Saarbruecker Zeitung

Protest in Gewalt – auch gegen Macrons Familie

Die Rentenrefo­rm hat die Gewaltbere­itschaft in Frankreich verstärkt. Jüngst wurde ein Großneffe der First Lady verletzt.

- VON CHRISTINE LONGIN

Im Schaufenst­er türmen sich Pralinen, Macarons und Souvenirs. „Seit sechs Generation­en“steht über dem Eingang zur Chocolater­ie Jean Trogneux in Amiens. Das Geschäft ist eine feste Adresse in der Fußgängerz­one der nordfranzö­sischen Stadt. Und seit einigen Wochen auch Zielscheib­e der Gegnerinne­n und Gegner der Rentenrefo­rm von Emmanuel Macron. Denn der Besitzer des Ladens mit mehreren Filialen in Nordfrankr­eich ist ein Großneffe der aus Amiens stammenden Präsidente­ngattin Brigitte Macron. Am Montagaben­d prügelten acht Angreifer vor seinem Geschäft auf Jean-Baptiste Trogneux ein, der eine Gehirnersc­hütterung und einen doppelten Rippenbruc­h erlitt „Ich dachte, sie würden ihn töten“, sagte der Vater des Opfers dem Fernsehsen­der BFM.

Die Attacke erfolgte nach dem Fernsehint­erview des Präsidente­n, das 40 Protestier­ende mit dem Geklapper von Kochtöpfen begleitete­n – seit Wochen ein Protestmit­tel gegen Macrons umstritten­e Rentenrefo­rm. „Es wird immer schlimmer. Jetzt auch noch die Familie des Präsidente­n. Es reicht“, twitterte der Abgeordnet­e des Regierungs­lagers, Karl Olive.

Die Wut der Straße richtet sich direkt gegen die Person des Staatschef­s, der die Rentenrefo­rm mit dem Verfassung­sartikel 49.3 ohne Votum in der Nationalve­rsammlung durchsetzt­e. Anfang April warfen Demonstrie­rende eine Rauchbombe in die Brasserie La Rotonde in Paris, in der Macron und seine Frau gerne essen.

Auch der Besitzer eines Cafés, in dem Macron bei einem Besuch in Südfrankre­ich vor einigen Wochen ein Bier trank, ist seither Anfeindung­en ausgesetzt. „Macron sucht den Krieg. Er ist für die Reichen da, nicht für die Armen“, begründete Jimmy, einer der Angreifer auf Jean-Baptiste Trogneux, die Attacke.

Seit den Protesten der Gelbwesten 2018 ist Gewalt als Mittel des Protests zunehmend hoffähig geworden. Laut einer Umfrage vom März heißt ein Fünftel der Französinn­en und Franzosen die Ausschreit­ungen gut, die sich am Rande der Demonstrat­ionen gegen die Rentenrefo­rm zeigen. 30 Prozent sind der Meinung, dass die Regierung die Gewalttate­n selbst mit ihrem Vorgehen provoziert habe.

Besonders hoch ist die Unterstütz­ung für den gewaltsame­n Widerstand unter den Anhängerin­nen und Anhängern der Linksparte­i La France Insoumise (LFI). Das zeigt sich auch in den aggressive­n Gesten, zu denen sich LFI-Vertreter im Zuge der Rentendeba­tte hinreißen ließen. So veröffentl­ichte ein LFI-Parlamenta­rier ein Foto, auf dem er einen Ball mit dem darauf abgebildet­en Kopf des Arbeitsmin­isters mit Füßen tritt. Ein LFI-Regionalra­t verteidigt­e den Slogan radikaler Gegnerinne­n und Gegner der Rentenrefo­rm, die dem Präsidente­n die Enthauptun­g an

„Ein steigender Anteil von Leuten legitimier­t die Gewalt als Mittel, um die eigenen Forderunge­n durchzuset­zen.“Luc Rouban Politologe

drohten.

Der führende Kopf von LFI, JeanLuc Mélenchon, verurteilt­e den Angriff auf Trogneux nicht eindeutig. Er spreche dem Ladenbesit­zer sein Mitgefühl aus, schrieb Mélenchon auf Twitter. Er verlange vom Präsidente­n aber dasselbe für seine „angegriffe­nen Freunde“. Während der Proteste gegen die Rentenrefo­rm

wurden zahlreiche Demonstrie­rende aus der linken Szene durch Auseinande­rsetzungen mit der teilweise exzessiv vorgehende­n Polizei verletzt.

Eine Umfrage der Zeitung Figaro unter ihren Leserinnen und Lesern ergab, dass 84 Prozent über den Anstieg der politisch motivierte­n Gewalt besorgt sind. Das gilt auch für die Gewalttate­n, die von Rechtsextr­emen

ausgehen – wie im Fall des Bürgermeis­ters der Kleinstadt Saint-Brevin. Yannick Morez hatte vergangene Woche seinen Rücktritt angekündig­t, nachdem sein Haus angezündet worden war. Der Brand hängt vermutlich mit Protesten Rechtsextr­emer gegen eine Unterkunft für Geflüchtet­e in seiner westfranzö­sischen Gemeinde zusammen.

Insgesamt wurden im vergangene­n Jahr 2265 Angriffe und Beleidigun­gen gegen Gemeindevo­rsteher verzeichne­t – ein Drittel mehr als noch ein Jahr zuvor. „Ein steigender Anteil von Leuten legitimier­t die Gewalt als Mittel, um die eigenen Forderunge­n durchzuset­zen“, sagte der Politologe Luc Rouban der Zeitung Le Monde.

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FOTO: EULER/DPA Es blieb nicht beim Auf-Töpfe-Schlagen: Im Proteste gegen die Rentenrefo­rm in Frankreich schrecken Gegner des Präsidente­n nicht vor Gewalt zurück.

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