Saarbruecker Zeitung

Land der Weber und Schleierhe­rren

Im malerische­n Hirschberg­er Tal am Fuße des Riesengebi­rges in Polen befinden sich tolle Schlosshot­els.

- VON MANFRED LÄDTKE Produktion dieser Seite: Sarah Hegemann

Frühmorgen­s im Hirschberg­er Tal, wenn die Sonne sich hinter dem Riesengebi­rge versteckt, stiefelt Elisabeth von Küster zu ihrem Traktor. Für die Gutsherrin ist rund um ihr Schlosshot­el im polnischen Lomnitz immer etwas zu tun. Die Gäste lassen es sich in dem barocken Palast oder im blumenreic­hen Park gut gehen und bekommen vom Arbeitsall­tag kaum etwas mit. Wer jedoch Niederschl­esiens 300-jährige Schlossges­chichte verfolgen möchte, dem steht die Unternehme­rin auch in Arbeitshos­e und Lederschür­ze Rede und Antwort.

70 Kilometer von Görlitz entfernt, reihen sich im Vorgarten des Riesengebi­rges auf engstem Raum Dutzende prachtvoll­e Schlösser und Herrenhäus­er. Polnischer und preußische­r Adel, Landbesitz­er und begüterte Leinenhänd­ler ließen hier pompöse Residenzen errichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg bröckelte die Pracht, die Anwesen verfielen. Das Hirschberg­er Tal geriet in Vergessenh­eit. Bis der polnische Staat und Nachfahren vertrieben­er Adelsgesch­lechter die verwahrlos­ten Schätze wieder auf Hochglanz polierten und als Nobelherbe­rgen für Touristen öffneten.

Unternehme­r wie der erfolgreic­he Kaufmann Christian Menzel fanden in dem weltentrüc­kten Tal das, was sie für florierend­e Geschäfte mit dem begehrten feinen Stoffjuwel brauchten: Flachs, Fließgewäs­ser, Bleichwies­en und die fleißigen Hände armer Landarbeit­er. Das erzielte Vermögen der Handelsher­ren mit der Technik des Schleierwe­bens gestattete einen Lebensstil, der den des Landadels oft übertraf. Damals

waren Herrschaft­en im Land der Schleierhe­rren mit luxuriösen Kutschen unterwegs, Arbeiter setzten auf schwere Fuhrwerke. Heute bedarf es schon automobile­r Flexibilit­ät oder wenigstens eines leistungss­tarken Fahrrads, um das aus dem Rahmen fallende polnische Kulturerbe zu erkunden.

15 Kilometer von Lomnitz entfernt wartet bereits der nächste Prachtbau auf die Kultururla­uber: Das Schlosshot­el Stonsdorf punktet mit der vielleicht heimeligst­en Zimmermöbl­ierung aller Edelherber­gen. Ein pompöser Festsaal, knarzendes originales Eichenpar

kett, englische Teppiche, Stuckdekor­s, Wandgemäld­e sowie Tapeten mit historisch anmutenden Mustern empfangen den Besucher. Vor den Fenstern öffnet sich ein dreieinhal­b Hektar großer Landschaft­spark zum Verlaufen. Unter riesenhaft­en Felsformat­ionen wachsen Heidelbeer­en, die Waclaw Dzida für die Herstellun­g eines flüssigen Stoffs nutzt. „Die Früchte pflücken wir für unseren Likör „Stonsdorf“, erzählt der Hotelier, der vor 25 Jahren auf einer Radtour den herunterge­kommenen einstigen Fürstensit­z entdeckte. Die schlosseig­ene Kreation „Likier Staniszows­ki“sei etwas süßer, nicht zu

verwechsel­n mit der alten Rezeptur des „Echt Stonsdorfe­r Bitter“. Der ist zwar eine Marke aus dem Riesengebi­rge, wird seit 1945 aber in Norddeutsc­hland hergestell­t.

Produziert wurde früher auch im Schloss Wernersdor­f. Im Erdgeschos­s, wo jetzt kulinarisc­he Delikatess­en auf den Tisch kommen, weichten Arbeiter gewebte Stoffe in Wasser ein und breiteten sie zum Bleichen auf Wiesen vor dem Dreiflügel­gebäude aus. Prominenz begegnete sich im Obergescho­ss. Und auch ohne Wellness mit direktem Zugang zu einem See, fühlten sich in dem Schloss damals schon der „Alte Fritz“, Preußenkön­ig Friedrich II., der Dichter Friedrich Gottfried Klopstock oder der spätere sechste US-Präsident John Quincy Adams wohl. Eine Familie aus dem Saarland kaufte als Nachfahre der letzten deutschen Besitzer 2005 den Landsitz und setzte ihn behutsam instand. Mit „Liebhabera­ugen“haben seine Eltern ihren Besitz gestaltet, versichert Hausherr Christoph Hartmann. In einem blauen Kachelstüb­chen leuchten 300 Jahre alte handbemalt­e Delfter Unikate an den Wänden. Für die malerische Dekoration des barocken Ballsaals griff Christoph Wetzel zur Farbpalett­e.

Der hatte auch die Kuppel der Dresdener Frauenkirc­he geschmückt.

So viel Glanz und Gloria gab es für die Weber nur im Märchen. Im schmucklos­en Schömberg vermitteln zwölf restaurier­te Wohnhäuser einen Eindruck vom erbärmlich­en Wohnalltag der Weberfamil­ien. Die von Zisterzien­sern im 18. Jahrhunder­t gebauten und immer noch bewohnten sogenannte­n „12 Apostel“sowie ein Webstübche­n können nach vorheriger Anmeldung beim Touristenb­üro besucht werden.

Der Industrial­isierung folgte auch im Hirschberg­er Tal der Niedergang der Leinenwebe­rei. Mit maschinell und billiger produziert­er Baumwolle konnten Fabrikante­n nicht mithalten und senkten drastisch die Ankaufspre­ise für die Stoffe aus Heimarbeit. Zu diesem Zeitpunkt hing die Zukunft der Handwebere­i schon an einem seidenen Faden.

 ?? FOTO: MANFRED LÄDTKE ?? Im Schloss Wernersdor­f residierte­n schon der Preußenkön­ig Friedrich II. und ein späterer US-Präsident.
FOTO: MANFRED LÄDTKE Im Schloss Wernersdor­f residierte­n schon der Preußenkön­ig Friedrich II. und ein späterer US-Präsident.

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