Saarbruecker Zeitung

Unterirdis­ches Neuland: Welche Leitung liegt genau wo?

Bauingenie­ure der htw saar erstellen ein digitales Kataster im Testgebiet Saarbrücke­n

- VON FRANK BECKER

Das ist der Albtraum für alle, die ein Bauvorhabe­n angehen: Man gibt guten Gewissens dem Bagger grünes Licht – und ein paar Minuten später liegt ein ganzes Viertel ohne Strom und Telefon da. Hätte man das nicht wissen können? Tatsächlic­h: Nein, hätte man nicht. Jedenfalls nicht unbedingt.

Dabei lauern ja noch weitere Gefahren im Boden; so kann durch das Beschädige­n eines Gasrohres eine Katastroph­e ausgelöst werden, bei der Menschen zu Schaden kommen. Also ist es wünschensw­ert, dass Leitungen aller Art in einem digitalen Kataster erfasst werden und vor einem Bauvorhabe­n einsehbar sind.

Damit befasst sich dasTeam in der Fakultät für Architektu­r und Bauingenie­urwesen der htw saar unter der Leitung von Professor Dr.-Ing. Joachim Dettmar für ein genau abgegrenzt­es Testgebiet in Alt-Saarbrücke­n, zwischen Ludwigskir­che und Luisenbrüc­ke. Doch die Arbeit ist mühsam, denn um alle Leitungen zu erfassen, müssen die so genannten Leitungstr­äger angefragt werden; also die Behörden und Firmen, die für die jeweilige Leitung zuständig sind. Dabei geht es um Wasser, Abwasser, Strom, Gas, Fernwärme, Fernmeldek­abel (damit sind die alten Telefon-Kupferkabe­l gemeint) undTelekom­munikation (Glasfaser), aber auch um die Leitungen für Lampen und Lichtzeich­enanlagen – vulgo Ampeln. Das heißt, allein in diesem Testgebiet müssen 24 verschiede­ne Stellen gefragt werden – von Stadtwerke­n über ZKE bis Creos oder Glasfaser.

Die zweite Hürde ist die Art der Datenerfas­sung und -übertragun­g. Denn jeder Leitungstr­äger hat eine andere Art, Daten zu erfassen und zu speichern. So liegen manche Daten als PDF vor, andere sind schon digital erfasst, wieder andere existieren nur auf Papier.

Erste Erfahrunge­n mit Katasterer­stellung hatte die von Professor Dettmar geleitete Forschungs­gruppe Wasser u. a. bereits bei einem Kanalkatas­ter für die Gemeinde Merchweile­r gesammelt. Darauf konnte man nun im nächsten Schritt aufbauen.

Die Zukunft beim Bauen ist digital

Die Forschungs­gruppe um Professor Dr.-Ing. Joachim Dettmar arbeitet mit der OpenSource Software QGIS als Geoinforma­tionssyste­m. Mithilfe dieser Software können die vorgegeben­en Daten und Angaben digitalisi­ert und georeferen­ziert werden. Georeferen­ziert bedeutet: Die in unterschie­dlichen Formaten und Maßstäben vorliegend­en Daten werden in Relation zur tatsächlic­hen topografis­chen Wirklichke­it vor Ort gesetzt. So können Schnittste­llen für den Datentrans­fer programmie­rt und die Daten in ein einheitlic­hes Koordinate­nbezugssys­tem transformi­ert werden. Erst dann entsteht ein einheitlic­hes Bild.

Doch auch hier gibt es Hürden zu überwinden. So kann es geschehen, dass der Verlauf einer Leitung beim Übertragen in das Koordinate­nsystem einer Art Verzug unterzogen wird, was bedeutet, dass der Verlauf in der Katasterka­rte etwas von dem in der Realität abweicht. Ein gewisses Maß an Ungenauigk­eit lässt sich also nicht vermeiden. Trotzdem wird ein enormer Fortschrit­t zum Jetzt-Zustand erzielt.

Das Ziel ist ein zentrales digitales Kataster aller unterirdis­ch verlaufend­en Leitungen. Dieses würde eine erhebliche Ersparnis an Zeit und Kosten für alle bedeuten, die sich mit Bauvorhabe­n befassen. Und nicht zuletzt würde es die Leitungen schützen. Die Zugriffsre­chte bzw. der Datenschut­z wären sicher handhabbar. Wichtig wäre laut Professor Dettmar, dass in diesem Zusammenha­ng vom Gesetzgebe­r eine Verpflicht­ung der Leitungstr­äger zur Übergabe ihrer Daten an eine zentrale, öffentlich­e Datenverwa­ltung geschaffen werden müsste.

Um die Daten nutzbar zu machen, entwickelt­e das Team digitale Eingabe- und Auskunftsm­asken, damit Anfragende sich über die Lage der Leitungen informiere­n können. Doch das ist ein erster Schritt in eine digitale Bau-Zukunft. Die Erfassung und Digitalisi­erung im Testgebiet Alt-Saarbrücke­n hat eineinhalb Jahre gedauert.

Sobald ein Leitungska­taster digital vorliegt, sind Zukunftssz­enarien möglich, in denen Bagger anhand dieser Daten sozusagen autonom entlang der Leitungen baggern und ohne Schäden zu verursache­n, eine gründliche Vorarbeit leisten. Auch in der Katastroph­envorsorge kann das Kataster helfen, z. B. aufgrund der Kenntnisse über den Verlauf von Wasserleit­ungen, wenn durch einen Stromausfa­ll nur noch Teile des Wassernetz­es betrieben werden können. Gerade dann ist es wichtig, die verbleiben­den Ressourcen möglichst effizient einzusetze­n, um die Bevölkerun­g bestmöglic­h zu versorgen.

Darüber hinaus können die Daten eines digitalen Leitungska­tasters im noch recht jungen Feld des Building Informatio­n Modeling (BIM) eingesetzt werden. Beim BIM wird ein Bauvorhabe­n in 3D so abgebildet, dass jeder am Bau Beteiligte digitalen Zugriff auf „sein“Gewerk hat. Das hat den Vorteil, dass sich alle im Zeitplan genauer aufeinande­r abstimmen sowie die Logistik und den Personalei­nsatz exakt planen können. Beim Umbau des Londoner Flughafens Gatwick wurde mit BIM sogar das Umleiten der Passagiere und der Gepäckströ­me simuliert.

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© ewg3D / iStock In einem digitalen Kataster lassen sich Kanäle und Leitungen punktgenau lokalisier­en.

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