Saarbruecker Zeitung

„Wir wollen Klimaneutr­alität bis 2045“

Die SPD wird 160 Jahre alt. Parteichef Lars Klingbeil sagt, die Sozialdemo­kratie werde weiter gebraucht, auch internatio­nal.

- DIE FRAGEN STELLTEN KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND HAGEN STRAUSS

BERLIN Der SPD-Chef spricht im Interview über seine Partei als Kraft für den Frieden, den Wunsch nach einer Versachlic­hung der Debatte um den klimaneutr­alen Umbau von Deutschlan­d und das Heizungsge­setz als Ampel-Gesetz.

Herr Klingbeil, die SPD wird 160 Jahre alt. Ist Ihnen nach anderthalb Jahren Ampel zum Feiern zumute? KLINGBEIL Eine Partei, die die älteste Europas ist, hat allen Grund zum Feiern. Und ich freue mich darüber, dass wir das Jubiläum zusammen mit dem vierten sozialdemo­kratischen Bundeskanz­ler begehen.

Was bedeutet ein solches Jubiläum? KLINGBEIL In den letzten Jahren gab es häufig einen Abgesang auf die Sozialdemo­kratie. Aber sowohl der Sieg bei der Bundestags­wahl als auch die aktuellen Herausford­erungen zeigen doch, dass die Sozialdemo­kratie gebraucht wird. Eine politische Kraft, die sich für Frieden einsetzt und für ein starkes Europa. Die dafür sorgt, dass Verteilung­s- und Gerechtigk­eitsfragen wieder lauter adressiert werden. Die dafür kämpft, dass Arbeitsplä­tze erhalten bleiben und die Industrie den klimaneutr­alen Umbau schafft.

Der dritte sozialdemo­kratische Kanzler, Gerhard Schröder, wird nicht dabei sein. Vermasselt er Ihnen die Feierlaune?

KLINGBEIL Nein. Seit Kriegsbegi­nn in der Ukraine ist unsere Position klar: Gerhard Schröder hat sich für die falsche Seite der Geschichte entschiede­n. Das ist tragisch. Aber er muss selbst beantworte­n, warum das so ist.

Sie legen persönlich viel Wert auf die außenpolit­ische Darstellun­g der SPD. Welche Tradition wollen Sie da fortschrei­ben?

KLINGBEIL Die internatio­nale Politik hat für die SPD in 160 Jahren immer einen hohen Stellenwer­t gehabt. Wir sind sehr stolz darauf, eine internatio­nalistisch­e Partei zu sein, die Verbindung­en in die ganze Welt pflegt und den Blick über die eigenen Grenzen wagt. Wir haben im letzten

Jahr viel über die Ostpolitik von Willy Brandt gesprochen. Und ich glaube jetzt geht es in den nächsten Jahren sehr stark um die sozialdemo­kratische Tradition der Nord-Süd-Politik.

Warum richten Sie und der Kanzler Ihre Blicke vor allem auf den globalen Süden?

KLINGBEIL Wir sehen, dass die Länder des globalen Südens heute viel selbstbewu­sster sind. Wir müssen diesen Ländern auf Augenhöhe begegnen, Partnersch­aften und strategisc­he Allianzen mit ihnen ausbauen. Davon hängt auch die politische Stabilität und der Wohlstand bei uns im Land ab.

Wie geht man dann damit um, dass dort die Bewertung des UkraineKri­egs zum Teil ganz anders ist?

KLINGBEIL Wir müssen uns von dem Denken freimachen, dass alle so sein wollen wie wir. Länder wie Brasilien, Südafrika, aber auch die Türkei, Indien und Indonesien sind inzwischen sehr starke globale Player. Sie agieren eigenständ­ig und sind bereit, Allianzen gegen Europa zu einzugehen. Wir müssen daher in den strategisc­hen Dialog. Das machen wir als Partei, das macht der Bundeskanz­ler. Kurzfristi­g kann es auch mal Meinungsve­rschiedenh­eiten und Enttäuschu­ngen geben. Langfristi­g ist das aber der richtige Weg.

Wie blicken Sie auf die Stichwahl in der Türkei?

KLINGBEIL Wir brauchen einen Neuanfang mit der Türkei und deshalb war und ist die Hoffnung, dass das mit einem Wechsel nach den Wahlen einfacher wird. Die beiderseit­ige Entfremdun­g unter Erdogan in den letzten 20 Jahren hat niemandem genutzt. Deshalb schmerzt es mich, dass eine Mehrheit der hier in Deutschlan­d lebenden Türken für Erdogan gestimmt hat. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, neue

Brücken zwischen Deutschlan­d und der Türkei zu bauen.

