Unterirdisches Neuland: Welche Leitung liegt genau wo?
Bauingenieure der htw saar erstellen ein digitales Kataster im Testgebiet Saarbrücken
Das ist der Albtraum für alle, die ein Bauvorhaben angehen: Man gibt guten Gewissens dem Bagger grünes Licht – und ein paar Minuten später liegt ein ganzes Viertel ohne Strom und Telefon da. Hätte man das nicht wissen können? Tatsächlich: Nein, hätte man nicht. Jedenfalls nicht unbedingt.
Dabei lauern ja noch weitere Gefahren im Boden; so kann durch das Beschädigen eines Gasrohres eine Katastrophe ausgelöst werden, bei der Menschen zu Schaden kommen. Also ist es wünschenswert, dass Leitungen aller Art in einem digitalen Kataster erfasst werden und vor einem Bauvorhaben einsehbar sind.
Damit befasst sich dasTeam in der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen der htw saar unter der Leitung von Professor Dr.-Ing. Joachim Dettmar für ein genau abgegrenztes Testgebiet in Alt-Saarbrücken, zwischen Ludwigskirche und Luisenbrücke. Doch die Arbeit ist mühsam, denn um alle Leitungen zu erfassen, müssen die so genannten Leitungsträger angefragt werden; also die Behörden und Firmen, die für die jeweilige Leitung zuständig sind. Dabei geht es um Wasser, Abwasser, Strom, Gas, Fernwärme, Fernmeldekabel (damit sind die alten Telefon-Kupferkabel gemeint) undTelekommunikation (Glasfaser), aber auch um die Leitungen für Lampen und Lichtzeichenanlagen – vulgo Ampeln. Das heißt, allein in diesem Testgebiet müssen 24 verschiedene Stellen gefragt werden – von Stadtwerken über ZKE bis Creos oder Glasfaser.
Die zweite Hürde ist die Art der Datenerfassung und -übertragung. Denn jeder Leitungsträger hat eine andere Art, Daten zu erfassen und zu speichern. So liegen manche Daten als PDF vor, andere sind schon digital erfasst, wieder andere existieren nur auf Papier.
Erste Erfahrungen mit Katastererstellung hatte die von Professor Dettmar geleitete Forschungsgruppe Wasser u. a. bereits bei einem Kanalkataster für die Gemeinde Merchweiler gesammelt. Darauf konnte man nun im nächsten Schritt aufbauen.
Die Zukunft beim Bauen ist digital
Die Forschungsgruppe um Professor Dr.-Ing. Joachim Dettmar arbeitet mit der OpenSource Software QGIS als Geoinformationssystem. Mithilfe dieser Software können die vorgegebenen Daten und Angaben digitalisiert und georeferenziert werden. Georeferenziert bedeutet: Die in unterschiedlichen Formaten und Maßstäben vorliegenden Daten werden in Relation zur tatsächlichen topografischen Wirklichkeit vor Ort gesetzt. So können Schnittstellen für den Datentransfer programmiert und die Daten in ein einheitliches Koordinatenbezugssystem transformiert werden. Erst dann entsteht ein einheitliches Bild.
Doch auch hier gibt es Hürden zu überwinden. So kann es geschehen, dass der Verlauf einer Leitung beim Übertragen in das Koordinatensystem einer Art Verzug unterzogen wird, was bedeutet, dass der Verlauf in der Katasterkarte etwas von dem in der Realität abweicht. Ein gewisses Maß an Ungenauigkeit lässt sich also nicht vermeiden. Trotzdem wird ein enormer Fortschritt zum Jetzt-Zustand erzielt.
Das Ziel ist ein zentrales digitales Kataster aller unterirdisch verlaufenden Leitungen. Dieses würde eine erhebliche Ersparnis an Zeit und Kosten für alle bedeuten, die sich mit Bauvorhaben befassen. Und nicht zuletzt würde es die Leitungen schützen. Die Zugriffsrechte bzw. der Datenschutz wären sicher handhabbar. Wichtig wäre laut Professor Dettmar, dass in diesem Zusammenhang vom Gesetzgeber eine Verpflichtung der Leitungsträger zur Übergabe ihrer Daten an eine zentrale, öffentliche Datenverwaltung geschaffen werden müsste.
Um die Daten nutzbar zu machen, entwickelte das Team digitale Eingabe- und Auskunftsmasken, damit Anfragende sich über die Lage der Leitungen informieren können. Doch das ist ein erster Schritt in eine digitale Bau-Zukunft. Die Erfassung und Digitalisierung im Testgebiet Alt-Saarbrücken hat eineinhalb Jahre gedauert.
Sobald ein Leitungskataster digital vorliegt, sind Zukunftsszenarien möglich, in denen Bagger anhand dieser Daten sozusagen autonom entlang der Leitungen baggern und ohne Schäden zu verursachen, eine gründliche Vorarbeit leisten. Auch in der Katastrophenvorsorge kann das Kataster helfen, z. B. aufgrund der Kenntnisse über den Verlauf von Wasserleitungen, wenn durch einen Stromausfall nur noch Teile des Wassernetzes betrieben werden können. Gerade dann ist es wichtig, die verbleibenden Ressourcen möglichst effizient einzusetzen, um die Bevölkerung bestmöglich zu versorgen.
Darüber hinaus können die Daten eines digitalen Leitungskatasters im noch recht jungen Feld des Building Information Modeling (BIM) eingesetzt werden. Beim BIM wird ein Bauvorhaben in 3D so abgebildet, dass jeder am Bau Beteiligte digitalen Zugriff auf „sein“Gewerk hat. Das hat den Vorteil, dass sich alle im Zeitplan genauer aufeinander abstimmen sowie die Logistik und den Personaleinsatz exakt planen können. Beim Umbau des Londoner Flughafens Gatwick wurde mit BIM sogar das Umleiten der Passagiere und der Gepäckströme simuliert.