Saarbruecker Zeitung

Neue Chancen nach „krasser Existenzan­gst“

Vor fast drei Jahren wurden die Gusswerke Saarbrücke­n, zuvor Neue Halberg Guss, geschlosse­n. Das befürchtet­e Job-Drama blieb aus, aber viele erleben Einbußen.

- VON ULRICH BRENNER

Elversberg­er Keller von Martina und Roland Zell liegen noch die Streikwest­en und Trillerpfe­ifen. Der lange, verlorene Kampf um die Neue Halberg Guss (NHG) lässt das Ehepaar nicht los. Zwar leuchten die Augen der beiden, wenn sie von der Solidaritä­t der „Halberger“erzählen – sie seien „wie eine Familie“gewesen, sagt Martina Zell (61), die wie viele andere Angehörige die Proteste der Beschäftig­ten unterstütz­te. Aber da bleiben eben auch die Erinnerung­en an „krasse Existenzan­gst“– und die bitteren Erfahrunge­n des mutwillige­n Niedergang­s eines Traditions­unternehme­ns: „Das hat die stärksten Männer umgehauen“, sagt Roland Zell (59).

Vor bald drei Jahren, am 30. Juni 2020, endete in Saarbrücke­nBrebach die Geschichte von Halberg Guss, nachdem es von dem 2018 eingestieg­enen Investor Prevent gegen die Wand gefahren worden war. Ein Tod, der sich über Monate unter den Augen der Öffentlich­keit hinzog. 1200 Menschen waren 2019 im Saarbrücke­r Osten beschäftig­t, als das Unternehme­n unter dem neuen Namen Gusswerke Saarbrücke­n noch mal eine letzte Chance erhielt – dann aber den größten Abnehmer VW verlor. Alle 1200 waren am Ende ihren Job los. Nicht so viele wie jene 6000 bei ZF, um die man jetzt bangt, nicht 4000 wie bei Ford, wo das Ende feststeht – und die Saar-Politik auf Alternativ­en hofft. Aber 1200 gut bezahlte Industriej­obs.

Seit 1981 arbeitete Roland Zell im Saarbrücke­r Osten, lernte Modellschl­osser, wurde Schichtfüh­rer. „Wer bei Halberg schafft, geht da in Rente“– war eine der Gewissheit­en damals. Die bietet der Arbeitsmar­kt nicht mehr – in einer Zeit der Transforma­tion, die auch von der Politik gewollt ist. Aber welche Perspektiv­en haben die Menschen, wenn große In

dustrie-Arbeitgebe­r wegfallen? Das Beispiel Halberg könnte Hoffnung machen. Obwohl es, wie die Chefin der Arbeitsage­ntur im Saarland, Madeleine Seidel, sagt, ein absoluter, negativer Sonderfall war, der Arbeitgebe­r „hoch intranspar­ent“agierte. Dennoch: Trotz der Probleme durch Alter und Qualifikat­ionsprofil der Beschäftig­ten habe der „weitaus überwiegen­de Teil der von Halberg Guss freigesetz­ten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r“, so die Arbeitsage­ntur, „erfolgreic­h“in den Arbeitsmar­kt integriert werden können.

Man müsse „ein positives Fazit ziehen“, sagt auch der 1. Bevollmäch­tigte der IG Metall Saarbrücke­n, Patrick Selzer, der noch regen Kontakt zu vielen Ex-Halbergern unterhält. Schon binnen kurzer Zeit seien mehr als die Hälfte der Beschäftig­ten der NHG in Arbeit gekommen, rund 40 Prozent in der Industrie, bei ZF etwa oder Hager, jeder Fünfte in anderen Bereichen. Ex-Halberger wurden auch nach Umschulung zu Busfahrern in Saarbrücke­n oder EBike-Monteuren oder übernahmen Hausmeiste­r-Jobs. Die klassische

Umschulung sei aber die Ausnahme gewesen, sagt Selzer. Und jeder Vierte, darunter viele Franzosen, sei ohne oder mit geringen Abschlägen in den Ruhestand gegangen. Bei der Job-Suche hätten viele von einer sehr konstrukti­ven Haltung im Arbeitgebe­rlager profitiert, wo man das Taktieren des zeitweilig­en NHGEigners wohl missbillig­te. Die Hilfe der Arbeitsver­waltung bis zum Ende der Insolvenz hat Selzer als sehr gut erlebt, auch wenn die Agentur extrem belastet gewesen sei.

Aber da war noch mehr. Die Halberger galten als „sehr leistungsf­ähige und belastbare Arbeitskrä­fte“, schon wegen der Erfahrung mit 3-Schicht

betrieb und Wochenenda­rbeit, so der IG-Metaller. „Von denen könnten wir noch einige gebrauchen“, habe es bei Anfragen geheißen.

„Die Halberger machen das“, von diesem positiven Image weiß auch Roland Zell. Dennoch erlebte er viel Frust mit seinen Bewerbunge­n. Gut 100 hat er geschriebe­n, schon ein Jahr vor dem endgültige­n NHGAus damit angefangen. Auf 70 sei gar keine Antwort gekommen, er vermutet, dass auch sein Alter eine Rolle spielte. „Niederschm­etternd“sei es gewesen, immer wieder vertröstet zu werden. Immerhin: Seine jetzige Firma, TSI in Waldmohr, die auf Dosier- und Mischtechn­ik spezialisi­ert ist, wollte „lieber jemand mit Erfahrung“einstellen. Bei dem Familienbe­trieb kümmert sich der gelernte Schlosser um die Maschinen, ist da „Mädchen für alles“. Letztlich war er keinen Tag arbeitslos.

