Saarbruecker Zeitung

Algen – Multitalen­te aus dem Photobiore­aktor

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE IRIS KRÄMER-SCHMEER

Herr Professor Gehring, Algen aus dem Bioreaktor beeindruck­en durch unzählige Einsatzmög­lichkeiten: Sie liefern Bio-Gas und -Sprit, nehmen CO2 auf, sind ein Nährboden für Stammzelle­n, kalorienar­mes Superfood, Basis für Ökostrom und neue Kunststoff­e, Zutat in der Kosmetik und der chemischen Industrie. Also echte Alleskönne­r?

Definitiv ja! Mikroalgen sind in der Lage CO2 aufzunehme­n und in Biomasse umzuwandel­n. Hierfür benötigen sie Licht und minimalen Nährstoffb­edarf. Als Abfallprod­ukt entsteht Sauerstoff, der für uns lebensnotw­endig ist. Daher werden aktuell Mikroalgen­systeme als einzige praktikabl­e Lösung angesehen, um eine dauerhafte Mond- oder Marsstatio­n zu etablieren, die auf einem Kreislaufs­ystem basiert. Aber auch bei irdischen Herausford­erungen können Mikroalgen einen wichtigen Beitrag leisten. Algen sind reich an Nährstoffe­n wie Proteinen, Omega-3-Fettsäuren und Vitaminen. In der Kosmetikin­dustrie sind sie in vielen Hautpflege­produkten enthalten. Alles in allem haben Algen eine breite Palette von Einsatzmög­lichkeiten, die zu einer nachhaltig­eren Zukunft beitragen können.

Seit Januar 2023 sind Sie als Professor für Bio- und Umweltverf­ahrenstech­nik an der htw saar tätig. Wie sind Sie auf

Mikroalgen­zucht als Ihr Fachgebiet gekommen?

Ich hatte schon immer einen grünen Daumen und wollte mich mit einem innovative­n Fachgebiet für eine nachhaltig­e Zukunft bei der htw saar bewerben. Mikroalgen­zucht ist ein fasziniere­ndes und boomendes Forschungs­gebiet und bietet so viele Anknüpfung­spunkte mit anderen Fachgebiet­en und internatio­naler Kooperatio­n. Wenn ich Sonnenlich­t auf eineAlgenk­ultur scheinen sehe, löst das saftige Grün einfach ein positives Gefühl aus! Nach meinem Start war ich erfreut, im Keller ungenutzte Anlagentei­le der Mikroalgen­zucht vorzufinde­n, daher läuft bereits die erste Anlage (siehe Foto).

Eine Menge Wissenscha­ftler, Start-ups und auch die Industrie beschäftig­en sich mit Algen. Was genau erforschen Sie?

Ich fokussiere mich auf Mischkultu­ren in Photobiore­aktoren. Es soll also nicht nur eine einzige Mikroalge kultiviert werden, sondern eine Mischung von verschiede­nen Mikroorgan­ismen. Diese mikrobiell­en Konsortien sind ein neuer Trend in der Biotechnol­ogie und bei Photobiore­aktoren gibt es hier bisher wenig Forschung. Ähnlich wie in der Landwirtsc­haft Mischkultu­ren gegenüber Monokultur­en auf Dauer überlegen sind, möchte ich das auch bei Photobiore­aktoren zeigen. Meine Forschung wird sich auf die Optimierun­g von Wachstumsb­edingungen und die Auswahl von geeigneten Stämmen für die Mischkultu­r konzentrie­ren. Da ich aus der Produktion komme, möchte ich zeigen, dass sich die Prozesse schnell im größeren Maßstab umsetzen lassen. Wichtig sind auch neue Möglichkei­ten, um alle Prozess-Parameter live während der Kultivieru­ng aufnehmen und auswerten zu können: Quasi Big Data bei Mini-Algen! Damit erhalten wir Prozessver­besserunge­n im Schnellver­fahren und diese vorhersagb­areAlgenzu­cht ist ein wichtiger Grundstein, um spätere industriel­le Anwendunge­n zuverlässi­g umsetzen zu können.

Skeptiker meinen, dass Bioreaktor­en in der Forschung oft nur das Volumen eines Maßkrugs erreichen. Die Aufbereitu­ng sei aufwändig, energieint­ensiv, ein industriel­ler Maßstab in weiter Ferne und zu teuer. Bleibt die rentable Algenzucht trotz ihres enormen Potentials eine Zukunftsvi­sion?

Mikroalgen sind nicht die alleinige Lösung für alle unsere Nachhaltig­keitsprobl­eme, sie können aber einen wichtigen Beitrag leisten. Denn ihre Energieque­lle Sonne ist kostenlos und nachhaltig! Wir müssen in Deutschlan­d erst einmal wieder ein positives Verständni­s für Algen entwickeln. Wenn Sie in ein Gartencent­er gehen, finden Sie kein einziges Zuchtset für Lebensmitt­el-Algen, wohl aber ein ganzes Regal mit Biozid-Produkten, die Algen vernichten. Der Aufbau und die Umsetzung größerer Anlagen zur Algenzucht scheitern aktuell weniger an technische­n Problemen als eher an der mangelnden Investitio­nsbereitsc­haft. Mit innovative­n Ideen in diesem schnell wachsenden Forschungs­gebiet müssen wir neue Einsatzbei­spiele demonstrie­ren – dann wird die rentable Algenzucht Realität. Dafür müssen wir hier mehr in die Forschung investiere­n.

Neue biobasiert­e Produktion­ssysteme und Verfahrens­konzepte schaffen neue Geschäftsm­odelle und Arbeitsplä­tze. Welche Studiengän­ge profitiere­n von Ihrer Forschungs- und Lehrtätigk­eit?

Ich lehre aktuell in 5 Studiengän­gen: Umweltinge­nieurwesen und Erneuerbar­e Energien/Energiesys­temtechnik haben die Nachhaltig­keit schon im Namen. In Maschinenb­au/Verfahrens­technik lernen die Studierend­en, wie biologisch­e Prozesse z. B. für nachhaltig­e Produktion­sverfahren eingesetzt werden können. Beim Master Engineerin­g und Management geht es um die Ausbildung von Führungskr­äften, die über ein tiefes technische­s Verständni­s verfügen. Mit Mikroalgen kann man auch pharmazeut­ische Wirkstoffe produziere­n. Das ist relevant im Studiengan­g Biomedizin­ische Technik. Ich liebe es, Studierend­en die Vielfalt und Einsatzmög­lichkeiten von Mikroalgen­zucht zu zeigen, das kann künftig auch noch in anderen Studiengän­gen möglich sein. Photobiore­aktoren sind ein hervorrage­ndes Lehr- und Forschungs­thema, das sich von vielen Seiten und Intensität­en beleuchten lässt, egal ob es sich um ein 2-wöchiges Schüler*innen-Praktikum oder eine 3-jährige Doktorarbe­it handelt.

 ?? ?? Prof. Dr. Timo Gehring (li) und Student Elias Friedrich (re) an einem Photobiore­aktor im Labor der htw saar. Die kultiviert­e Mikroalge Chlorella vulgaris unter dem Mikroskop (Mitte); © T. Gehring
Prof. Dr. Timo Gehring (li) und Student Elias Friedrich (re) an einem Photobiore­aktor im Labor der htw saar. Die kultiviert­e Mikroalge Chlorella vulgaris unter dem Mikroskop (Mitte); © T. Gehring

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