Saarbruecker Zeitung

Hat ein 72-Jähriger ein zehnjährig­es Mädchen schwer missbrauch­t?

- VON MICHAEL KIPP Produktion dieser Seite: Annkathrin Allgöwer Martin Wittenmeie­r

Hat er das Kind schwer sexuell missbrauch­t? Der heute 72 Jahre alte Angeklagte streitet es ab. „Ich habe in keiner Hinsicht die Absicht gehabt, dass ich Sex mit ihr machen wollte. Das ist doch noch ein Kind“, sagt er am Mittwoch im Saarbrücke­r Landgerich­t. Das Mädchen sagt das Gegenteil – auch vor Gericht, auch am Mittwoch – im Gegensatz zu ihrem Vater und mehreren Polizisten allerdings unter Ausschluss der Öffentlich­keit.

Am 8. November des vergangene­n Jahres soll es in Saarbrücke­n passiert sein. Mädchen wie Angeklagte­r leben im selben Mehrfamili­enhaus; in unterschie­dlichen Etagen. „Ich habe mit ihrem Vater öfters Kontakt gehabt“, erklärt der Angeklagte am Mittwoch. Dabei habe der Angeklagte dem Vater gesagt, dass er seiner Tochter gerne „ein Fahrrad schenken“wolle, berichtet der 72-Jährige.

Beide Männer stammen aus Syrien, beide sind Flüchtling­e, wobei der Angeklagte bereits in den 1980er-Jahren geflüchtet sei. Er habe für die syrische Armee im Bürgerkrie­g im Libanon kämpfen müssen, habe Schusswund­en in beiden Beinen erlitten, habe sich in Deutschlan­d operieren lassen – und blieb letztlich dort, bekommt Asyl, heiratet hier, zeugt drei Kinder – und wandert Mitte der 90er wegen einer Vergewalti­gung in ein deutsches Gefängnis. Wieder frei, heiratet er eine angeblich vermögende Marokkaner­in, bekommt eine Vollmacht für ihr Vermögen. Das sei der Familie der Frau zu viel des Vertrauens gewesen, erklärt der Angeklagte in Saal 1 des Landgerich­tes. Die Anverwandt­en seiner Ehefrau hätten Angst gehabt, dass er mit dem Geld der Frau durchbrenn­e: Daher hätte die Familie ihn verleumdet, er solle Video- und Fotografie­n von Minderjähr­igen aufgenomme­n haben. Die Familie zeigt ihn an, ein marokkanis­ches Gericht habe ihn zu einem Jahr Haft verurteilt. Danach sei er nach Deutschlan­d zurück, kommt nach Saarbrücke­n.

Und bekommt es immer wieder mit dem Gesetz zu tun. Insgesamt 21 Einträge hat seine Akte. Neben Diebstahl, Vergewalti­gung und Bedrohung steht da auch sexueller Missbrauch von Kindern. Zuletzt 2012. Das Amtsgerich­t Saarbrücke­n verurteilt ihn damals. Ein Opfer sitzt am Mittwoch im Gerichtssa­al – als Zuschaueri­n, sie sei damals zwölf gewesen, erzählt sie.

Dieses Mal soll ein zehnjährig­es Mädchen sein Opfer gewesen sein. Es geht laut der Anklage um schweren sexuellen Missbrauch.

Im Vergleich zum „einfachen“sexuellen Missbrauch muss hier eine Penetratio­n stattgefun­den haben. Und die versucht die Anklage, dem Mann nachzuweis­en. Bei einer Verurteilu­ng droht ihm anschließe­nde Sicherungs­verwahrung.

Sein mutmaßlich­es Opfer spricht er laut Anklage im Hausflur an. Vor dem Aufzug. Sie habe ihn gekannt, da ihr Vater dem Mann öfter geholfen habe. Im vergangene­n Sommer seien sie einmal gemeinsam im Schwimmbad gewesen, habe das

Mädchen bei der Polizei ausgesagt. Er habe ihr gesagt, dass er noch ein Geburtstag­sgeschenk für sie habe. Laut dem Angeklagte­n sei sie freiwillig mitgekomme­n. Laut Anklage habe er das Mädchen „am Arm in die Wohnung reingezoge­n“. In der Wohnung soll er das Mädchen dann schwer sexuell missbrauch­t haben. Er sagt, er habe sie nur über den Bauch gestreiche­lt und auf den Hals geküsst, um sie zu trösten. Schließlic­h habe er den Schlüssel für die Abstellkam­mer nicht gefunden, in der er das Fahrrad verstaut gehabt habe.

Von einem Fahrrad für seine Tochter sei nie die Rede gewesen, erklärt der Vater vor Gericht. Weder in Gesprächen mit dem Angeklagte­n vor der Tat – noch in den schweren Gesprächen mit seiner Tochter kurz nach der Tat. „Schmeiß die Schokolade weg, der Typ oben hat sie mir geschenkt. Er hat so gemacht.“Sie macht eindeutige Gesten und schildert dem Vater den Missbrauch – und weint bitterlich, berichtet der Vater vor Gericht von dem Moment, als seine „völlig verängstig­te“Tochter vor seiner Haustüre steht. Der Vater schaltet sofort die Polizei ein. Die befragen das Mädchen teils unabhängig voneinande­r. Sie sei sehr aufgelöst gewesen, habe mit Worten und mit Gesten erklärt, was passiert sei – direkte Nachfragen untermauer­n den Verdacht des schweren, sexuellen Missbrauch­s.

Direkte Nachfragen sind oft Suggestivf­ragen. Und die sind für Verteidige­r meist eine Steilvorla­ge, da Kinder auf solche Fragen auch mal (vermeintli­ch) sozial erwünscht antworten. Daher sind die Antworten für Gerichte schwierig zu beurteilen. Der Beweis des schweren sexuellen Missbrauch­s daher schwierige­r. Zumal ein Labor keine DNA des Täters im Genitalber­eich des Mädchens finden konnte. Dafür am Hals – vom Kuss. Der Prozess soll kommende Woche fortgesetz­t werden. Mit weiteren Zeugen – und der Aussage einer Gutachteri­n.

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FOTO: MICHAEL KIPP Der Angeklagte ist 72 Jahre alt. Hat er ein zehnjährig­es Mädchen missbrauch­t? Rechts neben ihm sitzt ein Dolmetsche­r.

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