„Wir wollen Klimaneutralität bis 2045“
Die SPD wird 160 Jahre alt. Parteichef Lars Klingbeil sagt, die Sozialdemokratie werde weiter gebraucht, auch international.
BERLIN Der SPD-Chef spricht im Interview über seine Partei als Kraft für den Frieden, den Wunsch nach einer Versachlichung der Debatte um den klimaneutralen Umbau von Deutschland und das Heizungsgesetz als Ampel-Gesetz.
Herr Klingbeil, die SPD wird 160 Jahre alt. Ist Ihnen nach anderthalb Jahren Ampel zum Feiern zumute? KLINGBEIL Eine Partei, die die älteste Europas ist, hat allen Grund zum Feiern. Und ich freue mich darüber, dass wir das Jubiläum zusammen mit dem vierten sozialdemokratischen Bundeskanzler begehen.
Was bedeutet ein solches Jubiläum? KLINGBEIL In den letzten Jahren gab es häufig einen Abgesang auf die Sozialdemokratie. Aber sowohl der Sieg bei der Bundestagswahl als auch die aktuellen Herausforderungen zeigen doch, dass die Sozialdemokratie gebraucht wird. Eine politische Kraft, die sich für Frieden einsetzt und für ein starkes Europa. Die dafür sorgt, dass Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen wieder lauter adressiert werden. Die dafür kämpft, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben und die Industrie den klimaneutralen Umbau schafft.
Der dritte sozialdemokratische Kanzler, Gerhard Schröder, wird nicht dabei sein. Vermasselt er Ihnen die Feierlaune?
KLINGBEIL Nein. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine ist unsere Position klar: Gerhard Schröder hat sich für die falsche Seite der Geschichte entschieden. Das ist tragisch. Aber er muss selbst beantworten, warum das so ist.
Sie legen persönlich viel Wert auf die außenpolitische Darstellung der SPD. Welche Tradition wollen Sie da fortschreiben?
KLINGBEIL Die internationale Politik hat für die SPD in 160 Jahren immer einen hohen Stellenwert gehabt. Wir sind sehr stolz darauf, eine internationalistische Partei zu sein, die Verbindungen in die ganze Welt pflegt und den Blick über die eigenen Grenzen wagt. Wir haben im letzten
Jahr viel über die Ostpolitik von Willy Brandt gesprochen. Und ich glaube jetzt geht es in den nächsten Jahren sehr stark um die sozialdemokratische Tradition der Nord-Süd-Politik.
Warum richten Sie und der Kanzler Ihre Blicke vor allem auf den globalen Süden?
KLINGBEIL Wir sehen, dass die Länder des globalen Südens heute viel selbstbewusster sind. Wir müssen diesen Ländern auf Augenhöhe begegnen, Partnerschaften und strategische Allianzen mit ihnen ausbauen. Davon hängt auch die politische Stabilität und der Wohlstand bei uns im Land ab.
Wie geht man dann damit um, dass dort die Bewertung des UkraineKriegs zum Teil ganz anders ist?
KLINGBEIL Wir müssen uns von dem Denken freimachen, dass alle so sein wollen wie wir. Länder wie Brasilien, Südafrika, aber auch die Türkei, Indien und Indonesien sind inzwischen sehr starke globale Player. Sie agieren eigenständig und sind bereit, Allianzen gegen Europa zu einzugehen. Wir müssen daher in den strategischen Dialog. Das machen wir als Partei, das macht der Bundeskanzler. Kurzfristig kann es auch mal Meinungsverschiedenheiten und Enttäuschungen geben. Langfristig ist das aber der richtige Weg.
Wie blicken Sie auf die Stichwahl in der Türkei?
KLINGBEIL Wir brauchen einen Neuanfang mit der Türkei und deshalb war und ist die Hoffnung, dass das mit einem Wechsel nach den Wahlen einfacher wird. Die beiderseitige Entfremdung unter Erdogan in den letzten 20 Jahren hat niemandem genutzt. Deshalb schmerzt es mich, dass eine Mehrheit der hier in Deutschland lebenden Türken für Erdogan gestimmt hat. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, neue
Brücken zwischen Deutschland und der Türkei zu bauen.
