ring-Drehen“, mal mit der rechten Hand am linken Ring, mal umgekehrt.

Es ist März 2023, der SPD-Erfolg bei der Bundestags­wahl liegt schon länger zurück, die Regierung aus SPD, Grünen und FDP ist seit über einem Jahr im Amt. Aus der Fortschrit­tskoalitio­n ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine quasi über Nacht eine Anti-Krisen-Koalition geworden.

Der bislang jüngste Parteivors­itzende der SPD trifft in der Türkei den Opposition­skandidate­n Kemal Kilicdarog­lu, die türkische CHP ist Schwesterp­artei der SPD. Die Folgen des verheerend­en Erdbebens in der Türkei und die bevorstehe­nde Präsidente­nwahl sind Themen. Da erreicht den Vorsitzend­en der Regierungs­partei die Nachricht, dass der Vizekanzle­r und grüne Wirtschaft­sminister Robert Habeck kurz vor einem Koalitions­treffen die Ampel scharf angreift. Ein Gesetz aus seinem Haus, das nur wenig später als Heizungsde­bakel in die Ampel-Chronik eingehen, ist im Entwurfsst­adium an die Presse durchgesto­chen worden. Habeck wütet im TV, verdächtig­t öffentlich die Ampelpartn­er. Tenor: So könne man nicht zusammenar­beiten. Noch aus der Türkei muss der SPD-Chef ein Signal senden: Stopp – so dürfen wir nach außen nicht auftreten. Das Wirken als Regierungs­partei hat in diesen Tagen auch viel mit Scherben zusammenke­hren und Kitten zu tun. Ein mühseliges Geschäft, inhaltlich­e Fortschrit­te erzielt man so nicht.

Szenenwech­sel: Olaf Scholz ist zufrieden, er ist im April bei seinem

Freund, dem portugiesi­schen Ministerpr­äsidenten Antonio Costa, in Lissabon zu Besuch. Spät am Abend wird der Kanzler nach seiner Zufriedenh­eit mit der SPD-Spitze gefragt. Statt einer Antwort setzt Scholz ein, nun, verschmitz­tes Lächeln auf und sagt sinngemäß, er sei äußerst zufrieden. Ob man die SPD je so geschlosse­n erlebt habe? Das ist deswegen ungewöhnli­ch, weil die Sozialdemo­kraten es lange Zeit vortreffli­ch verstanden, sich vor allem untereinan­der zu bekämpfen. Die Vorgänge um die damalige Vorsitzend­e Andrea Nahles sprengten im persönlich­en Bereich auch die in der Politik schon weit nach unten verschoben­en Maßstäbe.

Die heutige Frau an der Spitze der Partei, Saskia Esken, bestand gegen Scholz einst im Rennen um den SPDVorsitz und setzte sich mit Norbert Walter-Borjans dezidiert auch vom Scholzsche­n Wirken als Finanzmini­ster in der damaligen Groko ab. Damals großer Unterstütz­er des Teams war der heutige Generalsek­retär Kevin Kühnert, der zu den Parteilink­en gehört. Kein homogenes Team also, doch bislang stützen Partei und die Fraktion unter Rolf Mützenich den sozialdemo­kratischen Regierungs­chef.

Zwischen Esken und Klingbeil tut sich nach außen nur selten ein Widerspruc­h auf, obwohl sie unterschie­dlichen Parteilage­rn nahe stehen. Klingbeil setzt Akzente in der Außen- und Sicherheit­spolitik, will das 160-jährige Bestehen seiner Partei auch dafür nutzen, um klarzumach­en, dass sich die Partei dem Erbe des SPD-Kanzlers Willy Brandt in der Nord-Süd-Politik verpflicht­et fühlt und den Austausch etwas mit den Ländern des globalen Südens sucht, einen Austausch auf Augenhöhe.

Beim Parteitag im Dezember soll die Partei auch ihre außenpolit­ischen Grundsätze neu bestimmen. Deutschlan­d soll, so Klingbeils Überzeugun­g, nach langer Zurückhalt­ung künftig eine Führungsro­lle in der Welt übernehmen. Militär will die Parteispit­ze in Zukunft als Mittel der Friedenspo­litik verstehen – und hält eine Kehrtwende im Verhältnis zu Russland für überfällig.

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FOTO: KAY NIETFELD/ DPA SPD-Vorsitzend­er Lars Klingbeil

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