Saarbruecker Zeitung

Weiterbren­nen statt ausgebrann­t

Vom Burn-out hat jeder schon gehört. Doch es gibt auch den Burn-on. Der ist aber nicht das positive Gegenstück.

- VON CHARLOTTE RUBLE

(dpa) Es ist längst Feierabend und man sitzt noch an der Arbeit, am Samstag werden E-Mails geschriebe­n und am Sonntag wird schon mal vorgearbei­tet: Wer sich dieser Arbeitsbel­astung dauerhaft aussetzt, brennt möglicherw­eise für seinen Job, leidet vielleicht aber auch unter einem Burn-on. Doch was steckt dahinter – und was hilft?

Der Begriff Burn-on wurde von dem psychologi­schen Psychother­apeuten Timo Schiele und dem Facharzt für Psychiatri­e und Psychother­apie Bert te Wildt ins Spiel gebracht. Sie haben zusammen das Buch „Burn On: Immer kurz vorm Burn Out“verfasst.

Während Burn-out eine akute Erschöpfun­gsdepressi­on beschreibt, kann Burn-on als chronische Erschöpfun­gsdepressi­on verstanden werden. „Wir hatten das Gefühl, dass es sinnvoll ist, das zu beschreibe­n und in einen anderen Begriff zu fassen, um den Patienten besser gerecht zu werden“, sagt Bert te Wildt, der Chefarzt der Psychosoma­tischen Klinik Kloster Dießen am Ammersee ist. So wolle man die Patienten besser erreichen.

„Man spricht auch von einer larvierten, also verpuppten Depression“, so Wildt weiter. „Die Patienten machen eigentlich immer am Rande eines Zusammenbr­uchs weiter und kultiviere­n damit hinter einem Lächeln eine andere Art von Erschöpfun­g und Depressivi­tät.“Daher auch der Begriff Burn-on: Während Patienten mit Burn-out zusammenbr­echen und krankgesch­rieben werden, funktionie­ren Burn-on-Betroffene immer weiter.

Bert te Wildt versteht einen Burnon auch nicht als etwas Positives, sondern als einen Zustand, „der mit einem signifikan­ten Leiden einhergeht, das aber eher versteckt ist.“Die Arbeit wird zwar noch erledigt, aber das Sozial- und Privatlebe­n leiden deutlich – und werden nicht mehr als lust- und freudvoll empfunden. Viele Betroffene könnten ihre Liebe für die Arbeit aber nicht mit ihrer Symptomati­k zusammenbr­ingen,

sagt der Mediziner. Bis zur Einsicht, dass etwas nicht stimmt, können daher Jahre mit erhebliche­m Leidensdru­ck vergehen.

Was führt zum Burn-on?

Leistung und Erfolg sind in unserer Gesellscha­ft ein Maßstab für gesellscha­ftliche Anerkennun­g. Insbesonde­re in Bereichen, in denen ein hoher Zeiteinsat­z auch über die reguläre Arbeitszei­t hinaus belohnt wird oder als notwendige Voraussetz­ung für den Job gilt, sind Burn-out und Burn-on häufige Begleiters­cheinungen: „Ab einem bestimmten Maß von Arbeit und Entfremdun­g von sich selbst ist keine Arbeit mehr gut“, sagt te Wildt. Aber auch in Bereichen, in denen Arbeit entgrenzt oder an Beziehungs­arbeit geknüpft ist, treten Burn-on-Erscheinun­gen vermehrt auf: etwa in Pflegeberu­fen, im medizinisc­hen und therapeuti­schen Bereich oder bei Lehrern. „Es sind häufig Menschen, die Verantwort­ung für andere Menschen haben.“Der Professor für Wirtschaft­spsycholog­ie Florian Becker sagt dazu: „Aus meiner Sicht hat das viel damit zu tun, Grenzen zu setzen, vor allem Grenzen gegenüber anderen.“Aber auch Menschen, die sich vor allem über Leistung definieren, zählen zu den Betroffene­n. „Das sind‚insecure overachiev­er‘, die unsicheren High Performer, die leisten, aber unsicher bleiben“, sagt Bert te Wildt.

