Hat ein 72-Jähriger ein zehnjähriges Mädchen schwer missbraucht?
Hat er das Kind schwer sexuell missbraucht? Der heute 72 Jahre alte Angeklagte streitet es ab. „Ich habe in keiner Hinsicht die Absicht gehabt, dass ich Sex mit ihr machen wollte. Das ist doch noch ein Kind“, sagt er am Mittwoch im Saarbrücker Landgericht. Das Mädchen sagt das Gegenteil – auch vor Gericht, auch am Mittwoch – im Gegensatz zu ihrem Vater und mehreren Polizisten allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Am 8. November des vergangenen Jahres soll es in Saarbrücken passiert sein. Mädchen wie Angeklagter leben im selben Mehrfamilienhaus; in unterschiedlichen Etagen. „Ich habe mit ihrem Vater öfters Kontakt gehabt“, erklärt der Angeklagte am Mittwoch. Dabei habe der Angeklagte dem Vater gesagt, dass er seiner Tochter gerne „ein Fahrrad schenken“wolle, berichtet der 72-Jährige.
Beide Männer stammen aus Syrien, beide sind Flüchtlinge, wobei der Angeklagte bereits in den 1980er-Jahren geflüchtet sei. Er habe für die syrische Armee im Bürgerkrieg im Libanon kämpfen müssen, habe Schusswunden in beiden Beinen erlitten, habe sich in Deutschland operieren lassen – und blieb letztlich dort, bekommt Asyl, heiratet hier, zeugt drei Kinder – und wandert Mitte der 90er wegen einer Vergewaltigung in ein deutsches Gefängnis. Wieder frei, heiratet er eine angeblich vermögende Marokkanerin, bekommt eine Vollmacht für ihr Vermögen. Das sei der Familie der Frau zu viel des Vertrauens gewesen, erklärt der Angeklagte in Saal 1 des Landgerichtes. Die Anverwandten seiner Ehefrau hätten Angst gehabt, dass er mit dem Geld der Frau durchbrenne: Daher hätte die Familie ihn verleumdet, er solle Video- und Fotografien von Minderjährigen aufgenommen haben. Die Familie zeigt ihn an, ein marokkanisches Gericht habe ihn zu einem Jahr Haft verurteilt. Danach sei er nach Deutschland zurück, kommt nach Saarbrücken.
Und bekommt es immer wieder mit dem Gesetz zu tun. Insgesamt 21 Einträge hat seine Akte. Neben Diebstahl, Vergewaltigung und Bedrohung steht da auch sexueller Missbrauch von Kindern. Zuletzt 2012. Das Amtsgericht Saarbrücken verurteilt ihn damals. Ein Opfer sitzt am Mittwoch im Gerichtssaal – als Zuschauerin, sie sei damals zwölf gewesen, erzählt sie.
Dieses Mal soll ein zehnjähriges Mädchen sein Opfer gewesen sein. Es geht laut der Anklage um schweren sexuellen Missbrauch.
Im Vergleich zum „einfachen“sexuellen Missbrauch muss hier eine Penetration stattgefunden haben. Und die versucht die Anklage, dem Mann nachzuweisen. Bei einer Verurteilung droht ihm anschließende Sicherungsverwahrung.
Sein mutmaßliches Opfer spricht er laut Anklage im Hausflur an. Vor dem Aufzug. Sie habe ihn gekannt, da ihr Vater dem Mann öfter geholfen habe. Im vergangenen Sommer seien sie einmal gemeinsam im Schwimmbad gewesen, habe das
Mädchen bei der Polizei ausgesagt. Er habe ihr gesagt, dass er noch ein Geburtstagsgeschenk für sie habe. Laut dem Angeklagten sei sie freiwillig mitgekommen. Laut Anklage habe er das Mädchen „am Arm in die Wohnung reingezogen“. In der Wohnung soll er das Mädchen dann schwer sexuell missbraucht haben. Er sagt, er habe sie nur über den Bauch gestreichelt und auf den Hals geküsst, um sie zu trösten. Schließlich habe er den Schlüssel für die Abstellkammer nicht gefunden, in der er das Fahrrad verstaut gehabt habe.
Von einem Fahrrad für seine Tochter sei nie die Rede gewesen, erklärt der Vater vor Gericht. Weder in Gesprächen mit dem Angeklagten vor der Tat – noch in den schweren Gesprächen mit seiner Tochter kurz nach der Tat. „Schmeiß die Schokolade weg, der Typ oben hat sie mir geschenkt. Er hat so gemacht.“Sie macht eindeutige Gesten und schildert dem Vater den Missbrauch – und weint bitterlich, berichtet der Vater vor Gericht von dem Moment, als seine „völlig verängstigte“Tochter vor seiner Haustüre steht. Der Vater schaltet sofort die Polizei ein. Die befragen das Mädchen teils unabhängig voneinander. Sie sei sehr aufgelöst gewesen, habe mit Worten und mit Gesten erklärt, was passiert sei – direkte Nachfragen untermauern den Verdacht des schweren, sexuellen Missbrauchs.
Direkte Nachfragen sind oft Suggestivfragen. Und die sind für Verteidiger meist eine Steilvorlage, da Kinder auf solche Fragen auch mal (vermeintlich) sozial erwünscht antworten. Daher sind die Antworten für Gerichte schwierig zu beurteilen. Der Beweis des schweren sexuellen Missbrauchs daher schwieriger. Zumal ein Labor keine DNA des Täters im Genitalbereich des Mädchens finden konnte. Dafür am Hals – vom Kuss. Der Prozess soll kommende Woche fortgesetzt werden. Mit weiteren Zeugen – und der Aussage einer Gutachterin.