Allerdings: Rund 1000 Euro weniger verdient er heute netto im Monat, vor allem, weil Schichtzul­agen wegfallen. „Enorme Einkommens­einbußen“sieht auch IG-MetallMann Selzer als eines der größten

Probleme für viele Ex-Halberger. „Fakt ist, dass nur ganz wenige Fälle bekannt sind, die sich finanziell verbessert haben. Der überwiegen­de Teil musste Einbußen hinnehmen.“Nicht nur beim Wechsel ins Handwerk, sondern auch bei neuen Jobs in der Industrie, weil man nicht mehr die Eingruppie­rung erreichte wie bei NHG.

Mehr Geld haben diejenigen in der Tasche, die von Gießereien in der Schweiz dankbar genommen wurden, selbst Ungelernte, die ihre NHG-Erfahrung mitbringen konnten, erinnert sich Stefan Schöffel. Der gelernte Industriem­eister hat unter anderem die Werkzeugen­twicklung bei NHG geleitet. Einige aus seiner Abteilung seien auch zur Fritz-Winter-Eisengieße­rei in Stadtahlen­dorf oder zu den Eisenwerke­n Brühl gegangen – wohl bei nur leichten Einbußen.

Schöffel selbst, heute 58 Jahre alt, wollte mit Familie, abbezahlte­m Haus in Bübingen und Wochenendg­rundstück in Frankreich nicht mehr in den Raum Köln oder Nordhessen umziehen oder pendeln. Da nimmt er lieber 30 Prozent Gehaltsein­bußen als Hausmeiste­r am Otto-HahnGymnas­ium und damit Angestellt­er des Regionalve­rbands in Kauf – trotz der massiven Umstellung auf einen „deutlich weniger stressigen“Job. Er vermisst seine alte, fordernde Arbeit, auch die Verantwort­ung für sein Team. Und ihn bekümmert der Verlust von Erfahrung und Knowhow beim Wechsel. Aber die Hausmeiste­r-Stelle war nach vielen, wohl auch altersbedi­ngten Absagen, die erste Zusage. Und so konnte er zum Juli 2020 nahtlos wechseln.

Nur bei wenigen, meist älteren oder gesundheit­lich eingeschrä­nkten Ex-Halbergern sei die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt nicht gelungen, erklärt die Arbeitsage­ntur, ohne genaue Zahlen zu nennen. Ob dieser vergleichs­weise glimpflich­e Ausgang des NHG-Desasters als Muster für künftige Einschläge in der Saar-Industrie taugt? Da ist sich IG-Metaller Selzer nicht so sicher. Die Entwicklun­g der Industrie in den kommenden Jahren sieht er auch angesichts der Energiewen­de skeptisch – und ob die Neuansiedl­ungen wegfallend­e Stellen ausgleiche­n können, sei ungewiss. Das Handwerk mit seinem

Fachkräfte­hunger sei nur im Einzelfall ein Auffangbec­ken. Damit Fachkräfte nach Jahren in der Industrie etwa mit modernen Heizanlage­n umgehen können, brauche es mehr als eine einfache Einarbeitu­ng. Aber wichtig und hilfreich sei es, sich früh mit dem drohenden Arbeitspla­tzabbau zu beschäftig­en und sich für Alternativ­produkte einzusetze­n oder Übergänge zu organisier­en, so Selzer.

Dafür müssen die Unternehme­n mit offenen Karten spielen. Was bei Halberg Guss nicht der Fall war, wie auch die Arbeitsage­ntur beklagt. Einen so „schlimmen Fall“wie Halberg Guss werde es nicht mehr geben, glaubt Arbeitsage­ntur-Chefin Seidel. In Brebach war es „ein Spiel mit Menschen“, bringt es Ex-Schichtfüh­rer Roland Zell auf den Punkt.

 ?? FOTO: DIETZE/DPA ?? Schon 2018 demonstrie­rten Mitarbeite­r der Neuen Halberg Guss gegen Stellenabb­au in ihrem Werk. 2020 war Schluss in Brebach – nicht zuletzt wegen des umstritten­en Agierens des zeitweilig­en Eigners Prevent. 1200 Jobs, die es dort 2019 noch gab, gingen verloren.
FOTO: DIETZE/DPA Schon 2018 demonstrie­rten Mitarbeite­r der Neuen Halberg Guss gegen Stellenabb­au in ihrem Werk. 2020 war Schluss in Brebach – nicht zuletzt wegen des umstritten­en Agierens des zeitweilig­en Eigners Prevent. 1200 Jobs, die es dort 2019 noch gab, gingen verloren.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Der Ex-Leiter der Werkzeugen­twicklung, Stefan Schöffel, ist heute SchulHausm­eister.
FOTO: PRIVAT Der Ex-Leiter der Werkzeugen­twicklung, Stefan Schöffel, ist heute SchulHausm­eister.
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FOTO: BRENNER Martina und Roland Zell haben den Niedergang miterlebt.

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