„Mein Herz gehört der ganzen Musik“
Der französische Star-Dirigent steht an diesem Sonntag am Pult des Saarländischen Staatsorchesters. Die SZ hat vorab mit ihm über das Konzert gesprochen.
Marc Minkowski dirigiert regelmäßig in Paris, Mailand und Wien. Er zählt zu den renommiertesten französischen Dirigenten und gilt als „Feuerwerker unter den Orchesterchefs“, schreibt das Saarländische Staatstheater. Am Sonntag, 21. Mai, steht Minkowski am Pult des Saarländischen Staatsorchesters. „Anfang und Ende“ist das 7. Sinfoniekonzert in der Alten Schmelz in St. Ingbert überschrieben. Aufgeführt werden das „Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 16“von Edvard Grieg und die „Sinfonie d-Moll ,Nullte‘ WAB 100“von Anton Bruckner. Wie es zu dem Gastauftritt im Saarland kam, darüber hat die Saarbrücker Zeitung mit dem 60-Jährigen gesprochen.
Wie kommt es, dass Sie am Sonntag das 7. Sinfoniekonzert des Saarländischen Staatsorchesters dirigieren?
MARC MINKOWSKI Sébastien Rouland (Generalmusikdirektor des Saarländischen Staatstheaters, Anm. d. Red.) ist ein sehr guter Freund von mir. Vor etwa zwanzig Jahren war er mein Assistent. Wir haben viele Produktionen gemeinsam gemacht. Als er am Staatstheater zum Generalmusikdirektor ernannt wurde, habe ich mich sehr für ihn gefreut. Er sagte: „Marc,
Du musst unbedingt herkommen!“
Was genau machte Sébastien Rouland als „Assistent“? Wie assistiert man beim Dirigieren?
MINKOWSKI Das ist wie ein Regieassistent. Das, was man als Dirigent hört, ist etwas ganz anderes als das, was das Publikum hört. Der Assistent hört vom Zuschauerraum aus, gibt wichtige Hinweise, übernimmt auch viele Proben. Es ist ein fantastischer Beobachtungsposten. Ich selbst habe das kaum gemacht. Ich war Fagottist im Orchester und habe von dieser Position beim Dirigieren zugesehen.
Was unterscheidet Sie beide? Wie hat Sébastien Rouland sich in Ihren Augen entwickelt?
MINKOWSKI Seine Entwicklung ist beeindruckend. Er war immer sehr energiegeladen. Wie ich, aber er hat eine andere Energie. Auch er ist sehr texttreu, hält sich an die Partitur. Wir haben ähnliche Vorlieben und Interpretationsansätze.
Hat er mit Ihnen über das Staatsorchester gesprochen?
MINKOWSKI Nur sehr wenig. Für uns Dirigenten ist es wichtig, vorurteilsfrei an das Orchester heranzugehen. Er sagte nur, das Staatsorchester sei sehr lebendig und einsatzbereit. Mein erstes Mal in Saarbrücken und eine sehr erfreuliche, befriedigende Begegnung! Gerade deutsche Orchester, insbesondere die der Rundfunkanstalten, sind oft perfekt, aber etwas ausdruckslos. Am Rundfunk spielen Aufnahmen eine große Rolle, das Mikrofon steht immer mit auf der Bühne. Hier am Theater spüre ich diese manchmal etwas eisige Atmosphäre nicht.
Kommt der Ausdruck denn vom Orchester, sind nicht Sie als Dirigent verantwortlich dafür?
MINKOWSKI Es ist ein Dialog, ein
Teamsport. Ohne Antwort und ohne Können auf der Seite der Musiker kann ich mich auf den Kopf stellen, Ausdruck und Energie hineinbringen, und es passiert nichts.
Sie sind Dirigent seit 40 Jahren, was hat sich verändert – bei Ihnen und bei den Orchestern?
MINKOWSKI Ich war Fagottist im Orchester und wollte schon immer Dirigent sein, ein Darsteller. In der Oper kamen alle meine Leidenschaften zusammen, die Musik, das Theater, ich hatte meinen Platz gefunden. Orchester sind überall in der Welt anders. Ob Deutschland, Österreich, Spanien, es gibt immer mehr junge Musikerinnen und Musiker in den Orchestern, was gut ist, denn sie bringen eine neue Dynamik, sind allerdings oft auch unerfahren. Das Ideal wäre die ausgewogene Mischung von Jugend und Erfahrung. Ich selbst habe so etwas wie ein Doppelleben. Da sind die vor vierzig Jahren von mir gegründeten „Les musiciens du Louvre“, ein freies Kammerorchester. Wir entwickeln uns immer weiter, spielen Barockmusik, auch romantisches oder klassisches Repertoire, eigentlich alles. Ich arbeite aber auch sehr gerne mit großen Orchestern.
Sie waren eigentlich nie Barockspezialist.
MINKOWSKI Danke, dass Sie das sagen. Ja und nein. Man steckt mich in die Schublade Experte für Barock, historische Aufführungspraxis. Mein Herz gehört der ganzen Musik. Beim Film gibt es das doch auch. Kubrick machte so unterschiedliche Filme wie „2001, Odyssee im Weltraum“und „Barry Lyndon“. Ich spaziere gerne durch die Epochen.
Warum Grieg und Bruckner im 7. Sinfoniekonzert?
MINKOWSKI Sébastien Rouland bat mich, ein Klavierkonzert mit Suzana Bartal zu machen und ich mag das Grieg Klavierkonzert sehr – zart, raffiniert mit ausgesprochen skandinavischem Charme. Für Bruckner begeistere ich mich immer mehr, seine Musik ist wie Oper ohne Worte, oder wie die Sinfonien, die Wagner nie geschrieben hat, eine großartige, polyfone Welt voller Leidenschaften. Die „Nullte“habe ich auch gewählt, weil sie selten gespielt wird.
Sie reiten, haben selbst Pferde. Was lernen Sie von den Pferden?
MINKOWSKI Das Leben mit Pferden ist eine Dauertherapie. Ein Weg, mit der Natur in Kontakt zu sein, und mit einem Teil der Menschheitsgeschichte. Ich bin kein herausragender Reiter, aber es gibt sicher nicht viele, die auf dem Pferd sitzend dirigieren können. Das mache ich in auch in Shows in Reitschulen. Zwischen der Musik und den Pferden gibt es Entsprechungen. Das Pferd ist ein rhythmisches Tier, und Reitanlagen wurden früher so konstruiert, dass im Wechsel Reitkunst oder Musik stattfinden konnte. Der Salzburger Konzertsaal „Felsenreitschule“trägt diese Vergangenheit noch im Namen. In der Reitanlage von Versailles wurden Opern aufgeführt, bevor sie nach Paris kamen.
Ihre Stimme klingt gesetzt, ausgeglichen, beherrscht. Es ist die Stimme eines Souveräns – charakterisiert Ihre Stimme Sie?
MINKOWSKI Ich bin ein falscher Ruhiger. Ich versuche, das Feuer in mir zu kontrollieren. Ich gehe Risiken ein, das gehört heute dazu, in der Musik die Ausdrucksstärke, nach Extremen zu suchen.
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