Reflexion und Perspektive fehlten
„Die Universität des Saarlandes feiert ihr 75-jähriges Bestehen“, SZ vom 12. Mai
Als langjähriger Lehrbeauftragter an der Uni habe ich die Vorträge beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen der Universität des Saarlandes
(UdS) verfolgt. Mir fiel auf, dass kein Vertreter des Asta oder des Studierendenparlamentes gesprochen hat. War das gewollt, oder wollten die Studierenden selbst keinen – auch kritischen – Akzent setzten? Die Chance 75 Jahre aus Sicht der Studenten darzustellen, wurde vertan. Der Festvortrag von Prof. Patricia Oster-Stierle stellte zwar sehr gut die Anfänge der UdS dar, blendete aber die bewegten 1980er- und besonders 1990er-Jahre aus, als strategische Entscheidungen fielen, die das Gesicht der Uni veränderten. So klopft man sich als „Europa-Universität“gerne gegenseitig auf die Schultern, dabei ist vom Fächerkanon aus betrachtet unsere Uni im Wesentlichen eine WestEuropa-Universität, nachdem von 2000 – 2019 die „Osteuropäische Geschichte“, „Übersetzen/Dolmetschen Russisch“und die Slawistik geschlossen wurden – von fehlender Expertise für den arabischen Raum nach Schließung der Orientalistik rede ich erst gar nicht. Die nachvollziehbare, zukunftsweisende Stärkung des naturwissenschaftlichtechnischen Portfolios wurde mit einem Aderlass auf Seiten der größten, der Philosophischen, Fakultät, erkauft. Dabei sind die Geistes- und Sozialwissenschaften angesichts der Entwicklung in der KI und wirtschaftlichen Transformation mehr denn je gefragt. Dass solche Fragestellungen das Publikum beschäftigen, konnte man exemplarisch am – sehr schönen – Tag der Offenen Tür bei einem Vortrag mit Diskussion zu ChatGPT beobachten. Ich hätte mir eher einen reflektierenden und perspektivistischen Vortrag über die Entscheidungen der vergangenen 20 Jahre gewünscht, auch im Hinblick auf das Bologna-System mit Bachelor und Master. Als hierzu Frau Oster-Stierle eine leicht-kritische Anmerkung machte, gab es wenigstens spontanen Applaus.