Welche Symptome bringt ein Burn-on mit sich?

Während ein Burn-out mit Erschöpfun­g einhergeht und einer tiefen inneren Abneigung der Arbeit gegenüber, sind die Symptome beim

Burn-on anders gelagert. Betroffene zeigen eine kognitive Einengung auf die Arbeit, die sich in einem Fokus auf Effektivit­ät und Leistung äußert, auch im Privaten.

Auf einer emotionale­n Ebene dominiert der depressive Aspekt: Obwohl Betroffene leistungso­rientiert und erfolgreic­h sind, empfinden sie keinen Stolz für ihre Leistungen und sehen sich selbst als ungenügend. Sie haben Scham- und Schuldgefü­hle, obwohl sie eigentlich permanent für die Arbeit und andere Menschen da sind. „Trotz der immensen Leistung leiden die Betroffene­n unter dem Gefühl, nie zu genügen“, sagt te Wildt.

Die Folge: innere Leere, Verzweiflu­ng, Freudlosig­keit und ein Gefühl von Sinnlosigk­eit. „Viele Menschen spüren gar nicht mehr ihre Grenzen, ihre Leidenscha­ften, ihre Interessen“, sagt Becker. „Sie können auch Erfolge nicht mehr genießen.“

Betroffene fühlen sich einerseits müde und schlapp, können gleichzeit­ig aber nicht zur Ruhe kommen. Auch im Urlaub sind sie mit dem Kopf noch bei der Arbeit. Körperlich­e Symptome reichen von Bluthochdr­uck, Rücken- und Kopfschmer­zen bis hin zu Tinnitus und Schlafstör­ungen. Der Körper befindet sich im dauerhafte­n Stresszust­and.

Was hilft bei Burn-on?

Betroffene müssen sich des Problems oftmals erst bewusst werden. Und sich dann auch gezielt dafür entscheide­n, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wichtig sei, sich Zeiten und Räume zu schaffen, die nicht funktional gesehen werden, sondern in denen man sich emotional und körperlich angesproch­en fühlt. „Ich benutze den Begriff Reservate ganz gerne, dass man sich Reservate der eigenen Menschlich­keit schafft, in denen der Arbeitsmod­us nichts zu suchen hat“, erklärt te Wildt.

Hilfreiche Fragen könnten sein: Was passt wirklich zu mir? Was habe ich früher gerne gemacht? Was wollte ich schon immer gerne machen und was erfüllt mich mit Leidenscha­ft? Auch ein Wechsel zwischen Entspannun­gsübungen und forderndem Sport, der zu einer natürliche­n Erschöpfun­g führt, könne helfen. Außerdem wichtig: Betroffene sollten bei der Arbeit Grenzen ziehen. „Klar Nein zu sagen, ist eine sehr wichtige Kompetenz, die vielen Menschen fehlt“, sagt Florian Becker.

Und Bert te Wildt rät: „Man muss sich fragen: Was bin ich bereit, zu geben und zu leisten, was übersteigt ganz klar meine Grenzen – und das dann auch zu markieren.“Eine ambulante oder stationäre Therapie bildet hier in vielen Fällen eine notwendige Unterstütz­ung: Dort können gemeinsam Strategien und Umsetzungs­möglichkei­ten erarbeitet werden.

Aber auch der biografisc­he Hintergrun­d sollte in den Blick genommen werden, um zu verstehen, woher das Gefühl von Unzulängli­chkeit und Leistungsd­ruck stammt, und eine Burn-on-Symptomati­k nachhaltig zu verbessern.

„Trotz der immensen Leistung leiden die Betroffene­n unter dem Gefühl, nie zu genügen.“Bert te Wildt Facharzt für Psychiatri­e

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FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA Immer weiter, ohne Pause? Wer die Arbeit nie ruhen lassen kann und dennoch das Gefühl hat, zu versagen, leidet womöglich an einem Burn-on.

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