Stichwort Ukraine. Wie stehen Sie zur ukrainischen Forderung nach Kampfjets auch aus Deutschland? KLINGBEIL Der Selenskyj-Besuch war ein wichtiges Zeichen für die deutsch-ukrainische Freundschaft. Zwischen Selenskyj und Scholz ist etwas gewachsen. Der Weg des Kanzlers, gründlich nachzudenken und sich abzustimmen, ist der richtige gewesen. Wir sind der zweitgrößte Geber für die Ukraine nach den USA. Und das neue 2,7 Milliarden-Paket hat noch mal langfristig eine Wucht. Wir konzentrieren uns auf die Ausbildung, die Panzer und die Raketenabwehr. Jeder hat unterschiedliche militärische Fähigkeiten. Die Kampf
jets gehören bei uns nicht dazu. Die Aussage des Kanzlers gilt hier.
Innenpolitisch dominiert derzeit das umstrittene Heizungsgesetz. Ärgert Sie der Verlauf der Debatte?
KLINGBEIL Beim Heizungsgesetz sind wir nicht optimal gestartet. Es war unglücklich, dass wir zuerst über die Klimafrage geredet und nun das Soziale hinterhergeschoben werden muss. Das hätte beides von Anbeginn zusammengedacht werden müssen. Sonst laufen wir Gefahr, dass sich die Bürgerinnen und Bürger gegen den Klimaschutz stellen. Jetzt müssen wir im Parlament das Beste daraus machen. Die Klimaneutralität erreichen wir 2045 nur, wenn wir jetzt auch den Gebäudesektor angehen.
Welche Korrekturen erwarten Sie? KLINGBEIL Als SPD werden wir dafür sorgen, dass niemand vor eine unlösbare Aufgabe gestellt wird. Mieter müssen besser geschützt werden, indem etwa die Modernisierungsumlage bei der Heizung nicht vollständig auf die Miete umgelegt werden kann. Die soziale Staffelung nach Einkommen muss kommen. Auch werden wir die Altersgrenzen noch mal absenken. Menschen im ländlichen Raum dürfen darüber hinaus keine Sorgen haben, dass sie wegen ihre Pelletheizung Nachteile haben. Für all das werden wir sorgen. Der Kern des Gesetzes bleibt: Ab dem 1. Januar 2024 muss möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden.
Ist der Zeitplan noch einzuhalten? KLINGBEIL Ich sehe nichts, was dagegenspricht. Wir werden das Gesetz bis zur Sommerpause verabschieden können.
Wie viele Flops darf sich Wirtschaftsminister Habeck noch erlauben?
KLINGBEIL Es stimmt, die Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf die Wärmewende ist groß und das ist nicht gut. Man darf das aber nicht an einer Person festmachen. Ich will noch mal in Erinnerung rufen: Wir wollen Klimaneutralität bis 2045, damit dieser Planet erhalten bleibt, damit die Generation nach uns eine lebenswerte Zukunft hat. Daran werden wir gemessen. Und dafür machen wir auch dieses Gesetz. Aber wir werden es so machen, dass jeder dabei mitkommt.
War es notwendig, dass Habeck seinen Staatssekretär Graichen entlassen hat?
KLINGBEIL Minister Habeck hat seine Entscheidung ja ausführlich erklärt. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Ich wünsche mir, dass die Debatte um den klimaneutralen Umbau unseres Landes nun wieder versachlicht wird.
Wie schauen Sie denn gerade auf die Grünen? Die Partei schwächelt, hat viele gegen sich aufgebracht.
KLINGBEIL Ich sage noch mal: Das Heizungsgesetz ist ein Ampel-Gesetz. Wir werden es nun abermals gemeinsam verbessern. Eine Regierung, die sich ständig gegenseitig vermisst, wird nicht erfolgreich sein.
Dennoch hat man den Eindruck, dass es wieder eine Sehnsucht nach großer Koalition bei der SPD gibt. Erst Berlin, jetzt vielleicht Bremen. KLINGBEIL Die Sehnsucht nach einer großen Koalition hat mich bisher nicht erreicht. In Berlin war es eine pragmatische Entscheidung. In Bremen wird Andreas Bovenschulte ausloten, was das Beste für das Land ist.
„Gerhard Schröder hat sich für die falsche Seite der Geschichte entschieden.“