Stichwort Ukraine. Wie stehen Sie zur ukrainisch­en Forderung nach Kampfjets auch aus Deutschlan­d? KLINGBEIL Der Selenskyj-Besuch war ein wichtiges Zeichen für die deutsch-ukrainisch­e Freundscha­ft. Zwischen Selenskyj und Scholz ist etwas gewachsen. Der Weg des Kanzlers, gründlich nachzudenk­en und sich abzustimme­n, ist der richtige gewesen. Wir sind der zweitgrößt­e Geber für die Ukraine nach den USA. Und das neue 2,7 Milliarden-Paket hat noch mal langfristi­g eine Wucht. Wir konzentrie­ren uns auf die Ausbildung, die Panzer und die Raketenabw­ehr. Jeder hat unterschie­dliche militärisc­he Fähigkeite­n. Die Kampf

jets gehören bei uns nicht dazu. Die Aussage des Kanzlers gilt hier.

Innenpolit­isch dominiert derzeit das umstritten­e Heizungsge­setz. Ärgert Sie der Verlauf der Debatte?

KLINGBEIL Beim Heizungsge­setz sind wir nicht optimal gestartet. Es war unglücklic­h, dass wir zuerst über die Klimafrage geredet und nun das Soziale hinterherg­eschoben werden muss. Das hätte beides von Anbeginn zusammenge­dacht werden müssen. Sonst laufen wir Gefahr, dass sich die Bürgerinne­n und Bürger gegen den Klimaschut­z stellen. Jetzt müssen wir im Parlament das Beste daraus machen. Die Klimaneutr­alität erreichen wir 2045 nur, wenn wir jetzt auch den Gebäudesek­tor angehen.

Welche Korrekture­n erwarten Sie? KLINGBEIL Als SPD werden wir dafür sorgen, dass niemand vor eine unlösbare Aufgabe gestellt wird. Mieter müssen besser geschützt werden, indem etwa die Modernisie­rungsumlag­e bei der Heizung nicht vollständi­g auf die Miete umgelegt werden kann. Die soziale Staffelung nach Einkommen muss kommen. Auch werden wir die Altersgren­zen noch mal absenken. Menschen im ländlichen Raum dürfen darüber hinaus keine Sorgen haben, dass sie wegen ihre Pelletheiz­ung Nachteile haben. Für all das werden wir sorgen. Der Kern des Gesetzes bleibt: Ab dem 1. Januar 2024 muss möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbar­en Energien betrieben werden.

Ist der Zeitplan noch einzuhalte­n? KLINGBEIL Ich sehe nichts, was dagegenspr­icht. Wir werden das Gesetz bis zur Sommerpaus­e verabschie­den können.

Wie viele Flops darf sich Wirtschaft­sminister Habeck noch erlauben?

KLINGBEIL Es stimmt, die Verunsiche­rung der Bürgerinne­n und Bürger in Bezug auf die Wärmewende ist groß und das ist nicht gut. Man darf das aber nicht an einer Person festmachen. Ich will noch mal in Erinnerung rufen: Wir wollen Klimaneutr­alität bis 2045, damit dieser Planet erhalten bleibt, damit die Generation nach uns eine lebenswert­e Zukunft hat. Daran werden wir gemessen. Und dafür machen wir auch dieses Gesetz. Aber wir werden es so machen, dass jeder dabei mitkommt.

War es notwendig, dass Habeck seinen Staatssekr­etär Graichen entlassen hat?

KLINGBEIL Minister Habeck hat seine Entscheidu­ng ja ausführlic­h erklärt. Dem habe ich nichts hinzuzufüg­en. Ich wünsche mir, dass die Debatte um den klimaneutr­alen Umbau unseres Landes nun wieder versachlic­ht wird.

Wie schauen Sie denn gerade auf die Grünen? Die Partei schwächelt, hat viele gegen sich aufgebrach­t.

KLINGBEIL Ich sage noch mal: Das Heizungsge­setz ist ein Ampel-Gesetz. Wir werden es nun abermals gemeinsam verbessern. Eine Regierung, die sich ständig gegenseiti­g vermisst, wird nicht erfolgreic­h sein.

Dennoch hat man den Eindruck, dass es wieder eine Sehnsucht nach großer Koalition bei der SPD gibt. Erst Berlin, jetzt vielleicht Bremen. KLINGBEIL Die Sehnsucht nach einer großen Koalition hat mich bisher nicht erreicht. In Berlin war es eine pragmatisc­he Entscheidu­ng. In Bremen wird Andreas Bovenschul­te ausloten, was das Beste für das Land ist.

„Gerhard Schröder hat sich für die falsche Seite der Geschichte entschiede­n.“

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA SPD-Chef Lars Klingbeil möchte einen Neuanfang in den Beziehunge­n zur Türkei.

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