2146 Steine gegen Rassismus
Am 23. Mai ist es 30 Jahre her, dass auf dem Saarbrücker Schlossplatz das „Unsichtbare Mahnmal“eingeweiht wurde. Das Projekt von Jochen Gerz galt als umstritten. Doch der Protest dagegen gehört eher ins Reich der Legende.
3. November 1989 wurde die Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) in Saarbrücken eröffnet. Mit durchaus ambitionierten Zielen. Dort sollten nämlich, so der anfängliche Plan, ausschließlich international angesehene Künstler als Gastprofessoren – höchstens zwei Jahre lang – unterrichten, in der Hoffnung, dass durch den Wechsel die Einflüsse von außen aber auch das Interesse der Medien an der Schule groß bliebe.
Der aus Berlin stammende Konzeptkünstler Jochen Gerz erfüllte diese Anforderungen vollgültig mit seiner Teilnahme an der VenedigBiennale und der documenta. Sein 1986 eingeweihtes „Mahnmal gegen Faschismus“in Hamburg-Harburg war seine erste auf Dauer angelegte Arbeit im öffentlichen Raum. Dementsprechend gab er mit „Abwesenheit“und „Faschismus“den Studierenden in Saarbrücken zwei Stichworte für ein Projekt vor, das im April 1990 im Geheimen begann. Der heute 83-Jährige hatte einen Ruf zu verlieren, daher war anfangs Vorsicht geboten beim Arbeiten mit ihm unbekannten Studierenden.
Die Gruppe recherchierte und beschloss, Pflastersteine aus einem Platz in Saarbrücken auszuheben und zu ersetzen. Dieser Plan ging auf den Hinweis eines Studierenden zurück, der von einem Platz wusste, auf dem Bruchstücke jüdischer Grabsteine verlegt worden waren. Die Gruppe lernte alsbald, dass jüdische Friedhöfe für die Ewigkeit angelegt und daher unantastbar sind. Daraufhin bat sie die jüdischen Gemeinden in Deutschland um die Namen von den bis 1933 existierenden Friedhöfen. 2146 Namen kamen zusammen. Sie sollten in Stein geschrieben und mit der beschrifteten Seite nach unten eingesetzt werden.
Das hatte Jochen Gerz so festgelegt und damit dem Projekt seinen Namen gegeben: Unsichtbares Mahnmal. Da auf dem St. Johanner Markt die Steine einbetoniert waren, entschied sich die Gruppe schließlich für den Schlossplatz.
Das „Unsichtbare Mahnmal“ging dabei über das von Gerz 1986 geschaffene Harburger Mahnmal gegen Faschismus hinaus. Dort verschwand eine 12 Meter hohe Säule in mehreren Etappen komplett im Boden. Die Zivilgesellschaft hatte Gerz dabei zum Hauptakteur erklärt: „Denn nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben.“In Saarbrücken offenbar schon, denn Gerz nahm den kurzen Weg von der Kunsthochschule zur benachbarten Staatskanzlei und fand dort die ideelle wie finanzielle Unterstützung. Das hielt ihn nicht davon ab, den Eindruck von Stimmungsmache gegen sein Projekt in den Medien und in der Öffentlichkeit zu vermitteln.
Die Realität war freilich eine andere. Die „Saarbrücker Zeitung“begrüßte und unterstützte das Projekt im Lokal- wie auch im Kulturteil. Gerz hatte zudem an eine Fernsehjournalistin einen Lehrauftrag zwecks Koordination der Öffentlichkeitsarbeit vergeben. Idealerweise drehte diese gleich selbst für ein regionales Kulturmagazin einen Beitrag. Dennoch trug die nationale wie internationale Kulturberichterstattung die Legende vom vor Ort verworfenen Mahnmal in die Welt.
Das Projekt wurde am 29. August 1991 vom Stadtverbandstag offiziell von der Mehrheitsfraktion der SPD angenommen. Schaut man auf das Sitzungsprotokoll, wurde vor allem darüber gestritten, wie dieses bislang heimliche Projekt legalisiert werden sollte. Dass die Oppositionsparteien diese Praxis des Durchsetzens von oben nach unten kritisierten, ist nachvollziehbar. Diesen Streit als Reaktion Ewiggestriger zu erklären, entsprach aber nicht den Tatsachen. Auch verkennt diese Haltung, was Demokratie und Zivilgesellschaft ausmachen: Konflikt und Kompromiss. Entscheidend ist dabei, wie man diesen austrägt.
Fragwürdig war auch der Umgang mit dem am 13. Mai 1989 von den Malstatter Jusos auf dem Schlossplatz aufgestellten Gedenkstein für die Opfer der in der NS-Zeit im Schloss sitzenden Gestapo. Der Stein wurde im Vorfeld der Einweihung des Gerz-Mahnmals vom Stadtverband kurzerhand versetzt. Pragmatismus erwies sich ohnehin als besonderes Kennzeichen dieses Projektes. Im Umfeld der öffentlichen Präsentation am 26. November 1991 benannte es Jochen Gerz spontan um, wohl um die Verwechslung mit seiner, bis dahin gleichlautenden Harburger
Arbeit zu vermeiden.
Statt „Mahnmal gegen Faschismus“hieß es nun „Mahnmal gegen Rassismus.“Gerz erklärte in der 1993 erschienenen Publikation zum Saarbrücker Mahnmal eigenmächtig und fragwürdig den Begriff „Rassismus“zur „Metapher für den Holocaust“. Obschon es hier um Antisemitismus ging. Fest steht jedoch auch, dass die Erinnerungskultur der frühen 1990er Jahre noch weit entfernt von ihren heutigen Formaten und Diskursen war. Verständlich daher, dass ein derartiges Projekt irritierte. Zugleich wurden dessen offenkundige Schwachstellen und Fehlleistungen mit einer Melange aus Ehrfurcht vor einem international anerkannten Künstler und Unsicherheit im Hinblick auf aktuelle Formate des Gedenkens hingenommen.
Landespolitischer Geltungsdrang und die daran geknüpfte autoritär von oben nach unten verlaufende Kommunikation kennzeichnen daher die Geschichte des Projektes. Deshalb sind Entstehungsgeschichte und Ergebnis notwendig voneinander zu trennen. Denn das Mahnmal setzt bis heute einen Standard für die Erinnerungsarbeit: Erinnern als Ritual kann nicht die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ersetzen. Beides gehört zusammen. Die NSVerbrechen und der Völkermord verursachten eine Leerstelle, die nicht wiedergutgemacht werden kann. Diese bleibt. Die Verantwortung
für die Verbrechen hatten die Täter, die Nutznießer und Zuschauer. Die nachfolgenden Generationen haben die Verantwortung, daran zu erinnern und sich damit auseinanderzusetzen. Das heißt, Gerz beim Wort und das Projekt zu übernehmen. Das verlangt, zeitgemäße Formen der Erinnerungsarbeit zu entwickeln.